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Evgeny Kissin über Putin und sein neues Werk "Als Jude bin ich solidarisch mit der Ukraine"

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs gehört der aus Russland stammende Pianist Evgeny Kissin zu den härtesten Kritikern seiner ehemaligen Heimat. Im Interview erklärt er, warum er vom Westen Unterstützung für die Ukraine fordert und wie er sich in seinem neuen Werk mit dem Krieg auseinandersetzt.

Der Pianist Evgeny Kissin spielt auf dem Klavier, nachdem er die Ehrendoktorwürde der Hochschule für Musik Franz Liszt erhalten hat. Kissin wird für seinen musikalischen Einsatz für Humanismus in der Welt sowie deiner Verdienste um die jiddische Sprache geehrt. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Michael Reichel

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BR-KLASSIK: Sie haben Ihr letztes Konzert in Moskau Ende Februar 2020 gegeben, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Wie blicken Sie jetzt auf das Land, in dem Sie die ersten 20 Jahre Ihres Lebens verbracht haben?

Evgeny Kissin: Ich habe Russland – bei erster Gelegenheit – vor über 30 Jahren verlassen, weil ich dieses Land noch nie mochte. Natürlich kannte ich aus den ersten 20 Jahren meines Lebens auch sehr viele gute Menschen aus Russland, und ich habe dort immer noch Freunde, die auch wie ich denken. Es gibt natürlich überall immer sehr unterschiedliche Leute. Aber seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs sind meine Freunde in Russland von einem Großteil der dort lebenden Menschen sehr enttäuscht. Das schreiben sie mir auch.

BR-KLASSIK: Was bekommen Sie aus Russland mit? Was wird Ihnen von Freunden erzählt?

Evgeny Kissin: In Russland werden jeden Tag Leute bestraft, weil sie auch nur in mildester Form gegen den Krieg protestieren. Sie werden zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt, weil sie mit einem kleinen Zettel mit der Aufschrift "Frieden" auf die Straße gehen. Das wird in Russland mittlerweile als "Diskreditierung der russischen Armee" geahndet. Vor ein paar Wochen hat Dmitri Medwedew öffentlich über die weitest mögliche Verschiebung der Grenzen sogenannter "feindlicher Staaten" gesprochen. Medwedew, der zwischen 2008 und 2012 Russlands "sogenannter Präsident" war, formulierte damit das Ziel der sogenannten "militärischen Spezialoperation". Das sind auch die polnischen Grenzen. Falls – Gott möge es verhüten – Putin die Ukraine erobern sollte, wird er dort nicht Halt machen, sondern weitergehen, genauso wie Adolf Hitler zu seiner Zeit. Für mich und die Leute in meinem Bekanntenkreis, die wir wissen, was für Monster Putin und seine Verbündeten sind, war das schon immer klar.

Kissin hat als Kind Antisemitismus in der Sowjetunion erlebt

BR-KLASSIK: Sie sind als Angehöriger der jüdischen Minderheit in der damaligen UdSSR aufgewachsen und haben in letzter Zeit freimütig erzählt, dass Sie deswegen oft nicht gut behandelt worden seien. Sie sagen aber auch, dass Sie nicht russophob sind. Herr Kissin, können Sie sich erklären, warum einige Menschen in Russland eine Abneigung haben gegen kulturelle Vielfalt?

Evgeny Kissin: Weil diese Menschen politisch wie auch kulturell rückwärtsgewandt sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Autoren der großen russischen Kunst selbst sehr ausgeprägte antisemitische Vorurteile hatten. In der Geschichte der Menschheit waren schon immer manche Länder weiterentwickelt und progressiver als andere. Im Mittelalter war die arabische Welt viel fortschrittlicher als Europa. Heutzutage ist es genau andersrum. Und in der ersten Hälfte des letzten Jahrtausends gab es im heutigen Russland die sogenannte "Republik Nowgorod", die für damalige Verhältnisse auch sehr progressiv war. Aber sie war eben auch nur sehr klein und wurde am Ende von der Moskauer Tyrannei versklavt. Seitdem ist Russland sehr rückwärtsgewandt und reaktionär, vor allem im Vergleich zur modernen westlichen Welt.

Ich bin stark überzeugt, dass der Westen schon immer gegenüber Russland nicht stark genug aufgetreten ist.
Evgeny Kissin

BR-KLASSIK: Seit dem  Überfall Russlands auf die Ukraine äußern Sie sich sehr stark gegen diesen Krieg. Sie sagen, Putins Propaganda beruhe auf Lügen. Und wenn Sie Musik spielen, hören Sie Sätze in ihrem Kopf gegen Putin. Was wünschen Sie sich, was der Westen tun muss? Was fordern Sie ein, damit die Ukraine gegen Russland bestehen kann?

Evgeny Kissin: Ich bin sehr überzeugt, dass der Westen schon immer gegenüber Russland nicht stark genug aufgetreten ist. Das war in Zeiten der Sowjetunion so und auch in den letzten Jahren. Und der aktuelle Ukraine-Krieg ist eine direkte Folge dieser Politik. Der Westen sollte sofort alle möglichen Sanktionen gegen Russland anwenden und der Ukraine die größtmögliche Militärunterstützung schicken, um die Angreifer aus dem ganzen ukrainischen Territorium – einschließlich der Krim -- zu vertreiben. Und sobald die Russischen Aggressoren aus der Ukraine vertrieben sind, sollte die Ukraine sofort der Nato beitreten können, damit Russland es nie wieder wagt, seine Panzer dorthin zu schicken. Jeder Tag kostet mehr und mehr Menschenleben.

