Einst von Mozart für München geschrieben, kehrt die Oper "Idomeneo" wieder mal an die Isar zurück, in einer konzertanten Fassung mit dem BRSO unter der Leitung von Simon Rattle. Warum das fast besser ist, als in Szene, und was Reiz und Gefahr dieser speziellen Vater-Sohn-Beziehung ausmachen, verraten Magdalena Kožená (Idamante) und Andrew Staples (Idomeneo).
Bildquelle: BR
BR-KLASSIK: Frau Kožená, welche Emotion ist für Sie in dieser Vater-Sohn-Beziehung die stärkste in der ganzen Oper?
Magdalena Kožená: Das Erstaunliche an der Rolle ist, dass es so viele Emotionen gleichzeitig gibt. Ich glaube, dass Mozart sehr viel von seiner eigenen Beziehung zu seinem Vater da hineingesteckt hat. Außerdem starb auch noch seine Mutter, als er die Oper geschrieben hat. Das und das gespaltene Verhältnis zu seinem Vater zeigt sich hier: Zerrissen zwischen dieser großen Liebe und dem Zweifel, was der Vater eigentlich für den Sohn empfindet. Es gibt nur kleine Hinweise, aber das hat mich immer sehr fasziniert an dieser Figur.
BR-KLASSIK: Und wie ist das für den Vater, die Titelfigur "Idomeneo", die Sie singen, Andrew Staples?
Andrew Staples: Ich habe selbst kleine Kinder, und für alle Eltern ist es das Schlimmste, sich vorzustellen, dass ihnen etwas passiert. Hier gerät Idomeneo durch seinen Schwur, den er bereits vor Beginn der Oper geleistet hat, in eine Falle. Jetzt muss er seinen eigenen Sohn opfern. Es ist hart, daran beim Singen zu denken. Würde ich all das tatsächlich fühlen, könnte ich nicht singen. Ich muss mich also von diesen Emotionen distanzieren, und da überlasse ich eben Mozart das Gefühl. Er hat Verzweiflung und Schmerz komponiert, aber auch Hoffnung und diese vielen Stadien der Trauer. Es ist alles in der Musik spürbar.
Der Tenor Andrew Staples singt in der konzertanten Version in München die Titelpartie des "Idomeneo" | Bildquelle: tezarts.com Mozart entbindet Idomeneo quasi von der Wucht der Empfindungen. Das interessante ist doch sein Kampf. Hier steckt das Drama, denn es ist ja gar nicht interessant, traurige Menschen zu erleben, sondern zu sehen, wie sie mit ihren Problemen umzugehen versuchen. In diesem Fall hat Idomeneo sogar sein eigenes Problem geschaffen, das ist dramaturgisch noch besser. Es ist Tragödie im besten Sinne. Wir beide, Vater und Sohn, haben viel Anspruchsvolles zu singen und müssen beide entscheiden, wie viel wir dabei singend spüren können. Da steckt der verborgene Schatz in diesem Werk.
BR-KLASSIK: Magdalena Kožená, jetzt also eine Hosenrolle von Mozart. Gibt es Vergleiche mit anderen Hosenrollen?
Dieser Charakter ist fragmentarisch, zerrissen, sehr speziell
Magdalena Kožená: Wenn ich da bei Mozart bleibe, ist Idamante ganz anders als beispielsweise Sesto, oder Cherubino. Das sind auch tolle Charaktere, aber vor allem welche mit berühmten Arien. Die hat Mozart für Idamante nicht komponiert. Seine Arien sind dramaturgisch interessant, aber nicht vergleichbar mit den herrlichen Bravourstücken der Ilia. Die kann man auch im Konzert singen, aber die von Idamante machen für sich gestellt keinen Sinn. Dieser Charakter ist fragmentarisch, zerrissen und dadurch sehr speziell. Und viele meiner Kolleginnen mögen ihn gar nicht. Mir hat die Partie schon immer gefallen. Es ist sogar meine Lieblingshosenrolle unter den Mozart-Partien, weil da eben so viel Theater drinsteckt. Idamante ist hintergründig, und ich sage gerne im Scherz, dass mir Rezitative sowieso lieber sind als Arien. Da kann man viel machen als Idamante, denn seine Rezitative sind richtig schön und hochinteressant
BR-KLASSIK: Für Idomeneo gibt es Bravourarien mit Wahnsinns-Koloraturen: Eigentlich ist Idomeneo eine dramatische Partie, aber dann ist wieder diese Flexibilität in der Stimme gefordert – eigentlich eine Quadratur des Kreises, oder?
Andrew Staples: Ja, da sind wir wieder beim Kampf. Diese "Fuor del Mar"-Arie lässt sich mit nichts in diesem Werk vergleichen. Am Anfang und am Ende gibt es sehr lyrische, eher leichte Passagen, die an "La Clemenza di Tito“ erinnern. "Fuor del Mar" ist total verrückt, und innerhalb des Stückes, in diesem inneren Kampf funktioniert sie für mich auch. Isoliert ist sie fast unmöglich zu singen. Trotzdem schreibt Mozart sehr gut für die Stimme, und solange man genug Atem hat, ist sie machbar.
BR-KLASSIK: Da brauchen Sie natürlich auch die Unterstützung des Dirigenten. Sie beide haben mit Simon Rattle das Werk auch in Berlin schon szenisch gemacht. Andrew Staples, Sie sind auch Regisseur, und ich habe gelesen, dass Sie auch sehr filmisch denken. Was für ein Film läuft denn ab, wenn Sie das singen?
