Die jüdische Kultur in den öffentlichen Raum bringen möchte Dirigent Daniel Grossmann. Jetzt ist er mit seinem Jewish Chamber Orchestra unterwegs auf Synagogentournee. Auf dem Programm stehen Kompositionen des jungen Gustav Mahler, der vom Judentum zum Katholizismus konvertierte.
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BR-KLASSIK: Sie und das Jüdische Kammerorchester haben eine Synagogen-Tour vor sich. Der eigentliche musikalische Herrscher in der Synagoge ist der Kantor. Sie haben jetzt zwar keinen Kantor dabei, aber immerhin einen Bariton: Ludwig Mittelhammer wird "14 Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit" singen, ganz frühe Mahler-Lieder. Warum haben Sie diese Lieder ausgesucht?
Daniel Grossmann: Es war schon die Überlegung, Gustav Mahler als Person in den Mittelpunkt des Abends zu stellen. Zum einen werde ich eine kleine Einführung zum jüdischen Background von Gustav Mahler machen. Und dann haben wir Texte herausgesucht – zum Teil von Gustav Mahler, zum Teil von anderen über Gustav Mahler – in denen es um sein Judentum und seine Assimilation geht und wie weit die Konvertierung zum Katholizismus freiwillig oder erzwungen war durch die gesellschaftlichen Umstände. Diese Texte haben wir mit einem jungen Schauspieler aufgenommen und die werden zwischen den Liedern abgespielt.
BR-KLASSIK: Sie haben es eben erwähnt: Gustav Mahler konvertierte zum Katholizismus. Kann man sein Jüdischsein einfach an den Nagel hängen?
Gustav Mahler | Bildquelle: wikimedia Daniel Grossmann: Nein, das kann man nicht. Gustav Mahler hat auch sein Jüdischsein nicht einfach an den Nagel gehängt. In die Diskussion, wie weit diese Konvertierung freiwillig war oder nicht, möchte ich mich aber nicht zu tief hineinbegeben. Manche sind fest davon überzeugt, dass er das absolut aus einem inneren Drang heraus gemacht hat. Ich sehe das ein bisschen anders. Aber ein endgültiges Urteil kann ich mir darüber auch nicht erlauben. Was man diesen Texten und Aussagen von Gustav Mahler absolut entnehmen kann, ist, dass er es nie so gefühlt hat: "Ich habe jetzt mein Judentum abgegeben". Er hat dagegen sehr stark gespürt, dass das Judentum tatsächlich eine Religion ist, in die es sehr schwer ist 'reinzukommen – und es ist noch schwerer, aus ihr wieder 'rauszugehen.
BR-KLASSIK: Im Rahmen der Tournee des Jewish Chamber Orchestra treten Sie in ehemaligen geistlichen Räumen auf und das in einer Zeit, in der der Antisemitismus doch wieder mehr und mehr um sich greift. Man kommt eigentlich nicht umhin, irgendwelche Schlagzeilen darüber zu lesen. Dient es der Kommunikation, wenn man die Räume – auch die geistlichen Räume – öffnet?
Daniel Grossmann: Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass man sich nicht davon abbringen lassen darf, die jüdische Kultur, die jüdische Religion in den öffentlichen Raum zu bringen. Man muss Möglichkeiten des Kennenlernens, der Berührungspunkte schaffen und damit Vorurteile oder auch einfach Nichtkennen abbauen. Das ist genau das, was mir eben so wichtig ist. Ob dann am Ende des Tages damit Antisemitismus abgebaut wird oder nicht, das weiß ich nicht, aber ich glaube, es besteht zumindest die Chance.
BR-KLASSIK: Ängstigt Sie das eigentlich persönlich? Sie treten vor dieses Orchester als Person, und das trägt ganz klar "Jüdisches Kammerorchester" in seinem Namen.
Daniel Grossmann: Nein, es ängstigt mich nicht. Was aber auch damit zusammenhängt, dass ich persönlich nie in Deutschland angegriffen wurde, weil ich Jude bin. Ich kann mich in den 14 Jahren, die dieses Orchester nun besteht, an eine einzige E-Mail erinnern, in der stand, dass ich ein vollkommen untalentierter Musiker sei und nur wegen meines Judentums hier hofiert werde. Das finde ich dann recht verschmerzbar. Aber klar: Ich höre von anderen aus der jüdischen Gemeinde ganz andere Geschichten. Und man muss es auf jeden Fall ernst nehmen.
Für mich ist die Kooperation mit den Musikern extrem wichtig, denn am Ende spiele nicht ich das Instrument, sondern die Musiker.
BR-KLASSIK: Im Moment wird ja viel über den Stil von Dirigenten diskutiert; Daniel Barenboim ist viel in den Schlagzeilen. Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach die Autorität eines Dirigenten und eine klare Vorstellung eines Klangbildes? Und wie weit kann man gehen, um das durchzusetzen?
Daniel Grossmann: Ich glaube, dass es da eine ganz klare Unterscheidung in den Generationen gibt. Daniel Barenboim gehört zu einer Generation, die mit großer Autorität vor das Orchester getreten ist und die vor allem diese Autorität mit autoritärem Verhalten auch erreichen wollte. Und ich glaube, dass das schon lange out ist und dass Dirigenten das so nicht mehr machen, weil das auch insgesamt einfach nicht mehr Stil unserer Gesellschaft ist. Ich weiß nicht, wie Daniel Barenboim arbeitet. Ich war nie in einer Probe bei ihm, deshalb kann ich mir auch kein Urteil darüber erlauben, ob diese Vorwürfe stimmen oder nicht. Ich arbeite ganz bestimmt vollkommen anders: Für mich ist die Kooperation mit den Musikern extrem wichtig, denn am Ende spiele nicht ich das Instrument, sondern die Musiker. Ich glaube, dass ich auch nur so erreichen kann, dass sie am Ende das tun, was ich möchte. Bei einem kooperativen Stil machen das die Musiker dann eben auch gerne für einen.
Sendung: "Leporello" am 11. März 2019 ab 16:05 auf BR-KLASSIK