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150 Jahre "Fledermaus" Erfolgsgeschichte der berühmtesten Operette

Als "Die Fledermaus" am 5. April 1874 uraufgeführt wurde, war Wien noch vom großen Gründerkrach traumatisiert. Erst ein Jahr zuvor war die Börse zusammengebrochen, viele Wiener hatten ihr Vermögen verloren. Umso größer war ihr Bedürfnis nach Ablenkung. Und die lieferte ihnen die "Fledermaus" – mitsamt der ganzen Verlogenheit der Gesellschaft, ihrem Hedonismus, ihrem Kostümzwang und Maskeraden vorgetäuschter Identitäten und Gefühle – ein Fest der Falschheit als kapitalistische Utopie des ungehemmten Konsums: "Für die Ewigkeit, immer so wie heut! Wenn wir morgen noch dran denken..."

Strauß dirigiert "Die Fledermaus", Titelblatt der Zeitschrift "Kikeriki" | Bildquelle: © Privatarchiv Stefan Frey

Bildquelle: © Privatarchiv Stefan Frey

"Die Ouvertüre beginnt. Die Geigen intonieren das erste Walzer-Motiv – stürmischer Beifall, ein neues Motiv – donnerndes Händeklatschen! Die Ouvertüre ist zu Ende und wieder rast begeisterter Beifall durch's Haus, es ist als wollten die Leute aufjauchzen vor Vergnügen. Der Vorhang geht auf. Plötzlich stürzt das Stubenmädchen herein. Beifallssturm. Und so geht's fort. Erst kommt die Begrüßung jeder auftretenden Person, dann der Beifall für ihre musikalische Leistung, oder besser für die des Componisten. Und so spielt das Publikum gewissermaßen bei dieser ersten Aufführung mit." Deutsche Zeitung Wiens über die Uraufführung der 'Fledermaus'

Johann Strauß – vom Walzerkönig zum Operettenkomponisten

Karritaktur von Johann Strauß Sohn von 1872 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images Johann Strauß (Sohn), Karrikatur von 1872 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images Das Publikum der Uraufführung der Fledermaus feiert Johann Strauß, als stünde er noch immer auf dem Podium eines Ballsaals. Schließlich hat sich der Komponist erst drei Jahre zuvor von der Tanzmusik verabschiedet und der Operette zugewandt. Doch fremdelt er spürbar mit dem neuen Genre, besonders was die Libretti betrifft. Seine ersten beiden Operetten Indigo  und Carneval in Rom sind große Ausstattungstücke und so rät ihm sein langjähriger Freund Anton Langer: "Verlasse den Weg der Ausstattungsoperette, Du hast Talent genug, dass eine Operette von Dir keine Ausstattung braucht als Deine Musik. Du hast nicht notwendig, ein halbes Hundert halbnackter Weiber hinaufzustellen, Deinen Triumph mit dem Schneider, Dekorateur, Kaschierer, Goldsticker und Lichteffektfabrikanten zu teilen. Schau Dich um ein gutes Textbuch für ein Lustspiel um und du wirst Deine eigentlichsten, Deine glänzendsten Erfolge erringen."

Lustspiel-Libretto aus Paris

Und tatsächlich wird Maximilian Steiner, der Direktor des Theaters an der Wien, in Paris fündigbei den Offenbach-Librettisten Ludovic Halévy und Henri Meilhacund er wirbt die Rechte an ihrer Komödie Le Réveillon für Johann Strauß. Der komponiert gerade seine zweite Operette: Carneval in Rom für die in Wien stattfindende Weltausstellung. Wien will sich hier als moderne Weltstadt präsentieren, als Konkurrentin von Paris. Die Rotunde auf dem Ausstellungsgelände im Prater fasst über 27.000 Menschen und die Ausstellungsfläche übertrifft die der Pariser Weltausstellung um das Fünffache!

