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Porträt Nathan Amaral Der Geiger aus Rio

Ob man mit klassischer Musik in Berührung kommt? Immer noch eine Frage der Herkunft. Nathan Amaral ist in einer Favela in Rio aufgewachsen. Den Sprung in die Hochglanzwelt der westlichen Klassik hat er geschafft. Seine Wurzeln vergisst er dabei nicht nur nicht, sie prägen auch sein Spiel.

Der Geiger Nathan Amaral | Bildquelle: New England Conservatory

Bildquelle: New England Conservatory

Wer den brasilianischen Geiger Nathan Amaral kennenlernen will, der geht am besten erstmal auf Instagram. Dort postet er regelmäßig Übe-Videos wie es zum Beispiel auch Hilary Hahn, die ihn auch förderte, tut. Man sieht ihn beim Geigespielen im schwarzen Polo-Shirt in seinem kleinen, bisschen altmodischen Zimmer in Boston. Eine dezente Blümchentapete im Hintergrund und ein paar Fotos auf der Holzkommode sind da noch im Bild. Nathan spielt nicht nur in die Kamera, sondern schreibt auch immer ein paar Sätze unter den Post - darüber was ihn gerade beim Üben beschäftigt. Im Interview erzählt er: "Ich experimentiere gerade mit einer anderen Haltung, die mir mehr Freiheit und Offenheit gibt. Und es ist auch ein kleines psychologisches Spiel mit mir selbst, dass ich mir mehr Raum zugestehe und mich öffne. Ohne arrogant zu sein, nur der Musik und dem Klang zuliebe."

Die Initialzündung: ein soziales Projekt in einer Favela in Rio de Janeiro

Es hat einen Grund, warum Nathan gerade dieses Thema der Haltung besonders umtreibt. Denn als er zum ersten Mal eine Geige in der Hand gehalten hat, als Zwölfjähriger, hat es da noch 50 andere Kinder im selben Raum gegeben. Das Team eines sozialen Projekts in Nathans Favela in Rio de Janeiro ist zuvor von Tür zu Tür gegangen und hat die Kinder eingeladen, mitzumachen. Nathan wollte eigentlich erstmal nicht, weil er gar nicht wusste, was eine Geige überhaupt ist. Seine Mutter hat ihn dann motiviert, mal was Neues auszuprobieren – zum Glück. "Ich bin dorthin gegangen und habe mich sofort in die Geige verliebt. Wie kann jemand mit einem kleinen Stück Holz so einen Klang erzeugen? Und es kann sich so gut anhören, aber jetzt klingts gerade scheußlich! Ich war immer neugierig die Logik dahinter zu verstehen." Doch die Startbedingungen waren hart. Für einen Jungen wie Nathan mit sehr langen Gliedmaßen muss es eine Verrenkung gewesen sein, die kleine Geige im vollen Raum zu spielen – und weiterzureichen, denn genügend Instrumente für alle gab es auch nicht. Aber dafür eine aufmerksame Lehrerin, die dem talentierten Nathan nach dem Gruppenmusizieren noch 15 Minuten extra Unterricht gegeben hat. "Und jetzt bin ich hier", fügt Nathan lachend an.   

Klassik mit brasilianischem Flavour

16 Jahre später hat Nathan Amaral sein Studium in Salzburg beendet, gewinnt Wettbewerbe, spielt CDs ein und tritt auf Kammermusikfestivals auf. Das Instrument kann er maximal drei Tage zur Seite legen, schmunzelt er, sonst fühlt er sich nicht wohl. Gerade wird er ein Jahr lang von Donald Weilerstein am New England Conservatory in Boston unterrichtet, von Mai 2024 an zieht Nathan wieder in seine Wahlheimat Berlin. Eine lebendige Stadt, die ihn sehr an seine Heimat erinnere. Nebenbei lernt er Unmengen an klassischem Repertoire, versucht die Intention der Komponistinnen und Komponisten aus dem Notentext herauszulesen. Und trotzdem vergisst er seine eigenen Wurzeln nicht. Ihm ist es wichtig, immer mal wieder Jazz und Bossa Nova zu spielen, die brasilianischen Rhythmen frisch zu halten, denn das wirke sich auch auf seine Interpretationen aus, erzählt er.

Ich verschließe nicht meine Augen vor dem Ort, von dem ich komme.
Nathan Amaral

Was Nathan aber besonders wichtig ist: Die Erfahrungen, die er in der Welt sammelt, bringt er wieder zurück nach Hause. "Mein Traum ist es, den Zugang zur Musik für Menschen, die etwas lernen wollen, zu ermöglichen. Ich habe Konzerte in Europa, in Amerika, aber ich verschließe nicht meine Augen vor dem Ort, von dem ich komme." Während der Pandemie wurden viele musikalische und soziale Projekte in den Favelas Brasiliens aufgegeben. Nathan will dem entgegenwirken und hat sein eigenes Festival gegründet, um jungen Talenten in Brasilien eine Bühne und musikalische Weiterbildung zu ermöglichen. Diesen Juli ist es wieder so weit. Nathan wird Konzerte organisieren und in Schulen spielen. Und wer weiß, vielleicht bringen nach seinen Konzerten dann ganz viele weitere Kinder dieses faszinierende Stück Holz zum Klingen.

Coming Soon: Nathan Amaral mit dem Chineke! Orchestra

Eingespielte Musik gibt es von Nathan Amaral noch nicht. Aber noch dieses Jahr wird das Violinkonzert von Joseph Bologne, gespielt von Nathan Amaral gemeinsam mit dem Chineke! Orchestra, beim Label Decca erscheinen.

Sendung: "Allegro" am 23. Februar ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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