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Josephine Bastian im Interview "Verletzungen sind etwas sehr Reales in der Musik"

Musiker und Musikerinnen sind auf ihren Körper angewiesen. Dass er funktioniert. Dass er ihnen bei der Ausübung ihrer Kunst hilft. Die Cellistin Josephine Bastian musste nach einem schweren Unfall die Erfahrung machen, dass der Körper nicht mehr funktioniert. Unter Schmerzen ist sie zu ihrem Instrument zurückgekehrt. Im Interview spricht die 27-jährige über ihren Unfall, Alternativen zur Musikkarriere und warum sie jungen Musikerinnen und Musikern dabei helfen möchte, schon früher über Lebenswege abseits der Musik nachzudenken.

Bildquelle: Josephine Bastian

Interview mit Josephine Bastian

"Verletzungen sind etwas sehr Reales in der Musik"

BR-KLASSIK: Frau Bastian, was ist im Sommer 2021 genau passiert?

Josephine Bastian: Das war im Juni, ein richtig warmer, schöner Sommerabend. Und ich war mit zwei engen Freunden auf der Dachterrasse beziehungsweise der Erweiterung der Dachterrasse, wo wir schon sehr viele Abende verbracht haben. Da haben wir zusammen in einer Hängematte gesessen und an nichts Böses gedacht. Und leider ist dann etwas sehr Katastrophales passiert. Die Aufhängung unserer Hängematte war zwar sicher, aber der Gegenstand, an dem sie hing, war eben nicht stabil genug. Das war das ein sehr großer gemauerter Ziegelschornstein, und der ist unter unserem Gewicht zusammengebrochen und auf die linke Seite meines Oberkörpers gestürzt.

BR-KLASSIK: Nach dem Unfall wurden Sie operiert. Ihre Wirbelsäule und Ihr Brustbein wurden von Titanplatten und Schrauben gestützt. Haben Sie sich vor diesem Unfall schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie es mit Ihrer Karriere weitergehen könnte, wenn so etwas Schlimmes passiert?

Josephine Bastian: Ehrlich gesagt habe ich darüber nicht so nachgedacht. Natürlich hat man einen Gedanken mal, wenn man sich zum Beispiel schlimm in den Finger schneidet. Das ist mir auch schon passiert. Schon einmal kurz vor einem Wettbewerb. Da war die Fingerkuppe rechts weg, das ist natürlich ganz schlecht beim Cello. Aber das war halt nur eine sehr temporäre Sache. Dass ich tatsächlich über einen Plan B nachgedacht hätte, das ist eigentlich nicht wirklich vorgekommen. Und es wurde auch im Studium oder von Lehren oder von Seiten der Hochschulen nie wirklich thematisiert.

Gesprächskonzert mit Josephine Bastian

Am Donnerstag, 1. Dezember, spricht Josephine Bastian mit Julia-Sophie Kober vom Career Center der Hochschule für Musik und Theater München, der Sängerin Elisabeth Kulman und dem Soziologen Harald Welzer zum Thema Aufhören und Neuanfangen. Dazu gibt es Musik von Erwin Schulhoff, Franz Schubert und Bohuslav Martinu von der Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. BR-KLASSIK überträgt den Abend von 20:05 Uhr an live im Radio.

BR-KLASSIK: Alternativen zum Weg als Berufsmusikerin gab es also nicht in Ihrer Ausbildung?

Josephine Bastian: Mit dem Thema Alternativen bin ich fast nicht konfrontiert worden. Und wenn, dann hatte ich eher das Gefühl, dass es so ein Tabuthema ist, darüber zu sprechen.

Ich habe natürlich meine Ärzte mal gefragt, ob ich wieder Cello spielen kann. Aber in den ersten Wochen nach dem Unfall war es mir völlig egal, was beruflich wird.
Josephine Bastian

BR-KLASSIK: War das denn nach dem Unfall von Anfang an klar, dass Sie zurück ans Instrument wollen? Oder haben Sie diesen Gedanken auch mal weggeschoben?