Der schwarze Freitag 1873

Strauss, Fledermaus / Titelblatt 1875 Strauss, Johann (Sohn), 1825-1899. Werke: Die Fledermaus (Operette; 1874) - Titelblatt zu: Fledermaus Quadrilles, on Strauss' New Opera, by M. Kiko, o.O.u.J. (London, um 1875). - Mit Farblithographie von Alfred Cone- mann. Berlin, Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte. | Bildquelle: picture-alliance / akg-images "Die Fledermaus" – Titelblatt von 1875 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images Doch die Eröffnungsfeierlichkeiten am 1. Mai 1873 werden durch Dauerregen getrübt. Zehn Tage später meldet die Neue Freie Presse: "Am Freitag ist eine Katastrophe über die Börse hereingebrochen, wie sie eine unheilbrütende Phantasie nicht drastischer ersinnen konnte. Die Wirkung der Überspekulation ist eingetreten, das Gebäude zusammengebrochen, welches aus Aktien gebaut war – Jammer, Elend und Vernichtung!" Der große Krach erschüttert von Wien ausgehend ganz Europa: Aktienkurse fallen um 100 Prozent, es gibt über 200 Firmeninsolvenzen, die Arbeitslosigkeit steigt sprunghaft. Und genau in dieser Zeit fängt Johann Strauß an, seine dritte Operette zu komponieren: Die Feldermaus. Deren Held, Gabriel von Eisenstein, ist nicht ungestraft Rentier, lebt also von den Zinsen seines Kapitals, den Dividenden seiner Aktien. Sein ganzes Dasein ist Spekulation. Eben noch hat er vom Börsenboom der Gründerjahre profitiert – jetzt wird er zum Jedermann des Börsenkrachsfür den Schriftsteller Hans Weigel kein Zufall: "Die Operette spielt in der Nacht von einem Donnerstag auf einen Freitag, der noch nicht weiß, dass er der Schwarze wird! Dazu passt die im langsamen Dreivierteltakt vollzogene Synthese von Nestroy und Grillparzer: "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!" – Das österreichische Weltbild kennt keinen echteren, legitimeren Ausdruck!"

Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!
Motto aus der 'Fledermaus'

Richard Genée schreibt neues Libretto

Wie aus der französischen Vorlage Le Réveillon Die Fledermaus geworden ist, weiß am besten Richard Genée, damals Kapellmeister, Arrangeur und Librettist des Theaters an der Wien. Ihm nämlich schickt Direktor Steiner eine Übersetzung der Réveillon von Carl Haffner, seinem fast 70-jährigen früheren Hausautor: "Ich fand die Übersetzung unmöglich, erbat mir am anderen Morgen das französische Original und schrieb hiernach das Libretto der Fledermaus", so Richard Genée. "Von der Haffnerschen Posse, die ich zurückgab, benutzte ich nur die Namen der Personen. Auch vom Original musste ich in Szenenbau und Charakter abweichen, da in Reveillon beispielsweise die Geliebte des Prinzen die Hauptrolle des Stücks ist, Rosalinde nur im ersten Akt vorkommt, nicht verkleidet auf den Ball geht, dieser Ball nur ein Souper von sechs Personen ist usw."

Perfektes Team: Richard Genée und Johann Strauß

Franz Friedrich Richard Genée, Komponist und Librettist, undatierte Porträtaufnahme  | Bildquelle: picture alliance / akg Richard Genée | Bildquelle: picture alliance / akg Am Ende ist die Wiener Adaption sogar satirischer als die französische Vorlage. Richard Genée hat ganze Arbeit geleistet, schließlich ist er selbst Komponist, für Strauß also der idealer Librettist: "Damals fiel mir die Aufgabe zu, Johann Strauß für die Bühne zu gewinnen, welchen ich mit meinen Theatererfahrungen unterstützen sollte", erinnert sich Genée später. "Es waren schöne Tage, wo wir uns musicalische Einfälle theilten, das rechte Wort dazu suchten, sie systematisirten, eintheilten, charakterisirten, zuspitzten." In der Regel schreibt Genée zuerst alle Gesangstexte, dann sucht Strauß die dazu passenden Melodien. Boten eilen zwischen der Strauß-Villa in Hietzing und Genées Wohnung in der Gumpendorferstraße hin und her. Strauß schickt Genée die nur notdürftig harmonisierte Skizze einer Nummer, der versieht sie, wenn nötig, mit neuem Text und fertigt ein Partiturgerüst an. Das geht zurück an Strauß, der die Nummer dann fertigstellte und die die Instrumentierung vervollständigt. Aufgrund der auffallenden Ähnlichkeit der Genéeschen Handschrift mit der von Strauß lassen sich Details heute kaum noch klären. Genées Mitautorschaft bleibt ein von allen Beteiligten gut gehütetes Geheimnis.

