Er ist seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Jazzmusiker aus Bayern, spielte mit amerikanischen Größen wie Benny Bailey, Jimmy Woode und Nathan Davis – und leitet seit 2009 die Jazz-Abteilung der Musikhochschule München: der Trompeter Claus Reichstaller. Am 25. Mai wird der Musiker sechzig.
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Es gibt eine Aufnahme von der Internationalen Jazzwoche Burghausen 2013, da spielt Claus Reichstaller eine Komposition eines seiner musikalischen Mentoren: des Trompeters Benny Bailey. Es war im Konzert mit den hochkarätig besetzten "Jazz Masters All Stars", bei denen in jenem Jahr unter anderem Stars wie Saxophonist Benny Golson und Pianist George Cables mitwirkten. Am weicher als die Trompete klingenden Flügelhorn ist Reichstaller hier der Solist in dem lyrischen Stück "Peruvian Nights".
In dieser Aufnahme kann man studieren, wie dieser Musiker spielt: ein hohes Maß an Kontrolle über den Ton, klare Konturen, ein ganz fein abschattierter Klang von prägnanten, kurzen Attacken bis hin zu samtig-geschmackvollen Auszierungen von Phrasen. Wie er in diesem Stück bereits in den ersten Tönen des Themas einen ganz eigenen Sound etabliert mit einer hoch eleganten Phrasierung voller besonders kunstvoll gesetzter kleiner Pausen, ist ganz große Kunst. Eine Kunst, die, wie so oft bei diesem Musiker, sehr leise daherkommt: Das Laute kann er sehr wohl, er hat es aber nicht nötig.
Wenn man schon von "Jazz Masters" spricht: Claus Reichstaller ist einer. Seine Laufbahn zeigt das eindrucksvoll (und sein Spiel sowieso). In den frühen 1980er Jahren studierte er am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium klassische Trompete, danach spielte er gleich in hochkarätigen Big-Bands mit, etwa in derjenigen des nach München gezogenen Amerikaners Al Porcino sowie bei Peter Herbolzheimer und Harald Rüschenbaum, er war Mitglied bei der Band "Jazz Power" des Schlagzeugers Charly Antolini – und wurde 1989 für den schwer verunglückten Trompeten-Weltstar Woody Shaw in die sehr erfolgreiche "Paris Reunion Band" engagiert, einer Band aus berühmten amerikanischen Musikern (Nat Adderley, Curtis Fuller, Kirk Lightsey und anderen), die der französischen Hauptstadt als bedeutender Zufluchtsstätte für amerikanische Musiker nach dem Zweiten Weltkrieg huldigte.
Danach arbeitete Reichstaller unter anderem mit Paul Kuhn, Max Greger und Hugo Strasser in der Band ihrer "Swing-Legenden"-Tourneen - und er war von 1997 an festes Mitglied der SWR Big Band, einer der sehr renommierten Big-Bands des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Für drei davon hat Reichstaller gespielt, neben derjenigen des SWR für die WDR Big Band und die hr-Bigband. Seit 2009 ist Claus Reichstaller Professor an der Hochschule für Musik und Theater München, deren Jazz-Abteilung (sie nennt sich offiziell "Jazz-Institut") er bis heute leitet - worüber er auch 2020 mit Beate Sampson gesprochen hat.
Reichstaller ist Sohn einer Bayerin und eines Senegalesen, der in den frühen 1960er Jahren als Medizinstudent in Deutschland war, danach aber wieder zurückging. Über seine frühen Jahre sagte er in einem BR-KLASSIK-Interview: "Geboren bin ich zwar in München, aber meine Mutter ist dann sehr früh mit mir aufs Land zu ihren Eltern nach Unterneukirchen in der Nähe von Altötting gezogen. Der Glücksfall war, dass es da eine Bläsergruppe gab. Und über diese Bläsergruppe habe ich sehr früh mein Talent erfahren dürfen, dass ich mit der Trompete etwas machen kann, und hab dann mit acht Jahren angefangen." Diese Gruppe war ein kirchliches Ensemble, die Christkönig-Bläser Unterneukirchen. Mit elf gewann er dann schon den Regionalwettbewerb von "Jugend musiziert". Allerdings wurde zeitweilig ein anderes Instrument für ihn interesssanter: die Gitarre, weil dieses Instrument in der Popmusik eine wichtige Rolle spielte.
