Am 2. Juni wird ein Stück von Hans Thomalla bei der musica viva uraufgeführt: die Ballade für Klavier und Orchester. Im Interview spricht er über die Tradition des Klavierkonzerts seit Beethoven, Disziplin und das Nomadentum des zeitgenössischen Komponisten.
Bildquelle: © Manu Theobald
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BR-KLASSIK: Herr Thomalla, ich habe ein Foto von Ihrem Arbeitsplatz gesehen: einen Schreibtisch über Eck mit Mini-Keyboard, auf dem Computer sind Notenlinien zu erkennen, das ganze idyllisch beleuchtet, Bilder an den Wänden, auch große beschriebene Zettel, viel Papier auf dem Tisch, noch mehr Papier auf dem Boden. Wie darf ich mir denn Ihren Schaffensprozess vorstellen?
Hans Thomalla: Der geht in Wellen und Schichten. Oft ist am Anfang eine Idee, die ganz vage ist, wo ich einfach nur rumprobiere: im Kopf, aber auch am Klavier oder zusammen mit meiner Stimme. Dann fange ich an, erst einmal Formideen aufzuschreiben und dann kommen schon sehr bald musikalische Materialien: Klänge, Linien, Melodien, Akkorde. Und dann fängt die eigentliche Arbeit an, wo ich diese Ideen mit der Form zusammenbringe.
Wenn ich mal nicht schreiben kann, dann hab' ich das Gefühl, ich verliere den Kontakt zu meiner Musik.
BR-KLASSIK: Haben Sie bestimmte Zeiten, zu denen Sie schreiben?
Hans Thomalla: Ich versuche, jeden Morgen zu schreiben. Wenn ich mal zwei, drei Tage nicht morgens schreiben kann, dann hab' ich das Gefühl, ich verliere den Kontakt zur Musik - zu meiner Musik. Und deswegen versuche ich ganz diszipliniert, jeden Morgen bis zwei Uhr zu komponieren.
BR-KLASSIK: Viele Ihrer Werke sind Auftragswerke, was sicherlich sehr schmeichelhaft ist für einen Komponisten. Ist damit auch eine besondere Verantwortung verbunden?
Hans Thomalla: Verantwortung, ja. Ich würde eher sagen: Druck. (lacht)
BR-KLASSIK: Schreiben Sie jetzt anders?
Hans Thomalla: Ich schreibe eigentlich seit fast 15 Jahren immer nur Aufträge. Von daher glaube ich nicht "anders". Es ist sehr hilfreich, weil es oft einen Rahmen setzt. Und wenn der Rahmen nur eine Instrumentation ist. Oder in dem Fall jetzt für das Konzert in München ein Genre: Klavierkonzert. Da gehen sofort Ideen los. Und ich habe das ganz gern, dass die von außen kommen. Dass der Rahmen von außen gesetzt wird.
BR-KLASSIK: Im Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stellen Sie jetzt als Auftragswerk der musica viva eine Ballade für Klavier und Orchester vor. Sie knüpfen damit, heißt es in einem Pressetext, an die Tradition des Solokonzerts mit Orchester an. Wie hält es denn der Komponist Hans Thomalla mit der musikalischen Tradition?
Hans Thomalla | Bildquelle: © Manu Theobald Hans Thomalla: Sehr beobachtend, sag ich mal vorsichtig. Das Klavierkonzert ist ja eigentlich eine angsteinflößende Gattung für jeden Komponisten. Das Klavier steht als Solist im Zentrum, das Instrument der Sonatenform, 250 Jahre deutsche Aufklärung in einem Genre verankert. Aber ich bin ein bisschen durch die Hintertür mit diesem Genre Ballade gegangen. Ich dachte eher, ich nehme ein kleines Solo-Charakterstück und bringe das in das Konzertgenre, um mich gar nicht mit dieser Brahms’schen, Beethoven’schen Tradition der großen Sonatenkonzertform auseinanderzusetzen. Nicht, um dem aus dem Weg zu gehen, sondern um eine Form zu finden, bei der das Orchester erstmal noch ganz im Hintergrund ist. Die Tradition eines Klavierkonzerts seit Beethoven ist ja eigentlich die eines voll emanzipierten Orchesters und eines voll emanzipierten Solos. Und mich hat interessiert, dieses scheinbare Gleichgewicht von zwei Kräften erstmal auszusetzen.
