Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv postet inzwischen fast stündlich zum Krieg in ihrem Heimatland. Lisa Batiashvili kennt die Bedrohung Russlands aus ihrer Kindheit in Georgien, während Evgeny Kissin seine russische Heimat stark kritisiert und Dirigent Daniel Barenboim den Angriff als "etwas Mörderisches" bezeichnet.. Anna Netrebko fordert hingegen vehement ein Recht auf unpolitische Haltung für sich ein.
Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Guido Calamosca
Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv fordert ukrainische Komponist*innen auf, den Opfern des Kriegs ein Stück zu widmen: "Liebe Kollegen – ukrainische Komponisten – vielleicht möchte jemand ein kleines Stück schreiben, das ich Anfang April in Bologna bei einem Konzert aufführen werde?", fragt sie auf Facebook. Doch Lyniv, die Igor Levits Kritik an der unpolitischen Haltung mancher Künstler*innen repostet hat, zeigt auf ihren Social-Media-Kanälen auch ganz offen die Brutalität des Krieges: Sie veröffentlicht Meldungen und kleine Porträts von gefallenen Soldat*innen und zeigt Bilder von Panzern neben Spielplätzen oder eines ihrer Mutter, wie sie in einem Kartoffelkeller Schutz vor den Angriffen sucht. Zudem gibt Lyniv, die derzeit im Stundentakt auch Solidaritätsbekundungen veröffentlicht, nun Lwiw als ihren Aufenthaltsort an. Die Dirigentin hatte in dieser Stadt in der Westukraine studiert und am dortigen Opernhaus ihren ersten Posten als Assistentin gehabt. Jetzt postet sie ein Foto aus dem Kurbas Theater, wo Menschen auf der Flucht untergekommen sind.
Ich kann keine Menschen unterstützen, die Putin und sein Regime unterstützen, auch wenn sie gefangen sind und dadurch nicht in der Lage, ein offenes und ehrliches Statement zu geben.
Dirigent Daniel Barenboim | Bildquelle: Peter Adamik Für den Dirigenten Daniel Barenboim ist der Angriff "etwas Mörderisches" – und zu diesem "inhumanen Akt" könne man sich nicht neutral verhalten. "Wir erleben einen kriminellen Vorgang. Es gibt keinen verhandelbaren Gedanken dahinter. Es geht um eine grausame Macht." Die Möglichkeit eines Dialogs mit Russland sieht der Dirigent derzeit nicht. "Wir erleben gerade eine grausame Diktatur." Andererseits betont Barenboim, dass er es nicht für richtig hält, wenn namhafte Künstler und Künstlerinnen ausgeladen würden – zumal wenn diese "mit Putin gar nichts zu tun und keine gute Meinung über ihn haben." Ganz anders verhalte es sich natürlich, wenn sie "Putin-Enthusiasten" seien und nicht bereit sind, sich zu distanzieren. "Dann verstehe ich, dass man sie nicht bei uns reinlässt."
Bildquelle: © Christoph Köstlin Die lettische Mezzosopranistin Elīna Garanča weist via Facebook auf ihre Konzertabsagen in Russland hin, die sie bereits am ersten Tag des Krieges beschlossen hatte. Als Lettin wisse sie, was Invasion und Besetzung bedeute und als Mutter, die ihren Kindern moralische Werte beibringe, stünde sie für eine freie und unabhängige Ukraine. So finde sie es unverantwortlich und unmoralisch, ihren Namen mit russischen Events in Verbindung zu wissen. "Ich kann keine Menschen unterstützen, die Putin und sein Regime unterstützen, auch wenn sie gefangen sind und dadurch nicht in der Lage, ein offenes und ehrliches Statement zu geben."
Die Biografie der russischen Pianisten Olga Scheps zeigt, wie verwoben das ukrainische und das russische Volk sind. Ihre Eltern sind in der Ukraine geboren, der Vater in einer jüdischen Familie, beide sind für ihr Musikstudium nach Moskau gezogen. In den Neunzigern sind sie dann mit ihrer Tochter nach Deutschland immigriert. Olga Scheps bekundet auf ihrem Facebook-Kanal ihr Beileid für das ukrainische Volk. Zudem betont sie, dass es in Russland viele Gegner des Krieges gebe, dass Entscheidungen von Regierungen nicht das reflektierten, was das Volk will. Der Angriff Putins sei nicht nur ein Angriff gegen die Ukraine, sondern gegen die westliche Welt. Und nun sei es an jedem Einzelnen, für den Frieden aufzustehen.