Im Jazz habe ich meine Heimat gefunden.
Claus Reichstaller | Bildquelle: Ralf Dombrowski Doch Claus Reichstallers Onkel war Jazzfan und nahm den Neffen Mitte der 1970er Jahre mit zur Internationalen Jazzwoche Burghausen. Da gab es dann ein "einschneidendes Erlebnis", wie er selbst sagt; und dieses Erlebnis schildert der Trompeter wie folgte: Im Jazzkeller habe er eine Band gehört "mit Billy Brooks am Schlagzeug, Isla Eckinger am Kontrabass, Joe Haider am Klavier. Das war ein Ereignis, das ich nie wieder vergessen habe. Mich haben diese Kraft und diese Energie so beeindruckt, die da von der Bühne gekommen sind. Ich hatte vorher nie wirklich Jazz gehört. Und dann auch noch live. Damals war’s so: Man kam in den Jazzkeller, und da war das Schlagzeug gleich links auf der Bühne, wo man reinkommt. Und da sah ich sofort den Billy Brooks, wie stolz der an seinem Schlagzeug gesessen ist – und dann natürlich ein Schwarzer; das das war für mich, als Schwarzer, der auf dem Land aufgewachsen ist, ein Erlebnis, denn in dieser Zeit war ich der einzige in einer weiten Umgebung. Das war eines der ersten großen Erlebnisse mit dem Jazz – und das hat mich nicht mehr losgelassen."
Im Jazz, sagt Claus Reichstaller, "habe ich meine Heimat gefunden" – neben der geographischen Heimat Bayern. Als Trompeter – und in seiner Eigenschaft als Instituts-Leiter an der Hochschule – tut dieser hochmusikalische Bayer viel, um dem Publikum und nicht zuletzt jungen Musikern an der Hochschule Erlebnisse zu verschaffen, die sie nicht mehr loslassen. Unter anderem hat er damit begonnen, bedeutende amerikanische Musiker:innen wie etwa die Altsaxophonistin Tia Fuller oder den Saxophonisten und Flötisten Ernie Watts für Workshops an die Musikhochschule zu holen – der Erkenntnis folgend, dass seine eigene "Universität" nicht zuletzt die Begegnungen mit großen Musikerinnen und Musikern war.
Wie ergiebig das sein kann, zeigte der Nachmittag des 29. Mai 2017, als Ernie Watts in einem Raum im Münchner Gasteig zu Studierenden sprach (eine Veranstaltung, in die der Autor dieses Textes zufällig hineinplatzte). Da sagte Watts unter anderem: "Das Wichtigste, das man an einem Instrument lernen kann, ist Sound. Das habe ich durch die Popmusik gelernt. Sie können kein John-Coltrane-Solo über einem Popmusikstück spielen; worauf alles also hinausläuft ist die Frage, wie man einen einzigen Ton spielt." Ein bisschen war das, als spreche Ernie Watts an jenem Tag über einen Kollegen wie Claus Reichstaller: einen Meister des Sounds, des ganz persönlichen Formens bereits eines einzigen Tons. Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag!
27. Mai 2023 BR-Klassik, 18.05 – 19.00 Uhr, Jazz und mehr mit Ulrich Habersetzer
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Claus Reichstaller Quartet in Minsk, Belarus
Kommentare (2)
Donnerstag, 25.Mai, 20:00 Uhr
Andreas Koenig
Ein schöner Artikel....
...Herr Spiegel, aber Sie haben die vierte der öffentlich-rechtlichen Big Bands unterschlagen - die des NDR.
Herzlichen Gruß aus dem Norden!
Antwort von BR-KLASSIK:
Vielen Dank für den Hinweis! Das war wirklich ein Versehen und wurde soeben korrigiert – zumal ich die NDR Bigband schon oft live gehört habe und sie sehr schätze. Mit Bitte um Entschuldigung, Roland Spiegel
Donnerstag, 25.Mai, 13:35 Uhr
Patrick Manzecchi
Happy Birthday!
Alles Gute zu Deinem heutigen Ehrentag, lieber Claus. And thanx for all the good music!