BR-KLASSIK

Inhalt

Tschaikowsky-Wettbewerb Moskaus Botschaft an den Westen "Alles wie immer"

Wir sind nicht isoliert in der Welt! Die russische Führung in Moskau feiert den perfekt organisierten Tschaikowsky-Wettbewerb und verweist besonders auf Teilnehmende aus Europa und den USA. Dreiviertel der jungen Künstlerinnen und Künstler kommen allerdings aus Russland und China.

Konzert des Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs, veranstaltet im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums. | Bildquelle: picture-alliance/ dpa | Tass Tushin

Bildquelle: picture-alliance/ dpa | Tass Tushin

Ausschluss aus dem Weltverband der Internationalen Musikwettbewerbe

Genau ein Jahr und zwei Monate, bevor im großen Saal des Moskauer Konservatoriums der 17. Tschaikowsky-Wettbewerb feierlich eröffnet wurde, meldete sich in Genf der Weltverband der Internationalen Musikwettbewerbe mit einer Pressemitteilung zu Wort. Das war einige Wochen, nachdem Russland den Krieg gegen die Ukraine entfesselt hatte. Auf einer außerordentlichen Generalversammlung beschloss die überwältigende Mehrheit der Mitglieder, den internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb mit sofortiger Wirkung aus dem Weltverband auszuschließen.

Valery Gergiev dirigiert Eröffnungskonzert

Doch in Russland scheint dieses Jahr alles so wie immer: Das Eröffnungskonzert am 19. Juni dirigierte natürlich Valery Gergiev, unter dessen Leitung als Co-Vorsitzender im Organisationskomitee seit 2011 der vormals angeschlagene und durch Korruptionsvorwürfe entwertete Wettbewerb deutlich an Renommee zurückerobern konnte, zurück zu einem der Nachwuchs-Musikwettbewerbe weltweit. Zwar haben sich mehrere europäische Häuser von Valery Gergiev getrennt, nachdem er sich nie vom Ukraine-Krieg distanzierte, aber auf den Wettbewerb selbst hatte der Ausschluss aus dem Weltverband auf den ersten Blick keine größeren Auswirkungen.

Wettbewerb perfekt organisiert

Über die angereisten Teilnehmer:innen sagte Gergiev: "Junge Talente, die in erster Linie nicht an Politik denken. Sie denken an Tschaikowsky, Bach, Mozart. Ihre Rolle ist absolut unverzichtbar, damit die Völker einander zuhören." Was die Organisatoren in den beiden Ausrichterstädten Moskau und Sankt Petersburg wirklich perfekt organisiert haben: Über das soziale Netzwerk "Vkontakte", die russische Entsprechung von Facebook, wurde jede der drei Runden in den sechs Kategorien gestreamt, kommentiert in Russisch und Englisch. Dazu sind hochprofessionell produzierte Videoclips über das Leben und die Ausstrahlung Tschaikowskys bis heute abrufbar, Interviews mit Preisträger:innen und Jurymitgliedern.

Pianist Justus Frantz in der Jury

Bei denen betonte das Organisationskomitee die vielen international anerkannten Mitglieder, knapp die Hälfte aus dem Ausland. Auch deutsche Juroren sind dabei – gern und häufig erwähnt: der Pianist Justus Frantz, der die Krim-Annexion eine "Wiedergutmachung historischen Unrechts" nannte. Für die Teilnehmer:innen – über die Hälfte kommt aus Russland, weitere 20 Prozent reisten aus China an – könnte der alle vier Jahre ausgetragene Wettbewerb Startplattform für eine internationale Karriere werden. Aber es gibt auch einen Hauch von 'Dabeisein ist alles'. Der russische Pianist Aleksandr Kliuchko: "Das ist nicht irgendein Wettbewerb. Er hat eine besondere Bedeutung für die russische und internationale Kultur, auch symbolisch und historisch. Und für mich ist die Teilnahme etwas ganz Besonderes, weil ich mit den Aufzeichnungen der Preisträger:innen dieses Wettbewerbs buchstäblich aufgewachsen bin."

Teilnehmer:innen aus 23 Ländern

Dass die Erzählung des "völlig unpolitischen" Wettbewerbs nicht stimmt, das stellte sich schon zwei Minuten nach Beginn der feierlichen Eröffnung heraus. In ihrer Begrüßungsrede sagte Tatjana Golikowa, Vizeregierungschefin, Schirmherrin des Tschaikowsky-Wettbewerbs und persönlich seit Ende Februar auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten eingetragen: "Unfreundliche politische Eliten canceln die russische Kultur, aber zum heutigen Wettbewerb wurden 742 Anträge aus 42 Ländern eingereicht. Zum Wettbewerb in Moskau und Sankt Petersburg kamen 236 Interpreten aus 23 Ländern aus der ganzen Welt, sowohl aus Europa, aus Asien als auch aus den Vereinigten Staaten. Die Musik kennt keine Grenzen."

Ein Propaganda-Wettbewerb

Doch schon bei seiner Gründung vor 65 Jahren war der Tschaikowsky-Wettbewerb ein Kind des Kalten Krieges, als Propagandawerkzeug angelegt. In diesem Jahr dient die freundliche Inszenierung der Grunderzählung der russischen Führung: 'Wir sind keineswegs isoliert in der Welt. Allenfalls versuchen die unfreundlichen westlichen Staaten vergeblich, uns auszugrenzen.' Wer den am Samstag endenden 17. Tschaikowsky-Wettbewerb ausrichtet und finanziert, daran lassen zwei Logos oben links auf der offiziellen Website und auf den Dokumenten keinen Zweifel: die russische Regierung und das russische Kulturministerium.

Sendung: "Allegro" am 29. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player