„Happy New Ears“ – so heißt ein renommierter Preis für zeitgenössische Musik, der alle zwei Jahre in München vergeben wird. Jeweils an einen Musikpublizisten und einen Komponisten. In diesem Jahr gehen die Auszeichnungen an den Musikwissenschaftler Jörn Peter Hiekel und der Komponist Klaus Ospald. Ospald gilt nach wie vor als der „bekannteste Unbekannte“ der neuen Musik. Zu Unrecht, findet Tobias Stosiek, der Ospald in München getroffen hat.
Bildquelle: Michael Aust
"Ich stehle mich einsam beiseit und suche diese entlegenen Felder ..." – diese Zeilen von Giacomo Leopardi lesen sich so, als stecke in ihnen das heimliche Lebensmotto von Klaus Ospald. Der ist nicht nur ein großer Bewunderer des italienischen Dichters, sondern vor allem Komponist. Und seit vier Jahrzehnten in Würzburg zuhause. Auf entlegenem Feld, wenn man so will. Zumindest fern der großen kulturellen Zentren, wo man ihn lange Zeit auch wenig wahrgenommen hat.
Dass er erst jetzt sein Debut bei der musica viva feiert, spricht in dem Zusammenhang Bände. Noch immer genießt Ospald, inzwischen 63-jährig, den Ruf eines Geheimtipps der Neuen Musik. Das mag auch daran liegen, dass er den großen Auftritt nie gesucht hat. Doch gegen die Rolle eines öffentlichkeitsscheuen Eremiten wehrt er sich entschieden: "Ich denke, das ist ein ganz normaler Prozess von Stillesuchen. Und in dem Moment, wo die Musik nach außen geht, also in die Öffentlichkeit kommt, ist man ja automatisch damit konfrontiert."
Geduldige Bestimmtheit und eine ruhige Nachdenklichkeit, die immer wieder ins Humorvolle kippt – das ist es, was Klaus Ospald im Gespräch ausstrahlt. So redet kein Mann, der sich, wie es bei Leopardi heißt, "einsam beiseit stiehlt". Die Flucht und das Wegstehlen scheint seine Sache nicht; eher schon: unbeirrt seinen Weg gehen. An der eigenen Sicht festhalten, auch dort, wo man damit aneckt: "Ich bin schon ein knurrender Komponist, also, ich bin nicht mit der Welt einverstanden. Auszugsweise schon, aber es gibt doch sehr, sehr viele Bereiche, da reagiere ich ja auch als Mensch. Es gibt also keinen Elfenbeinturm. Die Anregungen kommen aus der Welt. Und da spielt die Literatur für mich eine sehr große Rolle."
Ich bin schon ein knurrender Komponist, ich bin nicht mit der Welt einverstanden.
Vor allem zweier Dichter hatten und haben Einfluss auf das musikalische Schaffen von Klaus Ospald: Konrad Bayer und Giacomo Leopardi, literarische Stichwortgeber der zwei wichtigsten Werkzyklen von Ospald. Und Vertreter einer zutiefst pessimistischen Weltsicht: bei Bayer gekleidet in bissigen Humor, bei Leopardi in skeptische Melancholie.
Entscheidend ist für Ospald jedoch, dass Armut und Leid immer schlicht und armselig sind und nie pathetisch überformt. Süßlich oder gar sentimentalisch sind seine Kompositionen an keiner Stelle. Geseufzt wird in dieser Musik nicht. Im Gegenteil: Der Blick ist scharf, die musikalische Innenspannung hoch. Aber aller Strenge zum Trotz sind Ospalds Klänge auch atemberaubend sinnlich.
Wie Glas und Metall, in blaues, kaltes Licht getaucht – so klingt der Beginn von "Entlegene Felder III": ein ebenfalls von Leopardi inspiriertes Werk für Klavier, Chor und Orchester, das am 22. November im Rahmen der musica viva aufgeführt wird. Im ersten Moment scheint hier alles tot. Nur die Schwebungen im Blech lassen die Klangflächen flattern und zeigen, dass da noch etwas anderes ist, ein Hauch, ein mattes Aufbäumen von Lebendigkeit.
Das ist nicht konzeptuell oder abstrakt, sondern Drama für die Ohren. Vielleicht das beste Beispiel dafür, was dabei rumkommt, wenn man "mit den Sinnen denkt" – wie Hans Zender es formuliert hat, der kürzlich verstorbene Stifter des Preises, den Ospald nun erhält. Die beständige Konfrontation mit sich selbst ist der Motor, der das Schaffen von Klaus Ospald antreibt. Das beständige Nachdenken über die eigene Musik. Und das geht nur durchs Ohr.
Papier ist geduldig, letzten Endes zählt das, was ich höre. Das ist für mich immer noch die letzte Instanz.
Verliehen wird der Preis am 22. November 2019 um 17:00 Uhr in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in Zusammenarbeit mit der musica viva und BR-KLASSIK.
BR-KLASSIK sendet einen Beitrag zur Preisverleihung am Dienstag, 3. Dezember 2019, um 22:05 Uhr in der Sendung Horizonte.
Happy New Ears ist der Name einer Initiative der 2004 gegründeten Hans und Gertrud Zender-Stiftung. Diese vergibt seit 2011 alle zwei Jahre zwei Preise, die der Förderung und Unterstützung der Neuen Musik dienen wollen: den Happy New Ears-Komponistenpreis und den Happy New Ears-Preis für Publizistik zur Neuen Musik. 2019 geht der Komponistenpreis an Klaus Ospald und der Preis für Publizistik zur Neuen Musik an Jörn Peter Hiekel.