Das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky ist ein Klassiker, der einst als unspielbar galt. Mit dem BRSO wird der israelische Geiger Vadim Gluzman dieses romantische Meisterwerk aufführen. Und das mit einer ganz besonderen Stradivari. Im BR-KLASSIK Interview erzählt er über dieses Instrument, seine Beziehung zum Stück und sein heimliches Lebensmotto.
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BR-Klassik: Das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky hat eine ganz besondere Rezeptionsgeschichte. Was verbinden Sie persönlich mit diesem Werk?
Vadim Gluzman: Wahrscheinlich träumt jeder Geiger schon als Kind von diesem Konzert. Schon nach meinem ersten Jahr Geigenunterricht habe ich meinen Lehrer gefragt, ob ich jetzt dieses Stück spielen kann. Und er hat konsequent geantwortet: Nein, das ist jetzt noch zu früh. Ich spiele dieses Stück jetzt seit 35 Jahren, und es bereitet mir genauso viel Freude wie vor 35 Jahren. Es ist eines dieser "Evergreen"-Stücke, die für mich nie langweilig werden.
BR-Klassik: Hat sich in den 35 Jahren Ihrer Interpretation dieses Konzerts denn etwas verändert?
Vadim Gluzman: Das ist schwer zu beantworten. Ich höre mir in der Regel meine eigenen Aufnahmen nicht an. Aber ich bin sicher, dass sich Vieles geändert hat. Einiges bewusst, einfach weil ich hoffentlich reifer bin und mehr weiß, mehr Erfahrungen habe. Und Anderes ändert sich fast von selbst, ohne dass ich es bemerke oder erst viel später. Musikmachen ist in großen Teilen sehr ähnlich wie das Tschaikowsky-Konzert. Vieles davon ist intuitiv, und ich bevorzuge es manchmal, es einfach geschehen zu lassen – vorausgesetzt, dass ich den musikalischen Verlauf als logisch empfinde. Hinzu kommt ein intellektueller Prozess des Entscheidens und dann der Versuch, diese Entscheidungen umzusetzen.
BR-Klassik: Tschaikowsky widmete das Konzert dem ungarischen Violinisten Leopold Auer, der die Uraufführung ablehnte. Er fand das Werk unspielbar, viel zu schwierig. Was verlangt das Konzert technisch vom Interpreten? Welche Hürden hat Tschaikowsky eingebaut?
Leopold Auer, 1864, mit jener Stradivari, auf der Vadim Gluzman heute auch spielt | Bildquelle: picture-alliance / akg-images | akg-images
Vadim Gluzman: Ja, tatsächlich hat Leopold Auer dieses Konzert als "ungeigerisch" bezeichnet. Welche Gründe dahinterstecken, ist schwer zu sagen. In Tschaikowskys Briefen aus dieser Zeit, besonders wenn er an seinen Bruder Modest schrieb, meine ich herauszulesen, dass zwischen den beiden etwas vorgefallen sein muss. Eigentlich war Tschaikowsky ein äußerst respektvoller, achtsamer Mensch, aber die Art, wie er Leopold Auer in seinen Briefen erwähnt, ist ein wenig unfreundlich. Das macht mich stutzig. Was allerdings für mich in diesen ganzen historischen Turbulenzen einzigartig ist: Ich spiele tatsächlich auf der Geige von Leopold Auer, und Tschaikowsky hat sich den Klang dieser Geige vorgestellt, als er sein Konzert schrieb. Das ist natürlich etwas sehr Inspirierendes, und das ist für mich eine sehr wertvolle Verbindung zu diesem Werk.
BR-Klassik: Also können Sie jetzt mit dieser Stradivari etwas gut machen?
Vadim Gluzman: Ich hoffe es (lacht) Ja, irgendwie schließt sich da der Kreis...ein ganz besonderes Gefühl für mich.
BR-Klassik: Diese "Ex-Leopold-Auer"-Stradivari spielen Sie ja bereits seit über 20 Jahren. Wie würden Sie Ihren Charakter beschreiben?
Vadim Gluzman: Es sind jetzt sogar fast 30 Jahre. Die Beziehung zwischen Spieler und Geige ist ein sehr interessanter Prozess, vergleichbar mit menschlichen Beziehungen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich einige Eigenschaften der Geige übernommen habe. Und andererseits weiß ich, dass ich diese Geige nach jahrelangem Spiel auch geprägt habe. Man wächst wirklich zu einem Organismus zusammen.
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BR-Klassik: Heute ist das Violinkonzert ein Pflichtstück für alle Studierenden, die sich für eine Position im Orchester bewerben. Ist das technische Niveau heute so hoch, dass das, was früher unspielbar war, jetzt machbar ist? Wie hat sich die Virtuosität in den letzten 100 Jahren bei den Violinisten entwickelt?
Vadim Gluzman: Jede Medaille hat zwei Seiten, wie man sagt. Fairerweise muss man feststellen, dass das allgemeine Niveau des Spielens sensationell gestiegen ist. Doch nur die Zeit wird zeigen, ob unter den Vielen auch ein Heifetz ist. Ich möchte kein Urteil fällen. Ich habe Fragen und ich habe Zweifel. Eine Sache, die ich mit großer Sicherheit sagen kann, ist, dass es heute mehr Menschen gibt, die das Tschaikowsky-Konzert fantastisch spielen können, als es vor 100 Jahren der Fall war.