Bilder im Kopf hervorzurufen ist eine wunderbare Sache.
Andrew Staples: Der Film, den wir alle gemeinsam drehen wollen, ist der in der Vorstellung des Publikums. Anders als in Berlin, wo wir auf der Bühne standen und viel um uns herum passiert ist, stehen wir jetzt relativ ruhig und müssen agieren wie für ein Hörspiel. So haben wir es auch geprobt, und ich denke, dass wir hier wahrscheinlich intensiver an den Details arbeiten. Besonders im Rezitativ, wo wir versuchen, so klar und entschieden wie möglich rüberzukommen. Auf der Bühne hast du die Körpersprache, das Licht, die Kostüme und vieles mehr, um die Geschichte zu erzählen. Hier müssen wir jede Entscheidung stimmlich treffen, damit der Film im Kopf der Zuhörer entsteht. Den werden wir aber nie zu sehen bekommen. Bilder im Kopf hervorzurufen ist eine wunderbare Sache.
BR-KLASSIK überträgt den "Idomeneo" am 16.Dezember 2023 ab 19:05 Uhr. Hier geht's zur Sendung
BR-KLASSIK: Wie ist das bei Ihnen, Frau Kožená? Ich nehme an, dass Sie auch im Privaten mit ihrem Mann Simon Rattle über diese Details sprechen, über Visionen, Wünsche, Entwicklungen in einem Stück, das Sie schon so lange begleitet hat?
Bei gemeinsamen Proben gerne die Letzte, die erfährt, was gewünscht ist: Magdalena Kozena im Konzert mit ihrem Ehemann Simon Rattle | Bildquelle: picture alliance/dpa/CTK | Vit Simanek Magdalena Kožená: Ja, das stellen sich die meisten Leute so vor, dass wir zu Hause über Details sprechen. Aber ich bin gewöhnlich die letzte, die auf der Probe erfährt, was gewünscht ist. Aber ich möchte Andy absolut zustimmen, was den Unterschied zwischen der Konzertversion und einer Bühnenversion von Idomeneo betrifft. Ich mag es sehr, hier nicht abgelenkt zu werden durch das Theater. Viele Menschen aus dem Publikum kommen auf mich zu und erzählen mir, dass es ihnen auch so geht, dass sie die Konzertversion lieber mögen. Man kann sich besser auf die Musik konzentrieren, in seiner eigenen Welt bleiben und seinen eigenen Film sehen. Eigentlich ist es wie beim Bücherlesen. Der Film zum Buch ist nicht mehr der aus deiner eigenen Fantasie. Ich mag das Theater wirklich und liebe es, auf der Bühne zu stehen und zu spielen, aber das ist eben auf eine andere Art spannend.
BR-KLASSIK: Es ist Adventszeit, überall werden Weihnachtsoratorien gesungen, es gibt viele Konzerte. Gibt es andere Werke, die einen Idomeneo, einen Idamante sängerisch unterstützen?
Magdalena Kožená: Also ich würde nicht sagen, dass Idomeneo ein Weihnachtsstück ist, aber ich habe auch schon viel schlimmere Geschichten zur Weihnachtszeit gespielt wie Katja Kabanova oder Pelléas und Melisande…
Andrew Staples: Und Ich habe mal "Wozzeck" gemacht, das war vielleicht lustig! Spaß beiseite, die alte Idee des Advents ist die des Fastens, der Besinnung in einer Zeit der Dunkelheit, bevor das Licht kommt. Nicht diese Freude auf Weihnachten, Geschenke kaufen, auf Weihnachtsmärkte gehen und Glühwein trinken. Leider! Aber wenn wir zu dieser Anfangsfrage des Vater-Sohn Dramas zurückkehren, geht es doch in "Idomeneo" um die Rolle der Frau in der Gesellschaft, um die Frage von alten und neuen Regimen und das an einem Wendepunkt im Jahr. Das passt doch gut, darüber nachzudenken wie der alte, diktatorische König die Herrschaft abgibt an den offenherzigeren, aufgeklärten Sohn. Perfekt für die Weihnachtszeit!
BR-KLASSIK: Wie verbringen Sie beide privat Weihnachten, gibt es eine Tradition bei Ihnen?
Magdalena Kožená: Ich glaube, ich habe es geschafft, die Tschechische Weihnacht bei uns durchzusetzen. Ich liebe diese Jahreszeit mit ihren speziellen Gerüchen nach Gebäck und das Singen der Weihnachtslieder. Irgendwie ist die Vorbereitung für Weihnachten immer spannender als das Fest selbst. Jetzt bin ich zwar gerade in München und meine Familie ist in Berlin, also die Kinder sind ein bisschen sauer. Aber wir werden noch ein paar Tage gemeinsam haben und den 24. natürlich feiern mit dem Christkind und nicht dem Weihnachtsmann.
Andrew Staples: Ich musste gerade noch an die vorherige Frage nach dem perfekten Weihnachtsstück denken und lachen, denn ich habe mir gerade meinen Vater und mich beim Kochen des Weihnachtsessens vorgestellt. Und wie wir uns unglaublich streiten, bis mein Vater bereit ist, mich letztendlich zu opfern. Aber auch ich freue mich auf die herrliche Zeit mit der Familie und den vielen Kindern, denn das Fest ist doch für sie!
BR-KLASSIK: Frohe Weihnachten und vielen Dank für das Gespräch!
Sendung: Liveübertragung im Radio am 16.12.2023 ab 19:05 Uhr
Kommentare (0)