Als Komponist der Fragilität möchte ich mich nicht sehen.
BR-KLASSIK: Herr Thomalla, wenn man sich Rezensionen Ihrer Werke durchliest, ist oft von zerbrechlichen, kaum hörbaren Klängen die Rede, von irisierenden Klangflächen, Klanginseln. Ist Fragilität ein oder vielleicht sogar das Merkmal Ihrer Musiksprache?
Hans Thomalla: Ich hoffe nicht, ehrlich gesagt. Was da vielleicht zur Sprache kommt, ist, dass ich oft sehr klar konturierten Figuren, musikalischen Gestalten, Melodien, den Boden unter den Füßen ein wenig wegziehen oder instabil machen möchte. Und wenn Sie jetzt Kritiken zitieren: Vielleicht ist dieser Aspekt erstmal stärker im Vordergrund. Die konturierten Figuren kennt man aus der Klassik, aus unserer Tradition. Und wenn plötzlich ein Mehrklang erscheint, ein Orchesterklang oder ein leises, weißes Rauschen eine Akkordfläche überschattet, steht das vielleicht eher im Vordergrund. Aber als Komponist der Fragilität möchte ich mich nicht sehen.
BR-KLASSIK: Sie lehren in Chicago Komposition und sind dort auch Direktor des Instituts für Neue Musik. Kann man in der heutigen Zeit vom Komponieren leben?
Hans Thomalla: Ich glaube, fast niemand in der klassischen Musik kann vom Komponieren leben - vielleicht John Adams und Wolfgang Rihm. Aber ich kann vom Unterrichten leben und ich glaube, wir als Komponisten sind in der Gesellschaft ohnehin immer ein wenig Nomaden oder unbehaust. Dass der Komponist eine perfekt verankerte Position in der Gesellschaft hat, ist ein Traum. Aber ich habe ihn ganz selten erfüllt gesehen. Ich würde mir wünschen, dass ich vom Komponieren leben könnte, aber ich sehe das nicht mehr als Maßstab dessen, ob das, was ich tue, gesellschaftlich sinnvoll ist oder nicht.
BR-KLASSIK: Was geben Sie in dieser Hinsicht Ihren Studenten mit?
Hans Thomalla: Sich zu vertrauen. Ich habe auch das Gefühl, ich will nicht in den fünf Jahren, die sie bei mir studieren - zumindest die Doktoranden -, irgendwelchen ökonomischen Druck, der ohnehin schon extrem hart auf ihnen lastet, noch verstärken. Ich gebe ihnen einfach fünf Jahre, in denen sie mit einem Stipendium komponieren, ausprobieren, vielleicht auch etwas lernen und viel komponieren und musizieren können. Ich hoffe, das gibt ihnen ein Rüstzeug, um all dem ökonomischen Druck, der dann kommt, wenigstens etwas entgegensetzen zu können.
Die Fragen stellte Michael Atzinger für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 1. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Freitag, 02. Juni 2017, 17.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
musica viva, Orchesterkonzert
Oscar Bianchi:
"Inventio" für Orchester
Uraufführung
Hans Thomalla:
Ballade für Klavier und Orchester
Uraufführung
Gérard Grisey:
"L’Icône paradoxale" für zwei Frauenstimmen und großes Orchester
Anja Petersen (Sopran)
Donatienne Michel-Dansac (Mezzosopran)
Nicolas Hodges (Klavier)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Johannes Kalitzke