BR-Klassik: Verstehe ich Sie richtig, dass es eine andere Art des Spielens jenseits der perfekten Intonation und der richtigen Noten gibt?
Vadim Gluzman: Ja natürlich. Die Interpretation steckt zwischen den Noten. Die Noten sind nur das Vehikel, das die Musik transportiert. Und genau da kommt die Interpretation ins Spiel. Das können wir nicht berechnen, nicht vorhersagen, nicht einmal lehren, aber wir können es sicherlich erkennen und wir werden es wissen, wenn wir es hören.
Die Musik wird bleiben – nicht die Interpreten.
BR-Klassik: Haben Sie jemals Komponisten inspiriert? Haben Sie jemals einen Kompositionsprozess als Geiger mit Ihrer Expertise begleitet?
Vadim Gluzman: Schwer zu sagen, ob etwas durch mein Spiel inspiriert wurde oder nicht. Im Grunde spielt das auch wirklich keine Rolle. Musik ist die abstrakteste Form der Kunst. Dies oder das könnte als Inspiration gedient haben, aber letztlich überlebt hoffentlich dieses Stück von Generation zu Generation, und irgendwann ist es egal, ob es Vadim Gluzman war oder – mit all meiner Liebe und Respekt – Isabelle Faust oder einer meiner wunderbaren Kollegen. Die Musik wird bleiben.
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BR-Klassik: Sie haben einmal gesagt, dass der Geiger David Oistrach Ihr Vorbild ist. Was bewundern Sie an ihm?
Vadim Gluzman: Ich bewundere was er als Mensch in der Kunst, in der Musik darstellte. Natürlich ist sein Spiel mir sehr nahe. Aber nicht in dem Sinne, dass ich versuchen möchte, es zu imitieren – mal abgesehen davon, dass ich das gar nicht könnte. Ich bewundere seine Aufnahmen. Er war ein Vorbild für junge Musiker, auch ein Mentor, und natürlich ein außergewöhnlicher Geiger und Dirigent und weit mehr. Er ist für mich im Grunde der Typ des perfekten Künstlers, der absolut alles gegeben hat, ob als Lehrer im Konservatorium oder auf der Bühne als Geiger oder später als Dirigent. Es gab bei ihm keine Kompromisse, nicht künstlerisch, nicht menschlich. Das ist wahrscheinlich der Grund.
BR-Klassik: Der Dirigent des heutigen Abends ist Tugan Sokhiev. Sie haben viele Male mit ihm zusammengearbeitet, spielen seit vielen Jahren zusammen. Was verbindet Sie beide künstlerisch?
Kennt den Geiger Vadim Gluzman schon lange: Dirigent Tugan Sokhiev | Bildquelle: Marco Borggreve
Vadim Gluzman: Ja, Tugan ist einer meiner sehr lieben und sehr engen musikalischen Freunde und Kollegen. Wir waren beide sehr jung, als wir das erste Mal zusammen musiziert haben. Es ist unmöglich zu zählen, wie viele Konzerte, mit wie vielen Orchestern wir bis heute gespielt haben. Klar ist: wir sprechen die gleiche musikalische Sprache und verstehen uns auf einer sehr intuitiven Ebene. Was erwartet wird, darin haben wir beide viel Erfahrung. Insofern beginnen wir immer unseren Probenprozess auf einem grundsätzlich höheren Niveau. Wir müssen nicht über Dinge sprechen, die uns beiden klar sind. Wir können darüber hinausgehen und sofort über etwas Spannenderes oder Sensibleres diskutieren. Vielleicht ergibt sich dadurch ein spontaneres, tieferes Durchdringen der Partitur. Abgesehen davon ist es natürlich ein Luxus, einen Freund neben sich zu haben.
Am 10. und 11. April 2025 spielt Vadim Gluzman beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Tugan Sokhiev in der Münchner Isarphilharmonie. Das Konzert am Freitagabend überträgt BR-KLASSIK live ab 20.03 Uhr. Im Anschluss können Sie es hier noch 7 Tage lang anhören.
BR-Klassik: Das heißt, Sie können stets etwas voneinander lernen?
Vadim Gluzman: Es ist ein nie endender Prozess. Musik ist nie fixiert, nie in Stein gemeißelt, sie ist immer lebendig.
BR-Klassik: Während einer Proben haben Sie einmal ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Keep calm and fiddle on" getragen. Könnte das Ihr Lebensmotto sein?
Vadim Gluzman: Nein, ich würde nicht sagen, dass dies grundsätzlich mein Lebensmotto ist. Es war ein Geburtstagsgeschenk von einem Freund. Und ich mag es sehr. Denn in diesem Spruch ist etwas Wahres, besonders wenn wir uns umschauen. Unsere Welt lässt viel zu wünschen übrig. Ich glaube, Musik ist ein unglaublicher Zufluchtsort für uns alle. Da spielt es keine Rolle, ob wir auf der Bühne oder im Publikum sind. Vielleicht können wir das in diesen Momenten, in diesen wenigen Minuten einfach mal vergessen, ins innere Gleichgewicht kommen, eine sichere Umgebung spüren. Musik kommt dem am nächsten, was wir uns vorstellen können. Also ja, "keep calm and fiddle on"! (lacht)
Sendung: "Leporello" auf BR-KLASSIK am 11.04.2025 ab 16:05 Uhr
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