Seinen Saxophonton erkennt man sofort: Jan Garbarek, Improvisator, Komponist, und findiger Bandleader feiert am 04. März 2022 seinen 75. Geburtstag. Dieses Jahr sind auch wieder Konzerte mit ihm geplant.
Bildquelle: Bremme und Hohensee
München, Lukaskirche, Spätherbst 2001: Die Kirche ist vollbesetzt. Es herrscht eine andächtige Ruhe. Plötzlich erheben sich vier Gesangsstimmen, sie scheinen von überallher zu kommen. Dann mischt sich etwas dazu, ein Sopransaxophon. Es schmiegt sich an den Gesang an, hebt sich ab davon, reibt sich daran, entschwebt in den Kirchenraum. Das war neu, das war unerhört. Ein Musikmoment, wie ihn auf der ganzen Welt mittlerweile unzählige Menschen erlebt haben mit den vier Sängern des Hilliard Ensembles und mit Saxophonist Jan Garbarek.
The Hilliard Ensemble & Jan Garbarek im Sommer 2014 bei einem Konzert in der Klosterkriche Fürstenfeld in Fürstenfeldbruck | Bildquelle: Thomas Krebs/ECM Records Der norwegische Saxophonist improvisierte aus dem Stegreif zu den Gesängen des englischen Hilliard Ensembles. Das Repertoire bestand aus alten Gesängen aus dem 12. bis hin zum 16. Jahrhundert, aber auch aus moderner Klassik, aus Musik etwa des armenischen Komponisten Komitas und sogar aus Eigenkompositionen Garbareks. 1994 erschien das erste Album "Officium", 2014 wurde das vierte und letzte gemeinsame Album aufgezeichnet, das Hilliard Ensemble beendete im Dezember 2014 seine Konzerttätigkeit. Dieses Abschlussalbum trägt den sinnigen Titel "Remember me, my dear".
Bis Jan Garbarek zur fünften Stimme im Vokalquartett wurde, war er schon einen langen musikalischen Weg gegangen. Die Musik kam im Jahr 1961 in Garbareks Leben. In der norwegischen Kleinstadt Mysen kam er am 4. März 1947 zur Welt. In einem fast zweistündigen Interview vor einigen Jahren mit BR-KLASSIK erzählte Garbarek, dass er als Kind und Jugendlicher überhaupt kein Interesse an Musik hatte. Einzige Ausnahme: "Es machte Spaß mit den Mädchen zu den Songs von Elvis zu tanzen!"
Das änderte sich schlagartig, als Jan eines Nachmittags im Jahr 1961 nach Hause kam. Er hatte mit seinen Freunden gespielt, vielleicht Fußball, er kam nach Hause, es lief das Radio und was da kam, veränderte sein Leben. "Ich war ein 14-jähriger norwegischer Junge und ich hörte diese Musik eines viel älteren Afroamerikaners, der ein Instrument spielte, das ich überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt hatte, und dazu eine Musik, die ich nicht verstand, aber es änderte mein Leben." Als das Stück zu Ende war, verabschiedete sich der Ansager im Radio von den Zuhörern der wöchentlichen Jazzsendung, "da wusste ich, das war Jazz".
Bildquelle: picture alliance / IMAGNO/Nikolaus Similache Es dauerte ein bisschen, bis Jan herausfand, dass er das Stück "Countdown" von John Coltrane gehört hatte und sofort bestürmte er seine Eltern mit der Bitte um ein Saxophon. Zu Weihnachten bekam er eines und er war völlig besessen von dem Instrument. Schon drei Jahre später – er hatte in der Zwischenzeit schon Wettbewerbe für Amateurmusiker gewonnen – trat er beim renommierten Jazzfestival im norwegischen Molde auf. Dort traf Garbarek auf den amerikanischen Pianisten George Russell, der von 1964 bis 1969 in Europa lebte. Die sperrige und avantgardistische Musik des Amerikaners beeinflusste Jan stark. Auch führte ihn Russell in die Jazzwelt ein. Er nahm Jan mit auf Tournee, ließ ihn in seiner Bigband neben europäischen Jazzstars spielen, und er stellte Jan bei einem Festival in Norditalien einem Mann namens Manfred Eicher vor. Der Lindauer war ein aufstrebender Produzent und 1969 gründete er das Label ECM (Edition of Contemporary Music). Schon im September 1970 nahm Garbarek mit seinem Quartett für ECM auf und seither ist der Norweger bei diesem Label unter Vertrag. "Afric Pepperbird" heißt dieses erste Album und darauf hört man eine expressive Musik der 70er Jahre mit verzerrten E-Gitarren und freien Rockgrooves, aber auch weltmusikalische Einflüsse scheinen durch.
