Gefühlt war sie schon immer da. Und doch scheint sie kaum zu altern. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter ist eine Ausnahmeerscheinung. Ihre Karriere begann früh, ihr überragendes Können verbindet sich mit einem langen Atem und nimmermüder Neugier. Nun feiert sie ihren 60. Geburtstag. Ein Porträt.
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Porträt
Die Geigerin Anne-Sophie Mutter wird 60
Ihr erstes Konzert gab Anne-Sophie Mutter mit sechs Jahren. Es war gegen Ende der 1960er-Jahre, im Trompeterschloss von Bad Säckingen in ihrer badischen Heimat nahe der Grenze zur Schweiz. Geigenunterricht hatte sie seit knapp einem Jahr. Der Bürgermeister war da, Kleinstadt-Honoratioren – und eine Frau mit goldenen Schuhen, die dummerweise in der ersten Reihe saß. "Seit ich von diesen goldenen Schuhen abgelenkt wurde und auch eine Ehrenrunde in meiner Etüde drehen musste, weil ich den Faden verlor ob dieses Faszinosums, liebe ich die Dunkelheit, die mich umfängt", erzählt sie lachend. "Daraus habe ich zwei Schlüsse gezogen. Erstens: Ich liebe Schuhe. Und zweitens: Es muss im Saal dunkel sein."
Der Vater war Verleger der Lokalzeitung, einer der beiden älteren Brüder wurde auch Journalist. Wie man mit Medien umgeht, bekam Anne-Sophie von frühester Kindheit an sehr genau mit. Und das war gut so: "Ich habe früh gelernt, das, was geschrieben wird, in realistische Relation zum privaten Leben zu setzen."
Schon bald waren auch Kameras auf das Wunderkind gerichtet. Mit dreizehn Jahren debütierte Anne-Sophie Mutter bei den Luzerner Festwochen. Im Jahr darauf, im August 1977, trat sie mit Herbert von Karajan bei den Salzburger Festspielen auf. Karajan war der große Leitstern ihrer frühen Jahre. Eine überlebensgroße Autorität natürlich. Da war es wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen und gelegentlich den eigenen Kopf durchzusetzen. Noch heute hat die Geigerin diebische Freude, wenn sie erzählt, wie sie einmal nach einem Disput über das richtige Tempo einfach Fakten schuf. Was möglich war, weil sie im Finale eines Violinkonzerts ihren Solopart unbegleitet vom Orchester begann. Und der große Maestro musste zähneknirschend mitmachen oder besser gesagt: Ihr hinterhereilen, weil die von ihm entdeckte junge Künstlerin eisern ihr Tempo durchzog.
Schön früh tritt Anne Sophie Mutter öffentlich auf. Hier steht sie mit zwölf Jahren auf der Bühne der Liederhalle Stuttgart. | Bildquelle: imago/ZUMA/Keystone Der Klassik-Herrscher und das Wunderkind – bei einem solchen Karriere-Senkrechtstart war es nicht die kleinste Herausforderung, Bodenhaftung zu bewahren. "Dass ich ein Kind war, wusste ich. Das mit dem Wunder fand ich irgendwie komisch." In der Pubertät geraten viele Frühbegabte in eine Krise. Auf die schlafwandlerische Sicherheit folgt eine Phase der Bewusstwerdung und der Selbstreflexion. "Mich hat das eine Weile irritiert, weil man sich als Teenager auch mit den Lebensgeschichten von Kollegen befasst. Man hat mir oft im Interview drohend mitgeteilt, jetzt sei es mal Zeit für die Krise. Als ich 30 war, war es dann Zeit für die Erwachsenenkrise. Mit 40 sollte die Alterskrise kommen. Und mit 50 war es ein Wunder, dass ich mich noch bewegen konnte."
Bis heute lässt die künstlerische Krise auf sich warten. Aber: "Natürlich gab es auch in meinem Leben schwierige Jahre. Aber man lernt aus den Erfahrungen, auch aus den schwierigen Zeiten. Wichtig ist, wie man sich aufrappelt und was man daraus für sich an Kraft generieren kann." 1995 verstarb ihr erster Mann an Lungenkrebs. Heute ist Anne-Sophie Mutter Präsidentin der Stiftung Deutsche Krebshilfe. Eine eigene Stiftung hat sie auch, die Kinderheime in Rumänien unterstützt, aber auch hochbegabte Nachwuchsmusikerinnen und -musiker. Mit ihrem zweiten Mann, dem Komponisten und Dirigenten André Previn, war sie bis 2006 verheiratet. Auch er ist vor vier Jahren verstorben.
