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Interview mit Igor Levit "Mach dich nicht so klein - so groß bist du auch nicht"

Er ist selbstbewusst und nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Pianist Igor Levit gastierte am Sonntag zusammen mit dem Dirigenten Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle Dresden in München. Im BR-KLASSIK-Interview spricht Levit über das Ego des Interpreten, die Zusammenarbeit mit Thielemann und die politische Einstellung zu Pegida.

Pianist Igor Levit | Bildquelle: © Felix Broede

Bildquelle: © Felix Broede

BR-KLASSIK: Herr Levit, eines Ihrer Idole, der Pianist Artur Schnabel, hat mal gesagt: "Man sollte nur Musik spielen, die schöner ist, als man sie spielen kann."

Igor Levit: Mit diesem Satz kann ich ehrlich gesagt überhaupt nichts anfangen.

BR-KLASSIK: Ich könnte mir schon vorstellen, dass der Satz für so ein Stück wie den langsamen Satz aus Mozarts Klavierkonzert KV 467, das Sie in München aufführen, eben doch gilt?

Igor Levit: Ich höre und sehe den Sinn oder den Grund für diese Aussage. Aber wenn ich darüber philosophisch und künstlerisch nachdenke, dann sehe ich diesen Ansatz ganz weit weg von mir. Ich glaube, Artur Schnabel macht sich selbst nicht kleiner als er ist vor der Musik. Aber man könnte den Satz auch so lesen - und das halte ich für fehlgeleitet. Kein Interpret sollte sich vor der Musik kleiner machen als er ist.

BR-KLASSIK: Das klingt sehr selbstbewusst. Wenn Musik "schöner ist, als man sie spielen kann", dann heißt das ja, dass man damit nie fertig wird, dass es unendlich viele Deutungsmöglichkeiten für ein Stück gibt. So verstehe ich jedenfalls Schnabels Satz.

Igor Levit: Ja, aber Sie kennen das ja auch: Wenn jemand etwas Schönes über ein Konzert sagen will, dann heißt es häufig: "Der Interpret trat hinter das Werk zurück". Ich halte diese Aussage für fernab jeder Realität. Denn wie kann ein Interpret überhaupt hinter ein Werk zurücktreten? Ich kann mich selbst doch nicht sozusagen auflösen und nur das Werk sprechen lassen - das funktioniert einfach nicht. Ich bin aber auch niemand, der dem Werk sagt, wie es zu sein hat.

BR-KLASSIK: Das Werk selbst fordert Ihre ganz persönliche Aussage?

Igor Levit: Und ich selbst fordere meine persönliche Aussage auch. Es geht Hand in Hand. Im besten Fall ist es eine Partnerschaft - so sehe ich das.

BR-KLASSIK: Aber es gibt doch schon auch den Fall, wo sich der Interpret in den Vordergrund drängt.

Igor Levit: Das ist genauso grotesk, wie der andere Fall. Das soll man nicht machen. Man soll sich nicht in den Vordergrund drängen, aber man soll sich verbal, ideologisch und theoretisch nicht kleiner machen, als man ist. Ich habe mal irgendwo gelesen: "Mach dich nicht so klein - so groß bist du auch nicht" (lacht).

BR-KLASSIK: Gibt es trotzdem ein Gefühl der Ehrfurcht, wenn man diesen wunderbaren langsamen Satz von Mozart spielt?

Igor Levit: Selbstverständlich. Es gibt aber auch vor allem das Gefühl der Glückseligkeit und der Dankbarkeit, dass es solche Musik gibt. Mehr noch als das Gefühl der Ehrfurcht.

BR-KLASSIK: Sie spielen in München zusammen mit dem Dirigenten Christian Thielemann. Eines kann man mit Sicherheit über Sie beide sagen: Igor Levit und Christian Thielemann haben politisch gesehen sehr unterschiedliche Ansichten. Thielemann hatte in einem Zeitungsartikel zunächst Verständnis für Pegida geäußert, sich dann jedoch deutlich davon distanziert, Sie sind sehr stark politisch in Diskussionen aktiv, nehmen kein Blatt vor den Mund und vertreten dabei die entgegengesetzte Position. Ist das in dem Moment egal, in dem man zusammen Musik macht?

Igor Levit: Wenn man Musik macht, ist gar nichts egal. Das wäre ja noch schöner. Ich kann doch keine Musik im luftleeren Raum machen. Ich habe volles Verständnis und ich akzeptiere jeden Menschen, der sich Gedanken macht und der sich Sorgen macht (leider ist das mittlerweile ein schrecklich konnotiertes Wort). Aber: Wenn zehn Menschen auf einem Platz stehen, und acht davon sind redliche Personen, die sich Gedanken machen, zwei sind Faschisten, die ihre Fahnen schwenken - und die acht sehen diese Fahnen und laufen trotzdem mit, dann kann ich das nicht tolerieren. Das ist für mich inakzeptabel.

BR-KLASSIK: Haben Sie sich mit Christian Thielemanns Interpretationen auseinandergesetzt? Wie ordnen Sie ihn ein als Dirigent?

Igor Levit: Wir haben bis jetzt leider noch nicht zusammengearbeitet, aber ich habe ihm eine der unvergesslichsten Opernerfahrungen meines Lebens zu verdanken: Strauss‘ "Elektra" in Dresden mit Evelyn Herlitzius und René Pape. Das war ein Orchesterspiel, das ich aus einem Operngraben in meinem Leben noch nicht gehört habe. Das Zusammenspiel zwischen loderndem Feuer und unbeschreiblicher Durchsichtigkeit, wo im kürzesten Moment etwas gänzlich Kontemplatives zu einer Totaleruption werden kann. Ich weiß noch: Da gab es einen Aufgang der hohen Bläsergruppe um die Flöten und Oboen herum - das war ein Rausch! Und gleichzeitig so grandios zusammen.

Das Interview führte für BR-KLASSIK Bernhard Neuhoff.

Konzert in München

Sonntag, 11.09.2016, 19.30 Uhr, Philharmonie im Gasteig

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur  KV 467
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 3 d-Moll

Christian Thielemann - Leitung
Sächsische Staatskapelle Dresden
Igor Levit - Klavier

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