Kennt die Angst vor russischer Aggression aus ihrer Kindheit: Lisa Batiashvili. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Auch die georgisch-deutsche Geigerin Lisa Batiashvili ist durch Biografie vom Konflikt mit Russland geprägt: "Seit ich zwölf Jahre alt bin, habe ich das Glück, in Deutschland zu leben. Mein ganzes Leben lang hat mich diese Angst vor russischer Aggression mitverfolgt. Das liegt daran, dass mein Land Georgien schon 1991 einmal annektiert wurde", sagt sie im Interview mit BR-KLASSIK. Auf Facebook postet Batiashvili, die schon 2015 auf dem Majdan-Platz in Kiev auftrat, Solidaritätsbekundungen. Darunter auch das Statement des russischen Pianisten Evgeny Kissin, der etwa 2021 auch für die Freilassung von Alexei Nawalny in Russland eintrat: Ein aggressiver Krieg, in dem eine Armee in ein anderes Land, von dem keine Bedrohung ausgeht, einfällt, sei ein Verbrechen und durch nichts zu entschuldigen, sagt Kissin per Videobotschaft.
Der lettische Geiger Gidon Kremer, ein erklärter Gegner von Putins Politik, gab BR-KLASSIK über sein Management zur Auskunft, er sei zutiefst erschüttert von den Vorgängen in der Ukraine. Bestürzt äußerte sich auch der aus Russland stammende Dirigent Semjon Bytschkow, Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie: "Die Träger des Todes und der Vernichtung müssen zur Verantwortung gezogen und geächtet werden", teilte der 69-Jährige am Donnerstag laut dpa mit. Man dürfe nicht schweigen, wenn sich die Geschichte wiederhole. Bytschkow erinnerte dabei an die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1956 und den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei 1968.
Die westliche – insbesondere die amerikanische – Ignoranz der russischen Geschichte und Kultur gegenüber erreicht hier auf Twitter olympisches Gold-Niveau
Bildquelle: Stephan Doleschal Wie wichtig auch die russische Geschichte in diesem Konflikt sei, darauf weist der iranische Cembalist Mahan Esfahani auf Twitter hin. Natürlich solle das Recht der Ukrainer und der Ukraine auf Unabhängigkeit unterstützt werden und alles dafür getan werden, sich dem russischen Regime entgegenzusetzen. Doch: "Die westliche – insbesondere die amerikanische – Ignoranz der russischen Geschichte und Kultur gegenüber erreicht hier auf Twitter olympisches Gold-Niveau". Der Dirigent Lorenzo Viotti behält ebenfalls auch die russische Seite im Blick. Er widmete seine jüngsten Konzerte im Teatro alla Scala in Mailand auf Instagram "jeder einzelnen Person, die unter dieser schrecklichen Ungerechtigkeit leidet, auf beiden Seiten". Auf dem Programm standen dabei Werke von Tschaikowsky und Rachmaninow – zwei außergewöhnliche russische Musiker, die für ihre eigene Freiheit hätten kämpfen müssen und ihr Leben unter Diktaturen riskiert hätten, wie Viotti schreibt.
Anna Netrebko hingegen, die sich im Zuge der Krim-Annextion öffentlich hinter Putins Politik stellte und ihren 50. Geburtstag im Kreml feierte, fordert ein Recht auf unpolitische Haltung für sich ein. Sie sei gegen den Krieg, aber eigentlich eine unpolitische Person. Dass sie nun auf Social-Media-Plattformen zu Statements gezwungen werde, kritisiert sie scharf und vergleicht die Forderungen an sie mit der Haltung "blinder Aggressoren". Igor Levit wiederum sieht die Kunst beleidigt, wenn eine unpolitische Haltung in so einem Fall mit dem eigenen Künstler-Dasein entschuldigt wird.
Hat Konzert in Moskau abgesagt: Piotr Beczała | Bildquelle: picture-alliance/dpa Eindeutig positioniert sich so auch als Mensch und Künstler der Tenor Piotr Beczała gegen Putins Krieg und sagt ein für Mai geplantes Konzert mit dem Russian National Youth Symphony Orchestra in Moskau ab. "Ich weiß, dass sich eine Menge meiner russischer Fans sehr darauf gefreut haben, aber angesichts der Tatsachen ist das die einzig richtige Entscheidung", erklärt Beczala weiter. "Wir sind nicht machtlos."
Ich bin ein Künstler und ich kann meine Stimme benutzen, um meiner Haltung gegen den Krieg Ausdruck zu verleihen. Wir sind nicht machtlos.
"Wir sprechen nun nicht als Vertreter der Kulturszene, sondern als normale Menschen, als Bürger unseres Landes", heißt es hingegen in einem offenen Brief aus Russland. Den hat unter anderen auch der Chef des Bolshoi Theaters Vladimir Urin unterzeichnet. Eigentlich galt er Putin gegenüber als loyal. "Wir wollen keinen neuen Krieg, wir wollen nicht, dass Menschen sterben", heißt es in dem Brief weiter, man fordere jeden, den es betrifft, dazu auf, die bewaffneten Aktionen zu stoppen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Wir wollen keinen neuen Krieg, wir wollen nicht, dass Menschen sterben.
