Was bleibt übrig, wenn man dem "Fliegenden Holländer" all das Verfluchte und den Erlösungspathos nimmt? Herbert Fritsch versucht das in seiner Neuinszenierung von Wagners Werk an der Komischen Oper Berlin. Und gewinnt auf ganzer Linie.
Bildquelle: Monika Rittershaus
Wagner witzig? "Der fliegende Holländer" komisch und leger mit wilden Ausflügen in die Film- und Gespensterszene? Was radikale Wagnerianer garantiert auf Barrikaden treibt, hat Regisseur Herbert Fritsch lässig auf die Bühne der Komischen Oper Berlin gebracht. In dieser amüsanten Melange aus "Fluch der Karibik" und Zwanzigerjahre-Revue hat das wagnerische Erlösungspathos null Chance.
"Der fliegende Holländer", der in Hamburg zuletzt ganz reduziert zu sehen war, flirtet hier mit dem Schicksal in einer Mischung aus Johnny Depp und Sonnenkönig. Als roter Lockenkopf baggert Günter Papendell Dalands Töchterchen Senta androgyn, charmant und sehr viril an. In seiner Mannschaft bleicher Untoter schwanken Typen wie Alice Cooper oder Harry Potters Gespenster über den blanken Boden, um ein riesiges Spielzeugschiff. Auch Dalands Matrosen stolpern auf festem Boden nie besser sie stolpern. Denn wenn in dieser Inszenierung schon nichts heilig sein darf, dann auch nicht Wagners krude Sprache. Mit norddeutschem Akzent singen die Sänger, sie s-tolpern immer wieder über s-pitze S-teine, frei nach dem Motto kein Gag kann flach genug sein, um den Tiefgang aus der Story um den verfluchten Seemann zu nehmen.
Das macht Spaß, solange die Bühne voll ist mit Matrosen, Gespenstern und spinnenden Mädchen. Oder wenn der Holländer jedes hehre Wagner-Ideal mit seiner Stummfilmmimik konterkariert. Leert sich die Bühne, wird es kritisch, wenn der arme Erik seine Senta anfleht, wenn Senta den Holländer anhimmelt, wenn Vater Daland beide verkuppelt, dann reicht Komik nicht aus. Dann zieht es sich trotz aller Mätzchen eben doch.
Zur Musik: Das Orchester unter Dirk Kaftan fetzt in hohem Tempo und lautstark durch den Abend, nicht eben sauber, in jedem Takt, aber leidenschaftlich und mit Wumms. Daniela Köhlers Senta hat einen markerschütternden, enorm präsenten Sopran, der eigentlich etwas zu stark und damit zu laut ist für die kleinste der Berliner Opern. Brenden Gunnell als Erik wiederum hatte nicht seinen besten Abend mit einem sehr engen Tenorton.
Aber lassen wir das meckern. Die Komische Oper ist kein Haus mit Wagner-Tradition. Den Holländer gab es hier das letzte Mal vor 60 Jahren. 2010 die Meistersinger, das war's. Dem Publikum hat es nicht nur gefallen, der Jubel explodierte immer wieder in spitze Begeisterungsschreie; auch für die Regie. Warum gerade Günter Papendell komplett überflüssige Buhrufe für seinen Holländer einstecken musste, ist nur mit den Unartigkeiten des Berliner Publikums zu erklären. Ich fand ihn als Anti-Holländer anbetungswürdig und Grund genug, diese Inszenierung insgesamt froh zu loben.
Sendung: "Allegro" am 28. November 2022, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Samstag, 03.Dezember, 22:50 Uhr
Dorothee Brosius-Grass
Der fliegenden Holländer
Ich fand es großartig!
Montag, 28.November, 14:40 Uhr
Martin Schühle
Premiere fliegender Hölländer
Sehr gut kommentiert.
Wir waren gestern bei der Aufführung.
Ein Buhruf für disee künstlerische Leistung ist verachtenswert. Vielleicht ein gemeiner Neider.