Wir Juden waren schon immer die größten Opfer der russischen Xenophobie. Jetzt trifft es die Ukrainer.
Evgeny Kissin

BR-KLASSIK: Sie engagieren sich seit Beginn des Kriegs stark für die Ukraine und zählen in der klassischen Musik zu den heftigsten Kritikern Russlands. Sehen Sie sich als Künstler und als öffentliche Person in der Pflicht, sich zu äußern?

Der Pianist Kissin  | Bildquelle: picture-alliance/AP Photo Evgeny Kissin. | Bildquelle: picture-alliance/AP Photo Evgeny Kissin: Zum ersten Jahrestag des Kriegs habe ich auf meiner Facebook-Seite einen Appell an den Westen geschrieben, der Ukraine sofort und ohne Verzögerung alle mögliche militärische Unterstützung zu geben. Daraufhin hat jemand aus Deutschland kommentiert: "Sie sind ein wunderbarer Künstler, aber bitte sagen Sie uns Deutschen mit unserem historischen Trauma nicht, dass wir Waffen versenden sollen." Ich möchte den Leuten, die so denken, etwas sagen: Ihr Deutschen habt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer die Verbrechen eurer Großeltern bereut. Ich weiß das ganz genau. Inmitten eurer Hauptstadt gibt es ein riesiges Mahnmal zum Gedenken der Holocaust-Opfer. Das ist die offizielle Politik in Deutschland seit dem Niedergang der Nazis. In Russland gibt es so eine Politik gar nicht, vielmehr will Putin genau das Gegenteil, nach dem Motto: "Wir haben die Welt vom Faschismus befreit." Deswegen sage ich euren Landesleuten, die aus historischen Gründen keine Waffen in die Ukraine liefern wollen: Wladimir Putin ist der neue Adolf Hitler. Und wenn ihr, meine Freunde, eure Geschichte wahrnehmt, solltet ihr so viele Waffen, wie ihr nur irgendwie könnt, an die Ukraine schicken, um die Ukrainer im Kampf gegen den heutigen Hitler zu unterstützen. Ich sage das nicht nur als Mensch, sondern auch als Jude. Wir Juden waren schon immer die größten Opfer der russischen Xenophobie. Jetzt trifft es die Ukrainer. Also, wenn ihr das historische Trauma der Nazis überwinden wollt, solltet ihr sofort der Ukraine helfen.

Musik für den ukrainischen Widerstand

BR-KLASSIK: Sprechen wir über die Musik, die Sie zurzeit spielen. Sie haben ein Klaviertrio komponiert, ein Statement gegen den Krieg in der Ukraine. Was für Musik haben Sie komponiert, um Ihre Unterstützung für die Ukraine darzustellen?

Evgeny Kissin: Das Klaviertrio besteht aus drei Sätzen. Die Einleitung des ersten Satzes steht für das dunkle Vorkriegsrussland. Dann illustriert das erste Thema den Beginn der russischen Invasion und der Bombenangriffe. Das zweite Thema steht für das Leiden der Ukrainer, deren Tränen voller Schmerz und Verzweiflung. Im zweiten Satz habe ich zwei Ukrainische Volkslieder verwendet, denn dieser steht für die Tragödie der Menschen in der Ukraine. Ganz zu Beginn des Finales zitiere ich dann den Anfang der ukrainischen Nationalhymne und deren Anfangsmotiv zieht sich durch den ganzen Satz. Dieser Satz steht für den ukrainischen Widerstand, der dann schlussendlich zum ukrainischen Sieg führt. Der Höhepunkt dieses Werks ist die ukrainische Nationalhymne in ihrer Gesamtheit. Außerdem ist die erste Hälfte des Finales im Stil der ukrainischen, die zweite im Stil der jüdischen Volksmusik. Das ist sehr symbolisch, denn der aktuelle Präsident der Ukraine, ist Jude. Zudem kämpfen viele israelische Freiwillige seit Beginn des Krieges an der Seite der ukrainischen Armee. Und zuletzt empfinde ich selbst gerade als Jude eine sehr starke Solidarität mit den Ukrainern. Weil – wie ich schon vorher sagte -- wir Juden schon immer die größten Opfer der russischen Xenophobie waren.

BR-KLASSIK: Herr Kissin, spielen Sie seit dem 24. Februar 2022 anders Klavier?

Evgeny Kissin: Vergessen wir nicht: die vollständige russische Invasion hat letztes Jahr begonnen. Aber die Russen sind schon 2014 in die Ukraine einmarschiert. Deswegen habe ich 2020/21 bereits ein Solo-Programm gespielt, bei dem ich am Ende zwei Stücke von Chopin eingesetzt habe. Zum Beispiel die Polonaise in As-Dur. Da gibt es die Legende, dass es Chopin dabei um den Sieg der Polen im Kampf gegen die Russen nahe Krakau ging. Und seit letztem Jahr komme ich auf Chopins fis-Moll-Polonaise zurück. Für mich ist völlig klar, dass es in dieser Musik um Polens Tragödie geht, das unter dem russischen Imperialismus stark gelitten hat. Und die Menschen verstehen, warum ich dieses Stück jetzt spiele. Die Menschen fühlen das.

Sendung: "Leporello" am 31. März ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Sonntag, 02.April, 11:21 Uhr

Martin Stenzel

Kunst und Kultur

Guten Tag,

nach dem Studium dieses Artikels ist mein Fazit:
Künstler und Kulturelle degradieren sich selbst, wenn sie zu Waffengewalt aufrufen.
Putin und Hitler gleichzusetzen, verbietet sich. Rein von den Fakten her ist eine Gleichsetzung eine weitgehende Leugnung des Holocaust, und das ist Antisemitismus par excellence.

Martin Stenzel, Köln-Nippes

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