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Frank Peter Zimmermann im Gespräch "Ein Mann muss seine Grenzen kennen"

Am 16. und 17. Mai gibt Frank Peter Zimmermann mit seinem Streichtrio zwei Konzerte in Bayern. Zimmermann gehört zu den klassischen Musikern, die sich nicht verbiegen lassen. Zu den Gepflogenheiten der Plattenbranche vertritt er eine genauso unverblümte Meinung wie zu Konzertgängern, die sich nicht benehmen können. Und er schätzt auch wenig gespieltes Repertoire – wie das Trio op. 45 von Schönberg, für das er in der Sendung "Meine Musik" am 11. Mai eine Lanze bricht.

Geiger Frank Peter Zimmermann | Bildquelle: © Harald Hoffmann

Bildquelle: © Harald Hoffmann

BR-KLASSIK: Frank Peter Zimmermann, als Junge wollten Sie "Weltgeiger" werden. Den Begriff haben Sie auf einer Schallplatte gefunden. Erzählen sie uns die Geschichte?

Frank Peter Zimmermann: Mein Vater war Cellist in Duisburg im Orchester und hatte eine große LP-Sammlung. Als ich so ungefähr fünf oder sechs Jahre alt war und dann langsam auch selbst mit der Geige begann, hat er sehr oft eine Doppel-LP mit dem großen russischen Geiger Leonid Kogan aus dem Schrank geholt. Ich erinnere mich an Saint-Saëns' "Rondo capriccioso" und einige unglaubliche Zugabenstücke, die er ja unnachahmlich gespielt hat. Er wurde dann mein erstes großes Vorbild – und interessanterweise: Der erste wichtige Lehrer, den ich hatte, war der Professor Valery Gradow, ein Assistent und Schüler Kogans.

Kein Interesse fürs Klavier

BR-KLASSIK: Haben Sie sich jemals vorstellen können, etwas anderes zu werden als Geiger?

Frank Peter Zimmermann: Das war nie ein Gedanke. Ich bin in einer musikalischen Familie groß geworden. Mein Vater war ja selbst in einem Opernorchester, und ich habe schon als Kind dauernd "Lohengrin" und "Tosca" und "Rigoletto" und alles Mögliche gehört – live im Opernhaus in Duisburg und Düsseldorf. Also war das für mich ganz klar, dass eigentlich nur Musik in Frage kam, und vor allen Dingen auch wirklich von vornherein schon, mit vier fünf Jahren, die Geige. Und nicht das Klavier. Mein Großvater hatte mir ein tolles Klavier gekauft zu meiner Geburt, er dachte, ich würde vielleicht Pianist, aber ich habe das Klavier nie angefasst. Später habe ich das bereut.

Ich lerne viel bewusster als früher.
Frank Peter Zimmermann

BR-KLASSIK: Wie funktioniert denn Ihr musikalisches Gedächtnis? Manche Leute haben ja so eine Art Film vor Augen, dass sie die Noten vor sich sehen. Andere haben die Musik in den Fingern, wieder andere hören sie innerlich.

Frank Peter Zimmermann: Als Kind habe ich die ganzen Stücke interessanterweise allein vom Gehör gelernt, und die Finger haben es dann irgendwann nachgemacht. Jetzt, in den letzten zehn, 15 Jahren, funktioniert es immer mehr mit dem Kopf. Es ist ganz komisch: Man wird älter und dann will man irgendwie doch stärker kontrollieren. Ich will nicht sagen, dass ich zum Kontrollfreak geworden bin, aber es wird doch immer mehr, und ich habe die Partitur nicht fotographisch vor mir. Ich lerne viel bewusster als früher. Und letztendlich gibt es dann doch bei manchen Stellen einen Automatismus der Finger – anders geht es gar nicht.

Den Menschen die Musik in die Seele bringen

BR-KLASSIK: Sie sind jemand, der ein sehr herzliches Verhältnis zum Publikum pflegt. Die Glenn Gould-Lösung – also nur noch im Studio zu arbeiten – wäre nichts für sie, oder?

Frank Peter Zimmermann: Ich glaube, da würde ich mir das Leben nehmen. Letztendlich ist doch die Musik dazu da, dass sie – wie Bach über seine "Goldberg-Variationen" gesagt hat – die Leute ergötzt, dass man wirklich seine Seele mit hineinbringt und versucht, den Leuten die Musik auch in die Seele zu bringen. Alles andere wäre zu abstrakt für mich.

BR-KLASSIK: Könnte Ihnen aber das Publikum auch ein Konzert verderben?

Frank Peter Zimmermann: Ja. Es gibt manchmal sehr unkonzentrierte Leute; da reichen zwei oder drei, die immer an den leisesten Stellen extra laut husten oder irgendwelche Handys, die dauernd losgehen. Manchmal hat man wirklich das Gefühl, die Leute sind einfach nur aus gesellschaftlichen Gründen da, und weniger, weil sie ein Beethoven-Quartett hören wollen. Meistens sind gerade die Konzert-Zyklen, für die besonders viel Geld gezahlt werden muss, für die Musiker nicht unbedingt die erbaulichsten.

Was die Plattenfirmen heutzutage von einem verlangen für eine lumpige CD!
Frank Peter Zimmermann

BR-KLASSIK: Das Wort Wahrheit ist Ihnen wichtig. Da steckt auch eine gewisse Philosophie drin – in dem Sinne, dass Sie sich damit auch von etwas abgrenzen wollen, das Sie nicht mögen, und zwar: Show. Ist das richtig?