Die Cellistin Josephine Bastian | Bildquelle: Josephine Bastian Die Cellistin Josephine Bastian. | Bildquelle: Josephine Bastian Josephine Bastian: Da bin ich durch verschiedene Phasen gegangen. So ein bisschen ähnlich war das zu den Trauerphasen, die man in Trauerprozessen oft so beschreibt. Da geht man erst einmal durch eine Phase des Verdrängens. Und für mich war das in den ersten paar Tagen nach dem Unfall auch besonders wichtig, beziehungsweise auch lebensrettend für meinen Körper. Ich habe dann natürlich meine Ärzte mal gefragt, ob ich wieder Cello spielen kann. Aber an sich hatte ich in den ersten Wochen erst mal so eine riesige Dankbarkeit dafür, überhaupt am Leben zu sein und die Einstellung, mir ist es völlig egal, was beruflich wird. Das war auch zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich gesagt habe: "Cello spielen? Also Entschuldigung, bitte guckt mich mal an. Ich kann froh sein, dass ich noch lebe."

BR-KLASSIK: Wann hat sich das verändert? Wann haben Sie wieder an Ihren Beruf gedacht?

Josephine Bastian: Ich bin dann in so eine Wutphase gekommen. Warum passiert mir das? Und als dann irgendwann auch wieder mehr körperliche Kapazität da war, mich geistig damit auseinanderzusetzen, wurde mir dann diese heftige Identifikation mit meiner Künstlerpersönlichkeit erst einmal bewusst. Und dass mein Selbstwert auch zum großen Teil einfach identifiziert ist mit meinem Erfolg als Cellistin und als Musikerin.

BR-KLASSIK: Sie standen vor dem Unfall eigentlich auf einem Sprungbrett. Ihr Studium hatten Sie mit einem Master in den USA abgeschlossen und dann ein Stipendium bei der Paul Hindemith Orchesterakademie in Frankfurt bekommen. Wann haben Sie denn angefangen, das Instrument wieder wirklich in die Hand zu nehmen?

Josephine Bastian: Als ich es zum allerersten Mal wirklich in die Hand nahm, da konnte ich fast noch nicht sitzen. Da hat mich ein Freund von hinten gestützt, und ich habe nur versucht, mich einigermaßen auf den Stuhl zu halten, weil mein Rücken halt noch super instabil war und auch extremst wehgetan hat. Ich konnte das Cello nicht mal an der Brust anlegen, weil mein Sternum ja auch gebrochen war. Aber ich habe es trotzdem so an mich rangenommen. Also würde ich sagen, das weniger als vier Wochen nach dem Unfall.

BR-KLASSIK: Wie hat sich das angefühlt, das Instrument wieder in der Hand zu halten?

Josephine Bastian: Irgendwie war das auch noch sehr weit weg. Meine Finger hatten den Wunsch, zu spielen und zu greifen. Und das, was ich zuletzt geübt habe, war ausgerechnet die Bourrée aus der Sechsten Bach-Suite mit den vielen Doppelgriffen. Und das ging natürlich fast nicht. Ich durfte meinen linken Arm auch noch nicht bewegen wegen einer Schulterverletzung. Aber ja, so die Finger aufs Cello legen zu können, das hat sich schon auch sofort wieder angefühlt wie Zuhause.

Ich kann mir aus körperlicher Sicht nicht vorstellen, die nächsten Jahre im Opernorchester zu arbeiten. Es ist mit sehr viel Schmerz verbunden.
Josephine Bastian

BR-KLASSIK: Sie machen jeden Morgen Yoga um körperlich überhaupt in der Lage zu sein, sich wieder ans Instrument zu setzen. Glauben Sie denn, dass das Cello als Zuhause Ihr Leben weiter bestimmen wird? Oder denken Sie auch darüber nach, eine andere Richtung einzuschlagen?

