Karneval und Oper haben viel gemeinsam: das Spiel unter der Maske, das Experiment mit vertauschten Identitäten – und die Lust an Grenzüberschreitungen. Als "Lachkultur des Volkes" hat der Literaturwissenschaftler Michail Bachtin den mittelalterlichen Karneval bezeichnet. In Florenz veranstaltet im späten 15. Jahrhundert der Medici-Fürst Lorenzo der Prächtige opulente Maskenfeste. Später wird sich Venedig als italienische Karnevals-Hauptstadt etablieren. Karneval und Fasching finden sich auch in der klassischen Musik – als Thema, stimmungsvoller Hintergrund oder karnevaleske Einsprengsel.
Rom, Rosenmontag 1529: Der Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini nutzt den Karneval für eine gezielte Provokation. Inmitten einer Gruppe Maskierter singt er Spottlieder auf die herrschende Ordnung; als Kapuzinermönch verkleidet wird der Libertin später im Karnevalstreiben ein Mädchen entführen, das schon längst einem anderen versprochen ist. Soweit die Handlung der Oper "Benvenuto Cellini" von Hector Berlioz.
Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.
Bei aller Lebensfreude: Der Tod ist im Karneval allgegenwärtig. Als "carpe diem", das man der Mahnung "Memento mori" ("Bedenke, dass du sterblich bist") trotzig entgegenhält. Im dritten Akt von Giuseppe Verdis "Traviata" stirbt in einem ärmlichen Dachzimmer in Paris die einstige Edelkurtisane Violetta – und von der Straße dringt Faschingslärm in die Wohnung. Der Karneval feiert ungerührt das Leben. Er schert sich nicht um ein Einzelschicksal.
Im Komischen verharrt auch die Opera buffa des 18. Jahrhunderts. Sie speist sich aus dem Figurenarsenal der Commedia dell‘arte und verhandelt auf der Bühne die älteste Komödiensituation überhaupt: den Kampf Jung gegen Alt. Da werden zuhauf falsche Apotheker, Ärzte und Notare sowie intrigante Dienerpaare aufgefahren. Karnevaleske Zutaten dieser Art finden wir in Cimarosas "Matrimonio segreto", aber auch später in Mozarts "Così fan tutte", in Rossinis "Barbier von Sevilla" sowie im "Rosenkavalier" und in der "Schweigsamen Frau" von Richard Strauss.
Über die Alte Rheinbrücke in Düsseldorf ging am Rosenmontag des Jahres 1854 ein Mensch, der im strömenden Regen mit seinem geblümten Schlafrock unter den vielen Maskierten nicht auffiel.
Der Mensch im geblümten Schlafrock ist nicht in Karnevalslaune. Sekunden später stürzt er sich von der Brücke in den Fluss. Schifferknechte retten ihn – es ist der Komponist Robert Schumann. Karnevaleskes von ihm haben die Pianisten in ihrem Repertoire: "Carnaval" heißt Schumanns op. 9 von 1835. Ein paar Jahre später schreibt er seinen "Faschingsschwank aus Wien".
Camille Saint-Saëns hält seinen Faschingsbeitrag von 1886 ein Leben lang unter Verschluss. Der parodistische "Karneval der Tiere" (mit einem von Schildkröten in Zeitlupe getanzten Offenbachschen Cancan) darf erst nach dem Tod des Komponisten erscheinen.
Und damit wieder auf die andere Seite der Alpen: Den berühmten Karneval in Venedig will sich im Jahr 1716 auch der bayerische Kurprinz Karl Albrecht auf keinen Fall entgehen lassen. Zu seinem Glück ist er mit viel Vorlauf angereist. In Verona heißt nämlich die behördliche Anordnung: Social Distancing und 40 Tage Quarantäne, bis gewährleistet ist, dass der Prinz nicht die Pest eingeschleppt hat. Am 3. Februar erreicht er Venedig – und geht noch am selben Abend in die Oper.