Der Geiger Frank Peter Zimmermann | Bildquelle: Franz Hamm Frank Peter Zimmermann | Bildquelle: Franz Hamm Frank Peter Zimmermann: Ich bin bei der Plattenfirma EMI mit Künstlern wie Vanessa Mae und Nigel Kennedy groß geworden. Kennedy habe ich allerdings immer sehr geschätzt, nur hat er halt eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Damals habe ich das mitbekommen, wie das eigentlich geht, wenn man die Äußerlichkeiten in den Vordergrund stellt, um noch mehr Leute zu erreichen. Das war nie meine Welt. Heutzutage haben es die jungen Musiker gewiss noch viel schwerer als ich damals vor 30, 40 Jahren. Es spielen so viele andere Dinge eine Rolle. Selbst wenn ein großes Talent – ein junger Geiger oder Geigerin – entdeckt wird: Was da alles drumherum gemacht werden muss, da wurde damals nicht im Traum darüber nachgedacht. Oder auch: Was die Plattenfirmen heutzutage von einem verlangen für eine lumpige CD! Sagen wir es ruhig: Bei der Deutschen Grammophon wird von diesen Jungstars verlangt, dass sie denen Prozente von ihren Gagen abtreten – als Dank dafür, dass sie dort ihre Platte aufnehmen dürfen. Ich sage das jetzt ganz offen.

Lebensmotto aus einem Western

BR-KLASSIK: Von ihren Konzertgagen?

Frank Peter Zimmermann: Ja, das ist ganz offensichtlich; wenn man viel verkauft, greifen sie ja alle zu. Es geht im Grunde nur darum, den Reibach zu machen. Die Leute, die plötzlich "in" sind, werden so dermaßen herumgereicht und ausgequetscht. Warum macht man das? Warum verheizt man die in fünf oder zehn Jahren, und dann kommt der Nächste? Die Klassik war immer ein Markt für lediglich eine gewisse Anzahl von Menschen. Die meisten Künstler früher haben stetig über fünf, sechs Jahrzehnte musiziert und sind gewachsen an dem, was sie gemacht haben. So sehe ich das nach wie vor. Aber die Entwicklung sieht leider doch anders aus. Wie hat Clint Eastwood es in einem berühmten Western auf den Punkt gebracht? "A man has to now his limitations" – "Ein Mann muss seine Grenzen kennen". Und das ist wirklich wahr.

BR-KLASSIK: Ist das Ihr Motto?

Frank Peter Zimmermann: In gewisser Weise schon, ja! (lacht)

Schönberg und Bach im Kontrast

BR-KLASSIK: Sie werden demnächst mit ihrem Streichtrio zweimal in Bayern auftreten: am 16. Mai in Erlangen und am 17. Mai in München. Auf dem Programm steht auch das Schönberg-Trio. Das ist ja eine ganz unglaublich eindrucksvolle und ausdrucksvolle Musik, die sehr viel erzählt. Warum hat sie dieses Stück gefesselt?

Arnold Schönberg | Bildquelle: picture-alliance/Imagno Arnold Schönberg | Bildquelle: picture-alliance/Imagno Frank Peter Zimmermann: Das Repertoire für Streichtrio ist leider sehr begrenzt. Schönbergs Trio steht wahrscheinlich auf dem gleichen Level wie das Mozart-Divertimento KV 563. Das sind die beiden ganz großen Stücke für diese Besetzung. Das Schönberg-Trio ist ein unglaublich persönliches Stück. Er hatte ja diesen schlimmen Herzinfarkt kurz vorher: Eigentlich war er schon tot. Man hat ihn mit einer Spritze direkt ins Herz zurückgeholt, wie in dem Film "Pulp Fiction".

Während des Krankenhausaufenthalts hat er dann angefangen zu schreiben, das Trio ist angeblich ein genauer Report. Zu Thomas Mann hat Schönberg gesagt, jeder einzelne Akzent wäre eine Spritze oder irgendeine Infusion oder sonst eine Qual, die man ihm zugefügt hätte. Und manchmal kommen zwischendurch wunderbare Reminiszenzen, wo er sich an seine alte Heimat erinnert, wo man das Gefühl hat, es ist ein wunderbarer romantischer Wiener Walzer. Und dann hat er gesagt, dass er sogar seinen Krankenpfleger verewigt hätte in diesem Stück.

BR-KLASSIK: Als Kontrast dazu spielen Sie in den Konzerten Bachs Goldberg-Variationen in einer Streichtrio-Fassung – und zwar in Ihrer eigenen Version.

Frank Peter Zimmermann: Ja, unsere Fassung folgt vor allen Dingen wirklich dem originalen Cembalo-Text. Es gibt wirklich nur zwei, drei Stellen, in denen das Cello nicht den tiefen Ton spielen kann. Sonst ist jeder Ton, der im Bach'schen Original steht, übernommen.

Sendung: "Meine Musik" am Samstag, 11. Mai 2019 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Infos zu den Konzerten

Donnerstag, 16. Mai 2019, 20:00 Uhr
Erlangen,  Heinrich-Lades-Halle, Großer Saal
Freitag, 17. Mai 2019, 20:00 Uhr
München, Prinzregententheater

Arnold Schönberg: Streichtrio op. 45
Johann Sebastian Bach: "Goldberg-Variationen" (Fassung für Streichtrio)

Trio Zimmermann:
Frank Peter Zimmermann (Violine)
Antoine Tamestit (Viola)
Christian Poltéra (Violoncello)

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