Seine Leidenschaft waren Töne, die sich nicht zähmen ließen. Und Menschen, die Anpassung verweigerten. So gründete Jost Gebers, geboren 1940 in Berlin, 1969 mit dem Saxophonisten Peter Brötzmann und anderen Musikern die bedeutende "Free Music Production". Jetzt wurde bekannt, dass wenige Monate nach Peter Brötzmann auch der wichtige Initiator Jost Gebers gestorben ist.
Bildquelle: Dagmar Gebers/FMP-Publishing
Er war ein bärtiger Mann mit Brille und struwweligem Haar – und er war ein Zupacker. Ein Energischer, der etwas bewegen wollte. Und der nicht so schnell nachgab. Wann immer man Jost Gebers begegnete, er strahlte stets etwas von kreativer Angriffslust und schöpferischer Unruhe aus. Es war nur folgerichtig, dass dieser aus Berlin stammende Bassist und Sozialarbeiter zu einem der Motoren der frei improvisierten Musik in Deutschland und darüber hinaus wurde.
Die Gründung einer der bedeutendsten Musiker-Organisationen des späten 20. Jahrhunderts mindestens in Deutschland hing ausgerechnet mit der Kleiderordnung eines berühmten Festivals zusammen. Die Berliner Jazztage (heute "Jazzfest Berlin"), ein medial vielbeachtetes Festival mit internationalen Stars und Aktualitäten, engagierte 1968 den ebenfalls im Juni 2023 verstorbenen Free-Jazz-Saxophonisten Peter Brötzmann mit seiner Gruppe; doch da er nicht garantieren wollte, dass er und seine Mitstreiter im dunklen Anzug auftreten würden, wurde er wieder ausgeladen.
Davon erfuhr dann der mit Brötzmann befreundete Jost Gebers. Er hatte die Idee, Brötzmann parallel zum Festival eine Auftrittsmöglichkeit zu verschaffen, und zwar im "Quartier von Quasimodo", einem Club, der ein Jahr vorher im Keller des Delphi-Filmpalasts in der Kantstraße in Berlin eröffnet worden war. Dort fand dann das erste "Total Music Meeting" statt – als zeitgleiches Gegenfestival zu den von "Jazzbuch"-Autor Joachim Ernst Berendt geleiteten Berliner Jazztagen. Es existierte bis 2008, und bis zum Jahr 1999 war Jost Gebers der Kopf des Total Music Meetings. Dass es dort je eine Kleiderordnung gegeben hätte, ist nicht bekannt.
Bildquelle: Dagmar Gebers/FMP-Publishing Schon im Jahr nach dem ersten "Total Music Meeting" gründeten Saxophonist Peter Brötzmann, Pianist Alexander von Schlippenbach, Bassist Peter Kowald und Jost Gebers zusammen die "Free Music Production" (FMP), ein unabhängiges Berliner Plattenlabel, das stark auf Free Jazz konzentriert war. Dieses Label machte Geschichte als ein bedeutender internationaler Motor für frei improvisierte Musik. Musik, die sich nicht in kommerzielle Kategorien packen ließ und die mit viel Lust Konventionen infrage stellte, war also das Thema dieses Independent-Labels und seines späteren Produzenten Jost Gebers. Dieses Label hatte großen internationalen Einfluss, nicht zuletzt auch auf den Free Jazz in den USA. Bereits 1977 gewann die FMP den "Deutschen Kritikerpreis", 1979 den Schallplattenpreis der Deutschen Jazz-Union, 1990 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. 2012 erhielt Jost Gebers dann persönlich den begehrten Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik für eine FMP-Retrospektive in zwölf CDs mit Aufnahmen aus vier Jahrzehnten.
Welch große Bedeutung diese unabhängige Organisation unnachgiebiger Kreativer war, zeigt eine epochemachende Aktion Jost Gebers‘ von 1988. Damals brachte der Produzent den 2018 verstorbenen amerikanischen Free-Jazz-Pianisten Cecil Taylor in diversen Konzerten in Berlin mit vielen namhaften Improvisatoren aus Europa und anderen Teilen der Welt zusammen – von den Schlagzeugern Günter Baby Sommer und Tony Oxley bis hin zu den Trompetern Tomasz Stanko und Enrico Rava.
Es entstand daraus die 11-CD-Box "Cecil Taylor – In Berlin '88", die in limitierter Auflage erschien und bis heute ein begehrtes Sammlerstück ist, das, wenn überhaupt, dann nur zu extrem hohen Preisen gebraucht zu erstehen ist. Zudem war diese Box die beste Dokumentation, die der wildeste und prominenteste Free-Jazz-Pianist der Welt je erfahren hat. Anders gesagt: das wirklich Beste, was von und über Taylor je veröffentlicht wurde.
Im Jahr 2017 gab es in München eine groß angelegte Hommage an die "Free Music Production" und damit an das, was von Jost Gebers bewegt worden ist: die Ausstellung "The Living Music" im Haus der Kunst. Auf einer großen Fläche konnte man da Musik, Schallplatten und Dokumente entdecken. Markus Müller, der Kurator der Ausstellung, sagte damals den bemerkenswerten Satz: "Die FMP ist der wichtigste kunst- und kulturpolitische Beitrag Westberlins zum 20. Jahrhundert". Okwi Enwezor, der damalige Direktor des Hauses der Kunst, ergänzte im Gespräch mit BR-Klassik, dass diese Musik für ihn "absolut zeitgenössisch" als Raum für subjektiven Freiheitsausdruck sei - und verwies auch darauf, dass sie einst den Punk-Rock inspiriert habe.
Jost Gebers war bei der Eröffnung ebenfalls anwesend – und ins BR-Mikrophon sagte er damals Sätze, die höchst lebendig aus dem Moment gegriffen waren – und zeigten, welche Lust an Auseinandersetzung Gebers damals immer noch hatte. Er sagte: "Ich seh‘ da gerade Bilder von 1968 im Fernsehen. Es war tatsächlich so, dass damals Leute in unsere Konzerte kamen und dann ganz schnell wieder gingen – zu dieser Musik konnte man nicht Ho Chi Minh brüllen. Dazu braucht man andere Musik." Andere Musik – solche, die sich vereinnahmen lässt, egal ob von Konventionen, Marktgesetzen oder Ideologien: Solche Töne wollte der leidenschaftliche Produzent und Freigeist Jost Gebers nie in die Welt setzen. Musik unter seinem Label sollte frei sein – ohne jede Einschränkung.
Sendung: "Allegro" am 19. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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