Der Frühlingsmonat als Gleichnis auf die menschliche Jugend, in der die Verwirklichung aller Sehnsüchte möglich scheint. Intendant Stefan Tilch und Komponist Peter Wesenauer machen aus Joseph Roths wenig bekannter Novelle "April. Die Geschichte einer Liebe" von 1925 eine expressionistische Kurzoper. Das Publikum in Passau war begeistert.
Bildquelle: Peter Litvai
Kritik – Novelle als Oper
"April" am Landestheater Niederbayern
Launisch ist er derzeit wirklich, der April, ungefähr wie ein pubertierender junger Mann: erst sommerlich heiß mit Saharastaub, dann urplötzlich abgekühlt mit Graupel und Dauerregen. Es hat also seinen Grund, dass Joseph Roth seiner wenig bekannten Novelle aus dem Jahr 1925 den Namen dieses Frühlingsmonats gab. Es ist ein Gleichnis auf die Jugendzeit, auf den poetischen Aufbruch, der bei Joseph Roth genau am 28. Mai vorbei ist. An dem Tag nämlich, sinnbildlich gesprochen, sollte jeder wissen, was er will – also kurz vor der Lebensmitte, um im kalendarischen Bild zu bleiben. Stefan Tilch, der Intendant des Landestheaters Niederbayern war von dem Stoff sofort angetan.
Beschwingter Frühling: Joseph Roths "April" am Landestheater Niederbayern. | Bildquelle: Peter Litvai Der österreichische Komponist Peter WesenAuer, ein Schüler von Ennio Morricone, schrieb eine Musik, die ähnlich wetterwendisch klingt wie der April. WesenAuer liebt expressionistische Wucht, orientiert sich an den 20er Jahren, also der Entstehungszeit der Novelle. Damals konnte es gar nicht emotional genug sein, wie Freunde der Stummfilmmusik wissen. Und so gibt es eine groteske, kleinstädtische Wirtshauscombo, die mit Bierkrugdeckeln den Takt schlägt, ein rasantes Gedränge auf den Straßen von New York, epische Klanglawinen zu einer romantischen Transatlantik-Überquerung und viel Slapstick, um den Gegensatz zwischen kleiner und großer Welt, zwischen Alltag und Traum zu illustrieren.
Das fesselt über 90 Minuten, nicht zuletzt deshalb, weil die beiden Ausstatter Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels die vielen kurzen Szenen tatsächlich so temporeich und poetisch bebildern wie in einem symbolistischen Film, zum Beispiel von Friedrich Wilhelm Murnau, wo die Häuserfassaden etwas schief ins Bild ragen und den Zuschauer schwindeln lassen. Autor Stefan Tilch ist als sein eigener Regisseur eine wunderbare Würdigung des Aprils gelungen, dieser Jahreszeit, in der alles möglich erscheint, Sehnsüchte wachsen dürfen, aber auch abrupt enden, wenn der Winter doch noch mal eisige Böen sendet. Auch die Liebe ist bekanntlich frostempfindlich.
Das Publikum war begeistert von diesem bittersüßen Gleichnis auf die Jugend. Wer hat sich schließlich noch nie hoffnungslos verliebt in eine zufällige Begegnung, die dann nie wieder auftaucht? Wer hat noch nie seine Träume auf unerreichbare Menschen projiziert, nur um später zu erfahren, dass sie womöglich deutlich weniger poetisch sind als gedacht. Die einen suchen die große Leidenschaft, anderen reicht es, Eisenbahn-Stationsvorsteher zu werden, wie hier vorgeführt wird.
Joseph Roths "April" am Landestheater Niederbayern. | Bildquelle: Peter Litvai Alle Mitwirkenden dieser groß besetzten Produktion zu würdigen, ist an dieser Stelle nicht möglich: Martin Mairinger singt den jungen Kleinstadtbesucher mit viel Überschwang und Wehmut, Joachim Vollrath spricht sein alt gewordenes Ich mit sachlicher Kühle – in fortgeschrittenen Jahren gilt Herzschmerz eher als störend. Henrike Henoch als überarbeitete Schankangestellte Anna und Reinhild Buchmayer als ätherische Schönheit am fernen Fenster faszinieren als Gegensatzpaar zwischen der schnöden Alltagswelt und der Fantasie. Tanz und Pantomime gehören natürlich dazu. Ein gelungenes Wagnis am Landestheater Niederbayern – kein Wunder, wo das Wetter mitspielt.
Die Oper "April. Die Geschichte einer Liebe" läuft in Passau, Landhut und Straubing. Alle Termine finden Sie auf der Website des Landestheaters Niederbayern.
Sendung: "Allegro" am 22. April ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 21.April, 17:58 Uhr
Margit Ott
"April"
Eine sehr lebendige, künstlerisch hervorragende Oper. Der Gesang ist sehr emotionsgeladen und lässt einen mitfühlen. Bühnenbild und Kostüme toll.
Ein großes Lob an den Komponisten! Ein gelungenes Werk!