Josephine Bastian: Also, ich werde nie aufhören, Cello zu spielen und Musikerin zu sein. Es ist ein ganz tolles Gefühl, auf höchstem Niveau spielen zu können, sich aber trotzdem in den Prozess zu begeben, Alternativen zu suchen. Und genau das mache ich jetzt auch tatsächlich. Ich bin jetzt, nach fast vier Monaten an der Oper in Frankfurt zu dem Schluss gekommen, dass ich mir aus körperlicher Sicht nicht vorstellen kann, die nächsten Jahre oder die nächsten Jahrzehnte im Opernorchester zu arbeiten. Es ist mit sehr viel Schmerz verbunden und einfach zu viel Qual im Verhältnis dazu, was ich musikalisch auch daraus für die Seele gewinne. Deswegen bin ich gerade in einer großen Umorientierungsphase und versuche meine Stärken zu erkennen, die es sicher schon länger gibt, es aber auf dem nie irgendwie der Fokus war. Und da orientiere ich mich gerade in Richtung Journalismus.

BR-KLASSIK: Der Klassikbetrieb an sich bringt einen unglaublichen Leistungsdruck mit sich. Müsste sich da nicht grundlegend etwas ändern, um die Musikerinnen und Musiker mehr zu unterstützen?

Josephine Bastian: Ja. Und selbst wenn es inzwischen einige tolle Coaches gibt, die mit Musiker*innen arbeiten, glaube ich, dass das zurzeit nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein kann, wenn sich nicht schon im Ausbildungs- und Hochschulwesen etwas ändert.

Es gibt bei weitem nicht für alle ausgebildeten Student*innen Orchesterstellen.
Josephine Bastian

BR-KLASSIK: Wie kann die Ausbildung da besser werden?

Josephine Bastian: Es muss mit dem Tabu gebrochen werden, über Alternativen auch nur zu sprechen. Ich finde, das muss eigentlich schon viel früher passieren. Da sind wir noch sehr in einer Kultur, die ja im Kindesalter anfängt, wo man Hochleistungs-Musiker*innen heranzieht und da einfach sehr leistungsorientiert vorgeht. Ich kann mich nicht erinnern, dass es je ein Gespräch zwischen mir und einer Dozentin oder einem Dozenten gab, auch wo es darum gegangen wäre, Alternativen zu schaffen oder sich auch vielleicht mal andere Stärken bewusst zu machen, um diese sehr reale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es mit diesem Beruf nicht klappen könnte. Hinzu kommt, dass es ja bei weitem nicht für alle ausgebildeten Student*innen Orchesterstellen gibt.

BR-KLASSIK: Hinzu kommt die Möglichkeit von Verletzungen.

Josephine Bastian: Verletzungen und chronische Erkrankungen sind ja etwas sehr Reales in der Musik. Das muss eben nicht nur älteren Personen passieren, sondern es kann auch jung vorkommen. Und wenn man dann völlig uninformiert und vielleicht auch ohne die Basics wie Berufsunfähigkeitsversicherung dasteht, was bei mir der Fall war, dann sieht es erst einmal ziemlich dunkel aus für die für die Zukunft. Man fühlt sich auch alleingelassen, weil man keine Skills an die Hand bekommen hat, die nötig wären, um sich umzuorientieren.

BR-KLASSIK: Sie überlegen, selbst ein Body-Mind-Coaching für Musiker zu entwickeln. Wollen Sie da auch solche Skills weitergeben?

Josephine Bastian: Ja, das würde ich auf jeden Fall gerne weitergeben. Jeder war schon mal verletzt über kurz oder lang. Ich beschäftige mich aber zum Beispiel gerade auch viel damit, wie man in der klassischen Musik dafür sorgen kann, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen die gleichen Chancen und auch einfach Aufmerksamkeit bekommen. Da würde ich schon gerne helfen, weil ich das Gefühl habe, innerhalb dieser kurzen Zeit seit meinem Unfall einen sehr großen Erfahrungsschatz gesammelt zu haben.

Sendung: "Leporello" am 28. November 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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