Am 6. Juni gab Igor Levit sein Debüt beim Bayerischen Staatsorchester unter Kirill Petrenko. Er spielte Rachmaninows Paganini-Variationen. Im Interview spricht er über dieses Werk - und darüber, wie für ihn die Kommunikation mit dem Publikum funktioniert.
Bildquelle: © Gregor Hohenberg
Der Pianist Igor Levit
"Jeder Mensch hört seine eigene Musik"
BR-KLASSIK: Igor Levit, Sie geben jetzt Ihr Debüt mit dem Bayerischen Staatsorchester. Wie war die Zusammenarbeit in den vergangenen Tagen?
Igor Levit: Sehr intensiv, bereichernd und absolut großartig.
BR-KLASSIK: Wenn man das erste Mal mit einem Orchester zusammenarbeitet - gibt es da einen speziellen Punkt, an dem man merkt: Das Verständnis ist da, es läuft?
Igor Levit: Optimalerweise schon nach dem ersten Takt. (lacht) Es war aber nicht das erste Mal, dass ich mit Kirill Petrenko musiziert habe, und es war pures Glück.
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BR-KLASSIK: Sie haben vor zwei Jahren schon einmal mit Petrenko musiziert - wussten Sie also quasi schon, was auf Sie zukommt?
Igor Levit: Nein, das weiß man nie. Wir hatten damals auch mit einem anderen Orchester gearbeitet. In diesem Orchester sitzen mehr als achtzig Individuen, und hier in München sind es - ebenfalls achtzig - komplett andere Menschen. Außerdem ist es ein anderes Werk, was wir hier musizieren. Aber man weiß um das Grundvertrauen zueinander - das ja. Und dann trifft man sich wieder, es kommt der erste Takt, wir schauen uns an, und dann - bumm, ist der Moment da. Und das ist schon sehr wertvoll und beglückend.
Rachmaninow ist mindestens so dämonisch wie Paganini!
BR-KLASSIK: Sie spielen die Paganini-Rhapsodie von Rachmaninow - ein Werk, das man gar nicht so oft hört. Wie passen Paganini und Rachmaninow überhaupt zusammen: Auf der einen Seite das dämonische Element bei Paganini, mit dem er auch sehr gespielt hat, und auf der anderen Seite der Pianist und Komponist Rachmaninow, der so ganz anders gebaut war …
Igor Levit: Ist das so?
Sergej Rachmaninow | Bildquelle: Wikimedia Commons, lizenziert unter GNU-Lizenz
BR-KLASSIK: Das würde ich schon sagen, ja …
Igor Levit: Weiß ich nicht. Das würde ich eher mit vollem Tempo verneinen, weil Rachmaninow nämlich in diesem Werk einen Ton trifft - übrigens in vielen seiner anderen Werke auch - der mindestens so dämonisch ist wie Paganini, wenn nicht gar noch mehr.
BR-KLASSIK: Dann gibt es das "Dies Irae"-Thema aus der Requiem-Liturgie. Steht das hier für die Begegnung mit dem Teufel, mit dem Dämonischen?
Igor Levit: Ja, aber auch mit dem Tod als solchem. Das "Dies Irae"-Thema verwendet Rachmaninow ja in vielen seiner Werke. Bereits in seiner ersten Klaviersonate kommt es vor, dann in den "Études-Tableaux", den Symphonien… Es scheint so eine Art Leitmotiv für ihn gewesen zu sein. Was die Gründe dafür waren, darüber kann man spekulieren. Ich spekuliere höchst ungern. Aber die Auseinandersetzung mit dem Teuflischen und dem Tod ist hier zweifelsfrei gegeben. Ob das aber wegen Paganini so ist, das wage ich zu bezweifeln.
Die Geschichte eines Werks entsteht mit dem Publikum.
BR-KLASSIK: Es wird immer behauptet, hier würde eine Geschichte erzählt: Paganini verkauft seine Seele dem Teufel, am Ende siegt das "Dies Irae" und der Teufel gewinnt …
Igor Levit: Um den verstorbenen Helmut Schmidt zu zitieren: Über diese Geschichte habe ich noch nicht genug nachgedacht. (lacht)
BR-KLASSIK: Was gibt es denn für Sie für eine Geschichte in dieser Paganini-Rhapsodie?
Igor Levit: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich da ein bisschen anders ticke. Ich habe keine feste Geschichte parat - zu keinem Werk, das ich spiele. Es sind am Ende des Tages auch meine persönlichen Geschichten, und die verändern sich, Tag für Tag. Die Geschichte eines Werks entsteht auch mit dem jeweiligen Publikum, in dem jeweiligen Saal. Dieser Punkt interessiert mich tendenziell viel mehr als eine festgefahrene Geschichte, die ich erzähle.
Jeder Mensch hört seine eigene Musik und interpretiert sie für sich persönlich.
BR-KLASSIK: Dann reden wir über die Geschichte, die im Zusammenspiel von Musikern und Publikum entsteht. Kommunikation ist ja etwas Gegenseitiges. Wie ist das mit dem Künstler und seinem Publikum?
Igor Levit: Ich glaube einfach sehr daran, dass in einem Raum, in dem Menschen versammelt sind, Folgendes passiert: Da sitzt jemand auf der Bühne - ein Mensch, der seine eigene Biografie hat, seine Geschichte, Erlebnisse, Emotionen, in Jahren, Monaten, Tagen, Stunden, Minuten - und dann gibt es die Musik. Ich verarbeite natürlich mit dieser Musik auch etwas. Und im Publikum sitzen ebenfalls ganz viele Individuen, die ihr eigenes Leben leben. Jeder Mensch hört seine eigene Musik und interpretiert sie für sich ganz persönlich. Daran glaube ich einfach. Und das alles tun wir miteinander. Der einzige Unterschied ist eben der, dass ich der Typ bin, der auf der Bühne die Tasten drückt. Aber, mein Gott, ich höre ja auch die Musik, die da entsteht, und das teilen wir miteinander, ganz unhierarchisch. Wenn ich den Glauben daran verliere, dann suche ich mir einen neuen Beruf.
Die Fragen stellte Elgin Heuerding für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 6. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Dienstag, 06. Juni 2017, 20.00 Uhr
München, Nationaltheater
Sergej Rachmaninow:
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
Gustav Mahler:
Symphonie Nr. 5 cis-Moll
Igor Levit (Klavier)
Bayerisches Staatsorchester
Leitung: Kirill Petrenko