Im spanischen Faschismus der frühen Franco-Zeit sind die Männer allesamt hart, die Frauen vor allem anpassungsfähig: Regisseur Herbert Föttinger lässt allerdings offen, was er mit dieser historisierenden Deutung bezweckt. Das Publikum war gleichwohl angetan.
Bildquelle: Markus Tordik
Es soll ja auch heute noch Männer geben, die unbedingt in ihren Stiefeln sterben wollen. Dagegen ist es etwas aus der Mode gekommen, in Stiefeln zu leben und noch weniger angesagt, in Stiefeln zu lieben, denn das ist nicht nur unbequem, sondern auch gefährlich, wie Regisseur Herbert Föttinger in seiner Inszenierung der "Carmen" am Münchner Gärtnerplatztheater vorführt. Er verlegte die Handlung in das faschistische Spanien unmittelbar nach dem Bürgerkrieg, also in die Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Der von den Nazis unterstützte General Franco hat gesiegt, seine Truppen rächen sich an Kommunisten, Anarchisten, Andersdenkenden. Die Militärstiefel werden zum Sinnbild von Faschismus und Unterdrückung.
Eifrig wienern Francos Soldaten gleich zu Beginn ihre Knobelbecher und in den nächsten drei Stunden marschieren sie grimmig durch Andalusien. Im Widerstand dominiert auch der geistige Gleichschritt: Lauter vermeintlich harte Kerle, die sich der großen gemeinsamen Sache verschrieben haben, während die Frauen dekorativ als Heilige und Huren im Einsatz sind. Klar, das mag im spanischen Faschismus die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern gewesen sein, aber was hat das dem heutigen Publikum zu sagen? Eine Frage, die bis zum Schluss leider nicht beantwortet wird.
Don José, der gutmütige, etwas beschränkte baskische Feldwebel, schwankt zwischen der frommen Micaëla und der abgefeimten Carmen, die hier nicht gerade eine freiheitsliebende Sympathieträgerin, sondern eher eine etwas phlegmatische Opportunistin ist. Überhaupt bleiben die Frauen bei Herbert Föttinger weitgehend Allegorien, Männerfantasien.
"Carmen - die Populäre" in der BR-KLASSIK Serie zu den bekanntesten Opernrollen.
Bildquelle: Markus Tordik Sie sind mal fürsorglich, mal bedrohlich, aber nicht unabhängig. Mag sein, dass die Inszenierung damit nah an Georges Bizets Original von 1875 bleibt, aber das wirkt alles doch insgesamt recht betulich und unentschlossen, zumal im Programmheft politisch korrekt erklärt wird, warum der Begriff "Zigeuner" heute höchst problematisch ist und warum Sinti und Roma keineswegs so frei und ungebunden leben konnten, wie es in dieser Oper kolportiert wird.
Bühnenbildner Walter Vogelweider hatte neoklassizistische Bogenfassaden entworfen, wie sie Franco, Mussolini und Hitler schätzten: Der kühle Charme der Diktatur. Dazu passten die Kostüme von Alfred Mayerhofer, die auch umstandslos in ein Stück von Federico García Lorca gepasst hätten, der wie kein anderer die faschistischen und klerikalen Neurosen der spanischen Vorkriegs-Gesellschaft analysierte. Das Publikum war angetan von dieser optisch absolut stimmigen, aber inhaltlich fragwürdigen "Carmen".
Zur Begeisterung trugen sicherlich die Solisten bei, allen voran die charismatische Sophie Rennert in der Titelrolle, die eine ungewohnt eisige Gleichgültigkeit in Liebesangelegenheiten ausstrahlte, ja förmlich gelangweilt schien von den gestiefelten Männern. Lucian Krasznec als Don José quälte sich effektvoll als baskischer Soldat und Außenseiter, dessen politische Loyalität permanent unter Beobachtung steht. Timos Sirlantzis als Stierkämpfer Escamillo irritierte damit, dass er gleichermaßen gute Beziehungen zu Faschisten und Kommunisten zu haben schien: Wenn sie einen Stier sehen, vergessen die Fanatiker offenbar ihre Meinungsverschiedenheiten. Womöglich war das ironisch gemeint. Dirigent Rubén Dubrovsky hätte diese "Carmen" wohl gern befeuert, doch weil die Inszenierung insgesamt eher melancholisch wirkte, blieb die emotionale und musikalische Temperatur eher lauwarm als hitzig, was die Begeisterung der Zuschauer nicht schmälerte.
Sendung: Piazza am 19. Oktober 2024 ab 9:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Montag, 21.Oktober, 10:54 Uhr
Clemens Hauck
Kinderchor gestrichen - einfach so
Ich verstehe nicht so ganz, warum der Kinderchor (in der Merkur-Kritik vom 21.10.24 als „putzig“ bezeichnet) nicht ins Regiekonzept passte und gestrichen wurde.
Samstag, 19.Oktober, 23:22 Uhr
Brigitte Steinert
wo bleibt die Kritik über den Gesang?
"Tolles Ensemble, allen voran Sophie Rennert"... Da erwartet man nicht nur Aussagen über dargestellte Charaktere und die Regie. Wo bleibt die Aussage über den Gesang? Die Gesangstechnik, die musikalische Interpretation? Die Stimmfärbung, die musikalische Rolleninterpretation? Sind SängerInnen heute nur noch Staffage für Regieideen? Regie ist enorm wichtig, aber in einer Oper sollte es doch 50:50 heißen, oder nicht? Warum sind KritikerInnen heute schon froh, wenn sie meinen, die Regie begriffen zu haben? Verstehen sie nichts mehr von Operndarstellung, die sich auf Musik und Szene bezieht? Wie enttäuschend, wie respektlos gegenüber den SängerInnen, wie schade!!!
Samstag, 19.Oktober, 13:59 Uhr
Barboncino
Programmheft
Wie gut, dass es ein Programmheft gab,das in bester Manier des betreuten Denkens über den politisch korrekten Gebrauch des Begriffs "Zigeuner" aufklärte.Vielleicht erfährt der geneigte Zuschauer auch irgendwann einmal,wann und wie dosiert er zu Klatschen hat. Carmen in der Francozeit angesiedelt: Gab es nicht derartiges schon einmal an der Wiener Staatsoper? Aber vielleicht täusche ich mich.