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Große Kunst in Salzburg Christian Gerhaher singt Schumann

Sie wissen ihr Publikum zu betören: Bariton Christian Gerhaher und Pianist Gerold Huber. Bei einem Liederabend brachten sie bei den Salzburger Festspielen große Gefühle konzentriert aufs Podium.

Bariton Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerold Huber geben einen Liederabend bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli

Bildquelle: © SF/Marco Borrelli

An großen Liederabenden dauert es nur Momente, die ersten Takte des ersten Lieds vielleicht, bis man als Publikum hinaufgesogen wird auf das Podium und auf zauberhafte Weise eins wird mit dem, was da oben passiert. Das Licht verschwimmt, man nimmt keine Sitznachbarn mehr wahr und alle im Saal vergessen zu husten. Solcher Momente waren einige im Haus für Mozart bei Christian Gerhaher und seinem Klavierbegleiter Gerold Huber. Nicht ausverkauft übrigens, dieser pure Schumann-Abend.

EINE AHNUNG VON SCHMERZ UND LEID

Gemälde von Josef Kriehuber, 1839 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Komponist Robert Schumann | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Herzeleid" servieren uns die beiden gleich zu Beginn mit dem ersten der Sechs Gesänge op. 107 von Komponist Robert Schumann. 1851/52 sind sie entstanden, in Düsseldorf – wo alles so gut begann, wo Schumann Musikdirektor wurde und sich dann doch die Verstimmungen mehrten und es mit der Gesundheit bergab ging. Gerhaher beginnt verhalten, Huber begleitet zart und vorsichtig. Da sticht noch kein Schmerz, aber da ist eine Vorahnung, eine schwer zu greifende Unruhe, und diese Stimmung überträgt sich sofort auf das Auditorium.

Salzburger Festspiele

Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.

STIMMGLANZ UND KLAVIERKUNST

Gerhahers Stimme spricht grandios an, hält ein feines Legato und überrumpelt mit kurzen Forte-Ausbrüchen, die er sofort wieder ins Piano zurücknimmt; Huber hält – etwa in der "Spinnerin" – dagegen mit dem unerbittlichen Gleichklang des schnurrenden Spinnrads.

MUSIKALISCHE RATTENFÄNGER

Auch die Lieder op. 35 auf Texte von Justinus Kerner gelingen großartig – wenn Gerhaher den Schmerz in einen einzigen vibratolosen leisen Ton legt und im "Wanderlied" zwar mächtig zum Aufbruch drängt, aber durch verhaltenen Zorn deutlich macht, dass da auch ein geliebter Mensch zurückbleibt. Aber gewandert wird trotzdem – und was uns der Gesang nicht sagt, übernimmt der Flügel. Bei diesem symbiotischen Duo verschmelzen zwei Stimmen, die das Publikum als eine einzige wahrnimmt. Huber und Gerhaher müssen sich den ganzen Abend nicht einmal anschauen – diese musikalischen Rattenfänger nehmen uns wie selbstverständlich mit in den "Kreis der öffentlichen Einsamkeit", wie die große Edita Gruberova diesen Zustand mal beschrieben hat. Da würde man doch gerne ganz still in die Pause gehen …

"Robert Schumann – alle Lieder"

Christian Gerhaher und Gerold Huber haben in Zusammenarbeit mit BR-KLASSIK, SONY CLASSICAL und dem Internationalen Liedzentrum des Heidelberger Frühling eine Gesamtaufnahme herausgegeben. Erfahren Sie hier mehr über das Mammutprojekt.

KLEINE MANIERISMEN NACH DER PAUSE

Die Liedinterpreten Christian Gerhaher (Bariton) und Gerold Huber (Pianist). | Bildquelle: Nikolaj Lund Kammermusikpartner Bariton Christian Gerhaher und Pianist Gerold Huber | Bildquelle: Nikolaj Lund Danach reißt der Spannungsfaden ein wenig – die "Hütte" aus den Waldliedern op. 119 wirkt in ihrer gewollten Keckheit ein wenig manieriert; Gerhahers Piano verschwindet zuweilen in die Unhörbarkeit – und für ein paar Minuten macht sich der Eindruck von künstlich generierter Natürlichkeit breit. Spätestens mit Goethes "Nachtlied" haben uns die beiden wieder – und das "Warte nur, balde ruhest du auch" hat so gar nichts von einer Bedrohung, dafür viel von Schicksalsergebenheit und sogar Trost. Kleine Geschichten, groß und überraschend anders erzählt.

Sendung: "Allegro" am 1. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Freitag, 02.August, 12:12 Uhr

Rosario

Natürlichkeit

Michael Atzinger hat mit dem Begriff der künstlich generierten Natürlichkeit den Punkt genau getroffen. Kein Naturempfinden eins zu eins, sondern die empfindsam-kranke Konstruktion von Natur und Liebe und Zerbrechlichkeit. Ist es schlimm, wenn bei so kurzen und komplexen Kunstwerken nicht alle Plätze besetzt sind? Ist es nicht wunderbar, wenn alle Anwesenden gebannt von den Um-Wegen der Lied- und Gesangskunst sind? Die Münchner Aufführung war voll - und voller Aufmerksamkeit. Und wir hatten das Glück, Christian Gerhaher als zornigen Golaud und artifiziellen Robert zu erleben.

Donnerstag, 01.August, 10:44 Uhr

Edda Bahnemann

Liederabend Christian Gerhaher

Das hätte es noch vor wenigen Jahren nicht gegeben, dass ein so brillant besetzter Liederabend - Gerhaher/Huber - nicht schon lange im Voraus ausverkauft ist.
Es stimmt mich traurig, dass die Anzahl der sensiblen Musikfreunde geringer wird.

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