Kommentare (6)
Donnerstag, 03.März, 10:53 Uhr
Mark Oliva
Kunst, Politik, Krieg
Gruß aus dem fränkischen Steigerwald! Besten Dank für diese Zusammenfassung. Ich denke, die meisten von uns wollen nicht diktieren, wie Künstler denken sollten, aber wie sie sich benehmen, ist dann eine andere Frage. Verloren ist diese Frage in vielen Diskussionen und leider auch in Meinungsartikeln und Rezensionen der "Suddeutschen Zeitung," in einer Zeitung, die ich hoch respektiere. Wenn es um Valery Abissalowitsch Gergiev oder Anna Jurewna Netrebko geht, ist Benehmen, nicht politische Meinung, die Kernfrage. Weder Dieter Reiter noch die Bayerische Staatsoper ist schuld daran, dass beide jetzt ausgestoßen werden und werden müssen. Gergiev und Netrebko haben ihre Unterstützung des blutigen Schlachters Vladimir Vladimirowitsch Putin öffentlich auf die Bühne gebracht. Sie sind es, nicht Reiter oder die Oper, die ihre Eignung für unsere Konzerthallen in Frage gebracht haben. Das ist besonders der Fall mit Gergiev, der als Angestellter der Stadt München den Ruf der Stadt bedrohte
Donnerstag, 03.März, 10:47 Uhr
H. Memo Rhein
Friedensinitiative durch Kunst und Kultur
Sehr geehrte Redaktion - als Erfinder des Labels St. Petersburg Classics - in den 90ern veröffentlicht von Soyn Classical, hatten meine Frau und ich damals das Anliegen Russland und die damaligen Zustände speziell in St. Petersburg in ein objektiveres Licht zu rücken und den Künstlern dort eine bessere Zukunft zu bieten. Das alles hat sehr viel positive Früchte getragen. Die ganze Aktivität wurde dann auch auf Litauen, Estland, Georgien und andere Städte in Russland ausgeweitet. Noch heute sind wir intensiv in Georgien und auch in St. Petersburg tätig. Wir kennen also Kultur und Seele dieser Länder. Obschon auch wir glauben dass Gergiev zu Nahe an Putin steht und seine irrwitzigen und falschen Statements für Putin abgibt .. wäre es aller Kunst und Kulturbeflissenen mehr gedient gewesen, den Versuch zu unternehmen Ihn an die Spitze einer internationalen Friedensinitiative zu manövireren. Zumindest ein Versuch wäre es wert gewesen. Vielleicht war dem auch so.. und er hat versagt.
Mittwoch, 02.März, 16:33 Uhr
Dr. Helmut Krenek
Kündigung des Vertrages mit Herrn Gergiev
Zu der Kündigung des Vertrages mit Herrn Gergiev gibt es aus meiner Sicht keine Alternative. ich habe allerdings mein Abonnement bei den Münchener Philharmonikern aufgrund seiner Haltung zu Herrn Putin und der Annexion der Krim schon in dem Augenblick gekündigt, als er Chefdirigent wurde.
Mittwoch, 02.März, 15:10 Uhr
Beate Schwärzler
Künstler gegen den Krieg -Solidarität der Musiker
Ich fühle mich nimmer so alleine mit meiner Angst,
wenn Musiker aus der Ukraine, aus Georgien, aus Lettland und aus Rußland sich an die Seite
der Menschen in der Ukraine stellen und klare, unmißverständliche Worte finden gegen diesen
Krieg und gegen Putin, der ihn vom Zaun gebrochen hat.
Danke.
Eine Musikliebhaberin, die sich vorwärts freut, wenn sie Euch wieder zuhören kann !
Dienstag, 01.März, 07:45 Uhr
Giorgio Baumgartner
Waere es nicht einfacher, wenn Frau Netrebko sagte, Sie pro-Putin sei?
Montag, 28.Februar, 20:51 Uhr
Brigitte Braun
You may say I‘m a dreamer …
Die Gedanken sind frei
Wer kann sie erraten
Sie fliegen vorbei
Wie nächtliche Schatten
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger erschießen,
Es bleibet dabei,
Die Gedanken sind frei…
Dieses Lied sollte in der freien Welt jeder Chor singen oder summen, jede Orgel in Kirchen und jedes Orchester intonieren, um denMenschen, die in Unfreiheit leben müssen, den Rücken zu stärken.