Das Hidalgo Festival hat sich der Aufgabe verschrieben, Klassik in ungewöhnlichen Formaten und an ungewöhnlichen Orten zu präsentieren. Dieses Jahr wird zum Beispiel ein Lieferwagen zum Konzertsaal. Unsere Reporterin hat sich hineingewagt.
Bildquelle: Max Ott
HIDALGO Festival
Kunst im Lieferwagen
Der Regen rauscht, das Wasser verstärkt den Verkehrslärm der Dachauerstraße, Ecke Luisenstraße. Es ist ein richtig ungemütlicher Nachmittag in der Münchner Innenstadt. Auf dem Karl-Stützel-Platz, dort, wo der Alte Botanische Garten anfängt, steht ein weißer Lieferwagen.
Durch die Hintertür betritt man den Laderaum. Es ist dunkel, die Molton-Vorhänge schließen den Lärm von draußen aus. Zwei Kopfhörer liegen bereit. Auf Knopfdruck erklingt Gustav Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen", nach einem Gedicht von Friedrich Rückert.
Ein Tänzer – weiß geschminkt mit nacktem Oberkörper – erscheint als Projektion auf einer Gaze-Leinwand, wird dahinter verdoppelt, öffnet den Raum ins Unendliche. Er bewegt sich zur Musik, gekrümmt, modern, gebrochen. Entfernt klirrt ein Klavier.
Die Stimme von Anna Lucia Richter schmiegt sich an diesen wohlig-unperfekten Gesamtklang. Erzeugt Wärme und Nähe im Transporter. Eine kleine Alltagsflucht zur großen Weltflucht-Musik. Dass Toni Ming Geiger, künstlerischer Leiter der Installation, die Musik von Gustav Mahler ausgesucht hat, kommt für ihn aus einem ganz persönlichen Bedürfnis heraus. "Ich spüre das immer wieder, wir befinden uns in einer Zeit von so vielen Krisen. Und da finde ich es manchmal einfach total schön, sich zurückzuziehen und bei sich zu sein. Und da kann Kunst, da kann die Musik diesen Rückzugsraum bieten. Und genau diese Idee wollte ich mit dem Transporter umsetzen", sagt er.
Toni Ming Geiger ist selbst auch ausgebildeter Pianist. Er weiß auch aus der Künstlerperspektive, wie wichtig es ist, die Kunst in einen anderen Kontext zu setzen, die Barrieren zu senken, auch Menschen diese Musik nahezubringen, die vielleicht nie auf die Idee kämen, ein Konzert zu besuchen. Er spricht von einem "Erstkontakt".
Im Sprinter | Bildquelle: Max Ott
Eine Werbeveranstaltung für die reguläre Klassik im Konzertsaal soll das musikalische "Refugium" (so der Titel der Installation) im Lieferwagen aber nicht sein. "Es soll gar nicht unbedingt dazu führen, dass die Leute jetzt ins Konzert gehen", sagt Geiger. "Es kann dazu führen. Das ist auch schön. Es kann aber auch einfach dazu führen, dass die Menschen sagen 'Mensch, ich hatte jetzt mal zehn Minuten Musik von Mahler gehört. Das habe ich noch nie erlebt, das war irgendwie toll'."
Die Vorführung in diesem Klassik-Mini-Kino dauert knappe acht Minuten. Danach geht es zurück in den grauen Nachmittag. Die Atmosphäre aber ist eine andere. Die Kunst, die Musik, die Gegenwelt hallt nach. Auch beim Publikum. Die Passanten fragen nach, was das ist, setzen sich rein und kommen – vielleicht ein klein wenig weltentrückt – wieder raus.
Der Lieferwagen steht noch bis zum 30. Oktober an verschiedenen Orten in München, Siegburg und Köln. Wo genau, erfahren Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 26. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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