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Dirigent Stefano Montanari im Inteview Bei Donizetti steckt alles in der Musik

An der Bayerischen Staatsoper hat kurz vor Weihnachten Gaetano Donizettis Oper "La Fille du régiment" Premiere. Die musikalische Leitung hat Stefano Montanari. Warum diese komische Oper auch durchaus tragische Züge hat und warum er keine langen Opern mag – das verrät der italienische Dirigent im exklusiven Interview mit BR-KLASSIK.

Stefano Montanari | Bildquelle: L’Orchestra Haydn

Bildquelle: L’Orchestra Haydn

BR-KLASSIK: Ist "La Fille du régiment" wirklich eine lustige Oper oder nicht etwa, typisch Donizetti, eher eine tragische Oper, die sich als lustige verkleidet ausgibt?

Stefano Montanari: Tatsächlich ist die Rolle der Marie, der Fille, schon lustig. Aber irgendwie auch nicht. Denn sie befindet sich ja in einer sehr seltsamen Situation: Aufgezogen von Soldaten wechselt sie plötzlich vom Militär ins adelige Milieu! Ab dem Moment ist für Marie die zentrale Frage: Sein oder Nichtsein. Wie soll sie den Tapetenwechsel aushalten? Und das ist ganz sicher nicht nur lustig! Trotzdem kann man "La Fille du Régiment" natürlich als Opera buffa aufführen: okay, zweieinhalb Stunden mit vielen lustigen Momenten. Aber, und das ist unser Ansatz, wenn man möchte, kann man auch ein bisschen tiefer in die Geschichte eintauchen. Für mich sind die wichtigsten Momente in dieser Oper die drei oder vier zarten und gefühlvollen Augenblicke.

BR-KLASSIK: Was wäre denn einer dieser erwähnten Augenblicke?

Stefano Montanari: Am Ende des ersten Aktes, im Finale, da sagt Marie zu allen: "Ich muss gehen, es tut mir so leid, mein bisheriges, normales Leben ist vorbei, und ein neues Leben, das mir überhaupt nicht gefällt, hat begonnen." Dieser Moment, in dem das großartige Solo vom Englischhorn erklingt, ist einer der schönsten Momente in der Oper.

Radio-Tipp

BR-KLASSIK überträgt die Premiere von Gaetano Donizettis "La fille du régiment" am 22. Dezember 2024 ab 18:00 Uhr live aus der Bayerischen Staatsoper – mit Pretty Yende in der TItelrolle und unter der musikalischen Leitung von Stefano Montanari.

BR-KLASSIK: Wie verhält es sich in der "Regimentstochter" denn so allgemein mit der Dynamik?

Stefano Montanari: Wenn der Männerchor, "Le Chœur des Hommes", beginnt, ist das im Grunde kein bisschen militärisch. Auch wenn diese Schläge vielleicht wie Kanonen klingen, aber alles ist sehr zart. Und der interessanteste Moment ist der, wenn dann die Damen zu singen beginnen. "La Vergine Maria". Das klingt wie Kirchenmusik. Ich finde es unglaublich, wie viel da gleich am Anfang musikalisch passiert! Es geht los mit den Hornsoli, die eine Art Tiroler Musik spielen, und danach kommt der zarte Chor als ein religiöses Moment.

Der Anfang der Opera buffa ist also überhaupt nicht komisch, sondern vielschichtig. Alles hat eine spezifische Struktur, mit spezifischer Musik. Natürlich haben wir manchmal dasselbe Accompagnato, aber in verschiedenen Variationen. Mal mit Pizzicato, mal mit dem Cello, mal mit Klarinetten. Wir haben also dieselben Elemente in zwei, drei, vier, zehn verschiedenen Kombinationen, und mit den verschiedenen Kombinationen bekommen wir unterschiedliche Farben. Und unterschiedliche Farben sind für mich neue Musik.

Vorhang zu und ab nach Hause

BR-KLASSIK: Es geht also Donizetti nicht darum zu zeigen, wie toll er ist, sondern darum, damit eine Aussage zu verknüpfen?

Stefano Montanari: Ja, es steckt bei Donizetti alles in der Musik. Nehmen wir Marie. Wenn man etwas über Marie wissen möchte, muss man nur die Arie aus dem 2. Akt spielen, das ist Marie! Donizetti braucht nur vier Takte, und schon haben wir Marie charakterisiert. Und das entwickelt er dann in einem Bogen bis zum Happy End, wie ein großes Crescendo.

BR-KLASSIK: Die Musik zeigt auch die Parallelwelten, in der Marie lebt.

