Erstmals bei den Salzburger Festspielen wird in diesem Jahr die Oper „The Greek Passion“ von Bohuslav Martinů gezeigt. Als Vorlage diente dem tschechischen Komponisten ein Roman von Nikos Kazantzakis. Uraufgeführt 1961 in Zürich, kam die Oper in Salzburg nun in einer Inszenierung von Simon Stone auf die Bühne der Felsenreitschule. Ein erschütternder, ein festspielwürdiger Abend!
Bildquelle: SF/Monika Rittershaus
Aktueller und bewegender kann Oper kaum sein: Flüchtlinge kommen in einen griechischen Ort. Soeben sind dort die Rollen für die anstehenden Passionsspiele verteilt worden, und im Dorf stellt sich schnell die entscheidende Frage: Wer hilft den Asylsuchenden, wer hilft nicht? Eine Gesellschaft also, gespalten in Gastfreunde und Fremdenfeinde, und: sich zunehmend aufbauende soziale Spannungen – traurig relevant ist diese Story, für die sich der Komponist Bohuslav Martinů vor bereits siebzig Jahren interessierte!
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Regisseur Simon Stone liest diesen Opernstoff als eine Geschichte des Hier und Heute, verzichtet aber auf eine konkrete, realistische Verortung. Die gigantisch groß besetzten Chöre und einzelnen Figuren agieren in einem in den gesamten Bühnenraum eingebauten grauen Kasten. Immer wieder öffnen sich Türen und Fenster oder der Boden, um Menschen auf- und abtreten und Gegenstände verschwinden zu lassen. Schade nur, dass die so atmosphärischen Arkadenreihen der Felsenreitschule bis auf die letzte Etage zugebaut und nicht noch mehr einbezogen wurden.
Bildquelle: SF/Monika Rittershaus Während die Dorfbewohner grau und farblos gekleidet sind, treten die Flüchtlinge in bunten Klamotten von außen ins Geschehen. Sie sind mit Zelten und Schwimmwesten beladen und repräsentieren eine weit weniger homogene Gruppe, vielmehr: Individuen, Jung und Alt. Simon Stone arbeitet souverän mit den Chören. Er kann die Massen gut auf der leeren Bühne bewegen und schafft im überdimensionalen Setting auch immer wieder intime Situationen.
Kammermusikalische Szenen wechseln sich in Martinůs wunderbar farbenreicher Musik raffiniert ab mit gewaltigen Chorsätzen und emotionalen Orchesterausbrüchen. Das klingt mal archaisch, mal modern, mal lyrisch, dann wieder leidenschaftlich. Dass all diese Facetten in Salzburg hör- und nachvollziehbar werden, liegt vor allem an Maxime Pascale. Er dirigiert die Wiener Philharmoniker, die drei Chöre und das starke Solistenensemble präzise und unglaublich differenziert. Er leitet nicht nur, sondern gestaltet vertrackte Rhythmen und schlicht anmutende folkloristische Melodien. Immer wieder begeistern aus dem Orchesterklang hervorstechende Solopartien, aber auch gut koordinierte Bühnenmusik.
Bildquelle: SF/Monika Rittershaus Auch das große Solistenensemble überzeugt in dieser Produktion: Sebastian Kohlhepp verkörpert packend mit seinem lyrischen Tenor den traumverlorenen Hirten Manolios, der schließlich nicht nur in die Christus-Rolle schlüpft, sondern sich auch gegen Gruppenzwang und Autoritäten stellt. Den gefühlskalten und fiesen Dorfpriester Grigoris zeichnet Gábor Betz eindrucksvoll mit seiner erdigen Baritonstimme, dass es niemanden kalt lässt. Hervorzuheben sind auch die beiden Sopranistinnen Sara Jakubiak als Katerina und Christina Gansch als Lenio. Wie alle Personen identifizieren sie sich immer mehr mit den ihnen im Passionsspiel zugewiesenen Rollen. Die Katastrophe ist unvermeidlich.
So wie Jesus im Passionsspiel dieser Oper alle sieben Jahre gekreuzigt wird, so wird schließlich auch der Hirte und Christus-Darsteller Manolios ermordet. Katastrophen wiederholen sich. Eine leider zeitlose Geschichte, tolle Musik und ein starkes Plädoyer für menschliches Miteinander sind zu erleben: Ein erschütternder, ein festspielwürdiger Abend!
Sendung: "Allegro" am 14. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Montag, 14.August, 17:37 Uhr
Ebenfalls kartenlos
Heerlager der Scheinheiligen
Kaum kommt irgendwo ein Stück auf die Bühne, das sich nicht mit Schaum vor dem Mund dem Thema Flucht widmet, empört sich im Forum ein kartenloser Troll, der nicht mal versucht, sich mit dem Stück auseinanderzusetzen und stattdessen für ein übles Machwerk wirbt, das im rechtsextremen Antaios-Verlag publiziert wird. "Ausbaden" muss der auch nichts, sondern der will nur für die eigene (rechte) Sache werben.
Wer wirklich Propaganda statt Kunst möchte, kann sich mit diesem Schund auseinandersetzen, mag aber doch hinterher auf die Propaganda verzichten.
Montag, 14.August, 12:45 Uhr
Der Kartenlose
Salzburger Heuchelei
Das Publikum, das mehrere hundert Euro pro Karte bezahlt hat, applaudiert auch sich selbst und seiner scheinbaren moralischen Überlegenheit ("Menschlichkeit"), und rauscht anschließend mit der Limousine in sein Villenvirtel, wo es genau keinen Kontakt zu den Fremden hat - abgesehen von der Putzfrau natürlich.
Ausbaden dürfen das Ganze andere.
Im Übrigen stimme ich mit der Überschrift der Autorin voll überein. Das Kunstwerk (ok, natürlich auch eher Propaganda als echte Kunst), welches die "Katastrophe" begreiflich macht, dürfte aber eher Jean Raspails "Heerlager der Heiligen" sein als die "Griechische Passion"...
Montag, 14.August, 09:12 Uhr
Beate Schwärzler
"Erschütternd ?" dieser Abend ?
Dazu bin i c h zu erschöpft nach jahrelangen fruchtlosen Kämpfen und Anklopfen von "Draußen vor der Tür".
Heimatlos in dem Land in dem ich aufwuchs.
Grau ist alle Theorie...