Einen von Rockmusik beeinflussten Jazz spielte Garbarek auch von 1974 bis 1979 an der Seite von Keith Jarrett in dessen European Quartet. Trotz des realitv kurzen Zeitraums hinterließ diese Band riesig Spuren in der Jazzgeschichte und ist bis heute legendär.
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Keith Jarrett European Quartet - Long as You Know You're Living Yours - 1974
Kontrabassist Eberhard Weber, Tenorsaxoponist Jan Garbarek und Schlagzeugerin Marilyn Mazur | Bildquelle: Jörg Becker/ECM Records Besonders Blasinstrumente und Rhythmen aus unterschiedlichen Ländern faszinieren Jan Garbarek immer schon. Indische, arabische, afrikanische, brasilianische, japanische Musik – all das inspiriert ihn und sorgt für die besonderen Schattierungen in seinem Saxophonklang. Sowohl auf dem Sopransaxophon, Garbarek spielt die gebogene Variante, die so aussieht als hätte man ein normales Saxophon etwas zu heiß gewaschen, als auch auf dem tieferen Tenorsaxophon hat er seinen markanten, mit einer gewissen Schärfe versehenen Sound. Der war auch immer das Markenzeichen seiner Jan Garbarek Group. Nach einigen wechselnden Besetzungen in den 70ern, oft mit Gitarristen, formiert Garbarek in den 80er Jahren ein Quartett mit dem niedersächsischen Keyboarder Rainer Brüninghaus und dem Stuttgarter Bassisten Eberhard Weber, der damals schon ein Star des deutschen Jazz war. Dazu kamen wechselweise der französische Schlagzeuger Manu Katché oder der indische Perkussionist Trilok Gurtu. Diese Band erlangte Kultstatus und blieb bis 2007 unverändert. Bassist Eberhard Weber erlitt direkt vor einem Konzert mit der Jan Garbarek Group im April 2007 in der Berliner Philharmonie einen Schlaganfall und kann seither nicht mehr Bass spielen.
So expressiv und auch so melodieverliebt Garbareks Musik ist, so pragmatisch, ja lakonisch ist der Musiker selbst teilweise. Keines seiner Alben hört er sich nochmals an, keines seiner Interviews liest er durch, keine Radiosendung über sich hört er nach. Das Saxophonspielen bezeichnete er einmal als einen Job, den er irgendwann an den Nagel hängen würde. Auch als das Hilliard Ensemble 2014 seinen Abschied von der Bühne verkündete, nahm Garbarek die Nachricht, etwas wehmütig, aber doch gelassen auf, so wurde es von Mitgliedern der Gesangsgruppe berichtet.
Vielleicht hat sich aber seine nüchterne Haltung zu Musik als Beruf in den letzten Jahren doch etwas geändert. Dieses Jahr ist er zumindest wieder zurück auf den europäischen Bühnen, zahlreiche Konzerte sind im Frühjahr und Sommer geplant. Jan Garbareks schwebender Ton wird also noch nicht so schnell verklingen – gut so.
Sendungen: "Leporello" am 4. März 2022 ab 16:05 Uhr, "Klassikstars" am 4. März 2022 ab 18:05 Uhr, "Jazztime" am 7. März ab 23:05 Uhr