Mit der Zeit erweitert Anne Sophie Mutter ihr Repertoire und bringt viele Violinkonzerte zur Uraufführung. Auch John Williams komponiert für sie. | Bildquelle: Dario Acosta Neben Previn komponierten für Anne-Sophie Mutter große Avantgarde-Komponisten wie Wolfgang Rihm, Henri Dutilleux, Krzysztof Penderecki und Witold Lutosławski. Einige der von ihr uraufgeführten Violinkonzerte sind schon jetzt Repertoirestücke. Was ihr den Ernst von Siemens Musikpreis einbrachte, vielleicht die bedeutendste ihrer vielen Auszeichnungen. Aber ihr Horizont ist weit. Neben der Avantgarde liebt sie auch die Filmmusik. Auch John Williams komponiert für sie.
Im Gespräch ist sie gelassen und unprätentiös, aber im Anspruch an sich und ihre Kunst eine kompromisslose Perfektionistin. Natürlich – das ist bei ihr sozusagen kaum der Rede wert – hat sie eine überragende Technik. Doch unverwechselbar ist Anne-Sophie Mutter durch ihren geradezu fanatischen Gestaltungswillen. Sie hat alle Möglichkeiten – und will sie auch nutzen. Es gibt wenige Geigenvirtuosen, die so viel mit Klangfarben zaubern. Anne-Sophie Mutter ist eine flamboyante Künstlerin. Alle Energielevels stehen ihr zur Verfügung. Ihr Ton kann leuchten wie ein Laserstrahl oder dunkel, warm und schmelzend klingen wie eine menschliche Stimme. Das macht sie zu einer herausragenden Interpretin von Romantik und Moderne.
Aber Mutter liebt auch Mozart und die Barockmusik. "Es ist immer ein Kampf gegen die eigene Hörgewohnheit und gegen das, womit man aufgewachsen ist. Und das ist in meinem Fall ganz sicher nicht die historische Aufführungspraxis." Karajan war der Maßstab – auch bei Mozart und Bach. Doch Anne-Sophie Mutter ist nicht stehen geblieben. "Für mich war es vor einigen Jahren immens wichtig, mit Kopien von Barock-Bögen zu arbeiten und zu verstehen, warum die Originalphrasierungen in Bachs schnellen Sätzen so wichtig sind. Diese Eleganz und diesen Swing muss man wirklich mit den alten Bögen erleben."
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Anne-Sophie Mutter performs Bach
Die schnellen Sätze bei Bach und Vivaldi spielt sie heute viel tänzerischer, nicht mehr so motorisch wie früher. In den langsamen Sätzen kann und will sie jedoch auch heute ihre frühe Prägung durch das romantisierende Bach-Spiel nicht verleugnen: "Da bin ich natürlich ein Kind meiner Zeit. Ich würde einen langsamen Satz von Bach nie ganz ohne Vibrato spielen. Ich sehe auch keinen Grund, warum wir das Vibrato verteufeln sollen. Senza vibrato ist kein Allheilmittel gegen Einfallslosigkeit. Ich glaube, es kommt auf kluge Abwechslung an. Was ich überhaupt nicht schätze, ist, wenn man einfach nur spielt und es schön klingt. Das ist nicht gut genug."
Über ihren Abschied hat sie schon vor vielen Jahren öffentlich nachgedacht. Die Reaktionen waren ziemlich überzogen. "Deshalb sage ich gar nichts mehr dazu, sondern werde einfach eines Tages aufhören. Abschiedstourneen finde ich überflüssig." Zu ihrem 60. Geburtstag erfüllt sich Anne-Sophie Mutter einen Kindheitstraum: Eine Reise nach Afrika.
Sendung: "Allegro" am 29. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 02.Juli, 17:06 Uhr
Norbert Ippen
Anne Sophie Mutter - die schöne, gute Geigerin!
NUR SCHÖN IST NICHT GUT GENUG.
Dies lass gerne ich so steh'n
und sag gleichsam im Gegenzug:
G u t g e n u g i s t n o c h n i c h t s c h ö n !
Frau Mutter wünsche ich für Ihren Afrika-Aufenthalt alles erdenklich Gute!