Zensur bei Prinz Orlofsky, Eisenstein und Rosalinde

Am 3. März 1874 wird das Libretto, noch unter dem Titel: Doktor Fledermaus, wie vorgeschrieben, bei der Zensurbehörde eingereicht. Der Zensor streicht aus der Rolle des Prinzen Orlofsky die Worte: "In meinem Haus hat jede Dame das Recht, sich zu verhüllen oder zu enthüllen, so weit sie will." Außerdem einen Satz aus Eisensteins und Rosalindes Uhrenduett: "Um mich so zu überlisten, muß sie sehr gerieben sein. Auch weiß sie wie Kommunisten, nicht zu scheiden zwischen Mein und dein."

anstandslos vollinhaltlich zur Aufführung zulässig
k.k.Polizeidirektion über die 'Fledermaus'

Nach entsprechenden Änderungen erklärt die k.k. Polizeidirektion am 18. März 1874 die Operette als "anstandslos vollinhaltlich zur Aufführung zulässig". Erst zu diesem Zeitpunkt ist auch die Besetzung des Werkes komplett. Schon vorher hat die Direktion bekannt gegeben, dass für den großen Maskenball des zweiten Aktes eine eigene Dekoration angefertigt werde.

Uraufführung und vernichtende Kritik von Eduard Hanslick

Der Musikkritiker Eduard Hanslick | Bildquelle: picture alliance / akg Gefürchteter Kritiker: Eduard Hanslick (1825-1904) | Bildquelle: picture alliance / akg Der Premierentermin fällt schließlich auf Ostersonntag, an dem nur zu wohltätigen Zwecken gespielt werden darf. So findet die Uraufführung "zum Besten der Kaiser Franz Joseph-Stiftung für das Kleingewerbe" statt! "Der Erfolg war ungewöhnlich groß", schreibt "Die Presse" in Wien am 6. April 1874. Der Walzer dominirte und zündete. Der Applaus war stürmisch; er galt in erster Linie Herrn Johann Strauß, in zweiter Linie den Darstellern. Während der Aufführung wurden zahlreiche Musikstücke da capo verlangt, Marie Geistinger musste sogar den schwierigen Csárdás zweimal singen. Der Abend verlief zwischen Musik und geräuschvollen Beifallsäußerungen."

Die Resonanz ist enthusiastisch. Nur Wiens Großkritiker und Strauß-Freund Eduard Hanslick spielt nicht mit: "Was nur gegen die jämmerlichen Libretti unserer Zeit gesagt und geschrieben wurde, ist vollgültig für Johann Strauß' neuestes Bühnenwerk. Schlechte Witze und schlechtere Kalauer jagen sich wie Ungeziefer am unreinlichen Orte. Ein unlösbares Räthsel bleibt es uns, dass man für solche Worte Musik haben kann."

Von Wien nach Berlin

Die Fledermaus steht noch zwei Monate fast allabendlich auf dem Spielplan des Theaters an der Wien und am 8. Juli 1875 erreicht Die Fledermaus schließlich Berlin. Und erst von hier aus tritt sie ihren Siegeszug an, der sie durch die ganze Welt führen wird – mit Ausnahme Frankreichs. Dort nämlich haben Meilhac und Halévy gegen die von ihnen nicht autorisierte Verwendung ihrer Réveillon geklagt, so dass Strauß schließlich eine eigene französische Version schreibt.

Tantiemenstreit

Nur Richard Genée kann von dem Erfolg nicht profitieren. Für die Fledermaus erhält er keine Tantiemen. Zwar wird er danach zusammen mit Friedrich Zell zum erfolgreichsten Wiener Operetten-Librettisten – mit Welterfolgen wie Suppés Boccacccio, Millöckers Bettelstudent oder Eine Nacht in Venedig von Strauß. Doch dass er ausgerechnet von seiner erfolgreichsten Operette finanziell nicht profitieren kann, wurmt ihn. Erst im Alter von 68 Jahren traut er sich in einem Schreiben an Gustav Lewy, den Agenten von Strauß, schließlich doch seine Ansprüche geltend zu machen:

Richard Genée – Brief von 1891 an Agenten von Johann Strauß

"Verehrter Herr und Freund!

