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Musical "Ku'damm 56" in München Schwitzen für die gute Seite

Die ZDF-Serie "Ku'damm 56" über eine Berliner Tanzschule in der Nachkriegszeit war höchst erfolgreich. Die Bühnenversion am Deutschen Theater München will kein gesellschaftskritisches Thema auslassen, was den Abend etwas unübersichtlich macht. Zumal die Musik – wohl absichtlich – wenig Fünfziger-Jahre-Charme vermittelt.

Szene aus dem Musical "Ku'damm 56" am Deutschen Theater München | Bildquelle: Jörn Hartmann

Bildquelle: Jörn Hartmann

Dieses Musical lässt wirklich nichts aus. Das ist seine Stärke und leider auch seine Schwäche, denn es wirkt thematisch schwer überfrachtet. Die 1950er Jahre als Geisterbahn mit etwas zu vielen Gespenstern. Die Nazi-Zeit wird verdrängt, der ehemalige KZ-Arzt tritt auf, der frühere Häftling natürlich auch, es geht um die berüchtigte "Arisierung", also die Enteignung jüdischer Geschäftsleute, um Abtreibung, Homosexualität und Gewalt in der Ehe, um eiskalte Karrierepläne, um Wiederaufrüstung und den Kommunismus, kurz und gut: Es geht um all das, was das Jahrzehnt rückblickend angeblich ausgemacht hat, wobei Lichtblicke weitgehend fehlen.

"Ku'damm 56": Charme der Fünfziger blitzt musikalisch selten auf

Das ZDF füllte damit bekanntlich drei mal neunzig Minuten, in der ersten, sehr erfolgreichen Staffel von "Ku'damm 56", die 2016 ausgestrahlt wurde. Eine Serie verträgt viel Abwechslung, auf der Bühne wird es bei gleicher Schlagzahl aber schnell unübersichtlich. Und so ist der Eindruck zwiespältig, übrigens auch von den Songs, die Peter Plate und Ulf Leo Sommer geschrieben haben. Natürlich halten sie sich hier und da an bewährte Tanzrhythmen vom Rumba bis zum Foxtrott, schließlich geht es um das Schicksal einer Tanzschule. Aber der Charme der Fünfziger blitzt musikalisch eher selten auf, wohl aus Angst, damit altmodisch zu wirken. Dabei kommt einem nichts angestaubter vor als der damals rebellische Rock'n'Roll.

Hauptfigur ist keine Sympathieträgerin

Szene aus dem Musical "Ku'damm 56" am Deutschen Theater München | Bildquelle: Jörn Hartmann "Ku'damm 56": Erst eine ZDF-Serie, jetzt ein Musical. Bis zum 17. Dezember ist es am Deutschen Theater in München zu sehen. | Bildquelle: Jörn Hartmann Ja, sicher waren die Fünfziger spießig und verlogen in ihrer Fassadenhaftigkeit: (Fast) jeder wollte vergessen. Dieses Jahrzehnt war nicht romantisch, sondern allenfalls sentimental, bis zur Verbissenheit, Stichwort "Sissi"-Filme. Manches davon hat Regisseur Christoph Drewitz sehr gekonnt in seine Inszenierung aufgenommen. So ist Hauptfigur Monika, sehr überzeugend gespielt von Sandra Leitner, alles andere als eine Sympathieträgerin: Ihr Freiheitsdrang mutet weniger feministisch als trotzig an, sie schert sich weder um ihre Mitmenschen, noch um die Folgen ihres Handelns. Im Grunde ist sie eine Allegorie, wie aus einer Barockoper, die Göttin des Fortschritts zum Beispiel, die in ihrer Unnahbarkeit kaum berührt, sondern streckenweise nur noch nervt. Autorin Annette Hess fühlte sich dabei von einer Frau inspiriert, die sie niemals kennenlernte, die aber Familienerzählungen zufolge sehr selbstbewusst durch die Fünfziger tobte, bis sie einen Unfall erlitt und früh verstarb.

Musical "Ku'damm 56" wirkt enorm ambitioniert

Als Musical ist das alles enorm ambitioniert. Teilweise wirkt es unfreiwillig bekennerhaft wie einer der DEFA-Filme aus der Nachkriegszeit, wo die westdeutsche Gegenwart auch total düster gezeigt wurde, voller Altnazis und Frauen, die sich von ihren Ehemännern verprügeln lassen, während der gutmütige kommunistische Maurer davon träumt, eines Tages als Polier am Aufbau des Sozialismus mitzuarbeiten. Dazu passen dann eine Berlin-Hymne und ein Spaziergang nach Pankow. Ist an der Spree vermutlich herzerwärmend, aus süddeutscher Sicht etwas befremdlich. Dabei ist "Ku'damm 59" schon in Arbeit, das Nachfolge-Musical soll im kommenden Mai uraufgeführt werden.

Katja Uhlig glänzt als Tanzstudio-Besitzerin Caterina

Wer über die dramaturgischen und musikalischen Schwächen hinwegsieht, darf hervorragenden Darstellern bei der Arbeit zuzusehen. David Jakobs ist als Freddy ein unverwüstlicher Crooner, der auch mal aufdreht. Katja Uhlig glänzt als Tanzstudio-Besitzerin Caterina, die allen Zumutungen des Lebens ausweicht und dabei immer gefühlskälter wird. Was für ein beklemmendes Rollenporträt in der heutigen Zeit, die die Gefühligkeit für sich entdeckt hat und die sich dabei ebenso konsequent ins Privatleben zurückzieht wie einst die Nachkriegsgeneration, nur weinerlicher. Insgesamt ein ungewöhnlich anspruchsvolles, mitunter arg zerfasertes Musical, das stets auf der richtigen Seite stehen will und dabei mächtig ins Schwitzen kommt.

Sendung: "Allegro" am 1. Dezember 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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