Stefano Montanari: Ja, absolut. Vor allem eben im zweiten Akt, da haben wir "La valse", die steht für den Adel, wir haben die Arie der Maria, die ich erwähnt habe, dann ein sehr lustiges Trio, der einzige wirklich lustige Moment im 2. Akt. Und wir haben etwas unglaublich Interessantes: das Ende der Oper. Das Finale ist kurz und knapp. Es ist, als wolle Donizetti sagen: Okay, wir wissen, jetzt ist die Oper zu Ende, Marie ist mit Tonio glücklich. Vorhang zu und ab nach Hause! Etwas seltsam, finde ich.

Ich mag sowieso keine langen Opern, sorry, dass ich das so offen sage.
Stefano Montanari

Das reicht zum Glücklichsein

BR-KLASSIK: Vermissen Sie denn irgendwas am Schluss?

Stefano Montanari: Also, etwas zu spielen ist sehr gut, aber nicht allzu lange. So sagt man auf Italienisch. Wenn was zu lang ist, dann langweilt mich das schrecklich. Ich kann mir darum nicht vorstellen, dass der zweite Teil länger sein könnte als diese gut 45 Minuten. Das reicht dann. Die Geschichte ist schließlich sehr einfach erzählt. Mehr braucht es nicht. Ich mag sowieso keine langen Opern, verzeihen Sie, dass ich das so offen sage. Ich bin eher dafür, dass man, so wie hier, sich die Musik anhört, sich an der Bühne erfreut und dann geht’s ab nach Hause, noch was trinken. Das reicht zum Glücklichsein.

BR-KLASSIK: Es gibt ja auch Bühnenmusik, wie wird das gelöst?

Stefano Montanari: Musik auf der Bühne haben wir in unserer Produktion nur im zweiten Akt. Im ersten Akt kommt die Militärmusik aus dem Graben. Dazu haben wir eine weitere Veränderung vorgenommen: Alle Dialoge sind gestrichen, stattdessen haben wir eine Erzählerin, die wunderbare Schauspielerin Sunnyi Melles. Außerdem spiele ich am Hammerklavier mit, im zweiten Akt zum Beispiel begleite ich Marie, wenn sie Gesangsunterricht hat. Und ich werde wohl auch während mancher Erzählpassagen einige Akkorde spielen.

BR-KLASSIK: Das heißt, sie improvisieren da?

Stefano Montanari: Ja ich improvisiere, obwohl ich mir auch was in die Partitur geschrieben habe. Mal sehen, wie das wird, wenn ich improvisiere. Eigentlich bin ich zu alt für sowas …

BR-KLASSIK: Und die Militärmusik – ist die romantisierend?

Stefano Montanari: Sie ist eher komisch! Zumindest für mich als Italiener. Bei uns steckt in der Darstellung von Militär fast immer etwas Groteskes. Damit arbeiten auch viele italienische Filme aus den 1960er- und 70er-Jahren. Diese Tradition der komisch-lächerlichen Soldaten geht noch viel weiter zurück und ich bin mir sicher, dass Donizetti auf das Klischee anspielt. Italienische Soldaten waren schon immer merkwürdige Typen, sie sind tollpatschig und oft auch ziemlich dumm. Obwohl es sich in der Oper strenggenommen um französische Soldaten handelt, aber die Inspiration ist eindeutig italienisch. Was die Musik angeht, so müssen wir bei der Soldatenmusik teuflisch aufpassen, dass wir nicht dauernd fortissimo spielen. Das mit der Balance ist ein ziemlich vertracktes Problem in "La Fille du régiment". Es soll ja meistens ganz leicht klingen, aber man rutscht bei so einem riesigen und gut bestückten Orchester sehr schnell ins Forte. Wir müssen einfach richtig gut aufpassen.

Mein Hirn läuft und läuft, die ganze Zeit.
Stefano Montanari

BR-KLASSIK: Haben Sie in München etwas Zeit für Bratwurst und Glühwein?

Stefano Montanari: Ich muss ehrlich sagen, ich mag keinen Glühwein. Ich mag Bier, ja, ich liebe Rotwein, aber Glühwein ist mir zu süß. Außerdem habe ich auch kaum Freizeit, um etwas zu unternehmen. Wenn wir mit der Probe fertig sind, sind wir normalerweise müde. Das Hauptproblem ist aber: Mein Hirn läuft und läuft, die ganze Zeit. Ständig denke ich an die Oper.  Es fällt mir in so einer Probenphase unglaublich schwer aufzuhören, an Musik zu denken!

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