Als ich vor 16 Jahren die Bearbeitung des Libretto "Fledermaus" übernahm, stand ich in kontraktlichem Verhältnis zu dem damaligen Direktor des Theaters an der Wien Maximilian Steiner und hatte als Kapellmeister jede Bearbeitung, die mir von der Direktion übertragen war, gegen ein fixes Honorar von 100 fl. (Gulden) pro Akt auszuführen. Somit erhielt ich für das Libretto Fledermaus ein für alle Mal 300 fl. und musste es mir gefallen lassen, dass die Operette über alle Bühnen ging, ohne dass ich dafür Tantiemen bezog. Nachdem nun mein damaliges Abhängigkeitsverhältnis längst gelöst ist und ich durch 16 Jahre dem Komponisten die Einkünfte ungeschmälert überließ, zeige ich Ihnen als unserem gemeinsamen Vertreter an, dass ich vom Neujahrstag 1892 angefangen das Anrecht auf mein geistiges Eigentum nicht mehr preiszugeben gedenke, sondern bei weiteren Aufführungen der Fledermaus den herkömmlichen Librettisten-Anteil beanspruche.

Mit besten Grüßen,
Ihr ergebener R.G.
Berlin, den 17. Dez. 1891"

Erst nach vielen Ausflüchten lenkt Strauß ein und entspricht Genées Bitte, allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur bis zu dessen Tod gelte. Genée akzeptiert, wenn auch widerwillig.

Zur Oper geadelt

Der Komponist Johann Strauß Sohn  | Bildquelle: picture-alliance/dpa/akg-images Johann Strauß (1825-1899) | Bildquelle: picture-alliance/dpa/akg-images Anlässlich des 50-jährigen Komponistenjubiläums von Johann Strauß kommt Die Fledermaus am 28. Oktober 1894 sogar zu Opernehren – in einer Matinee "zum Vorteile des Pensionsfonds der Hofoper". Diese erste Aufführung einer Operette an einer Hofbühne ist der Höhe- und Endpunkt des Strauß-Jubiläums. Dem Jubilar ist nicht ganz wohl dabei, wie er an seine Bruder Eduard Strauß schreibt: "Bald beginnen die Fledermaus-Proben in der Oper! Dann beginnt abermals die Aufregung, weil die Fledermaus in diesen Räumen ganz neu ist und das Schwerfällige des Opernsängers nicht leicht zu beseitigen sein dürfte. Ganz anders, wenn im Wiednertheater 3, höchstens 4 Opernsänger mitwirken, als dort – wo alles von Opernkräften besorgt werden soll. Die Fledermaus eignet sich am wenigsten für das Opernhaus!" Die Aufführung wird trotzdem zum Triumph. Drei Jahre später wird sie sogar vom frisch gebackenen Hofoperndirektor neu einstudiert: "Seiner bisherigen Erfolge ungeachtet hat sich der junge Director Gustav Mahler doch erst mit der Fledermaus so recht in die Herzen der Wiener hineindirigiert. Meister Johann Strauß wird angenehm überrascht gewesen sein, Schönheiten in seiner verschwenderisch ausgestatteten Partitur zu finden, von deren Existenz er selber bisher nichts wusste. Er saß im Hintergrunde einer Parterreloge und harrte bis zum letzten Ton aus."

Für die Ewigkeit – immer so wie heut!
Zitat aus der 'Fledermaus'

Und er bedankt sich bei Mahler telegraphisch, der ihn wiederum einlädt, die Fledermaus in der Oper selbst zu dirigieren. Aus gesundheitlichen Gründen muss Strauß ablehnen, dirigiert aber immerhin die Ouvertüre. Am Pfingstmontag 1899, dem Tag des ersten Automobilrennens in Wien, feiert Johann Strauß sein Operndebüt. Zwei Wochen später erliegt er einer Lungenentzündung.

Sendung: "Musikfeature" am 5. April 2024 um 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Mittwoch, 10.April, 21:02 Uhr

Adele

Fledermaus

Herzlichen Dank, Herr Frey für diese Sendung! Hab's erst heute nachhören können, aber das mit großem Interesse. Da steckt sicher eine Menge Arbeit dahinter.
Ich weiß nicht, wie oft ich die Fledermaus schon gesehen habe, kann die Texte schon mitsprechen. Dieses Stück ist nie langweilig!!

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