Zum dritten Mal schon hat Daniel Barenboim das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker geleitet. Viel Spielraum bleibt bei diesem Konzert nicht. Walzer und Polkas, das können die Wiener auf ihre so eigen geniale Art sowieso. Und der Dirigent organisiert das perfekte Walzerschwingen, das in alle Welt übertragen wird. Doch in diesem Jahr liegen in dem so kleinen künstlerischen Gestaltungsspielraum subtile Kommentare zur derzeit so überhaupt nicht walzerseligen Weltlage.
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Traditioneller als das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker geht es kaum. Vom Tau benetzte Rosen blitzen vom Bühnenrand durch die Kameras auf Fernsehbildschirme in der ganzen Welt. Diesmal unter der Leitung von Daniel Barenboim rauschen die Polkas und Walzer der Strauß-Dynastie wieder durch den Musikvereinssaal: leicht und brillant zugleich. Warm im Ton und forsch im Charakter.
Man muss schon suchen nach künstlerischer Aussagekraft, die über die Tradition hinausgeht. Doch erstaunlicherweise ist die am Neujahrstag 2022 doch ganz offensiv. Josef Strauß' "Phönix-Marsch" und Johann Strauß' "Phönix-Schwingen-Walzer" eröffnen das Konzert. Und mit Blick ins FFP2-maskierte Publikum und den Einblendungen, die versichern, dass das Konzert in Wien unter 2G-Plus-Bedingungen stattfindet, donnert das schon gewaltig: Der Vogel, der aus seiner eigenen Asche wiederaufersteht, wirkt wie ein Zeichen an die Kunst und an die von Corona-Einschränkungen gebeutelte Kulturszene. Aber auch als ein Zeichen fürs Leben und dessen heiß ersehnte Auferstehung an sich.
Daniel Barenboim und die Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins beim Neujahrskonzert 2022 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Daniel Barenboim, der sich Zeit seines künstlerischen Lebens auch immer als politischer Mensch positioniert hat, kann die Wiener Tradition. Und trotzdem zeigt sich der Anfang dieses Konzerts verhalten, ja fast nachdenklich. Als drittes Stück gibt es Josef Strauß' "Sirenen-Polka". Doch so eine richtige Polka ist das fast nicht. Langsam, ja beinahe sphärische Teile gibt es da. Neben all dem so eigenartig warmen Blech der Wiener dürfen die unter Barenboim eine nötige Mystik entfalten.
Ein paar Polkas und Walzer später – in traditionell Fermaten-schwingender Weise – gibt es dann für die Fernseh-Zuschauer Einspielungen. Die erste: Ein Paar streift durch Wien, spielt verliebt mit fragwürdiger Schauspielkunst. Die zweite nach der Pause: Das Wiener Staatsopernballett mit einer Choreografie von Martin Schläpfer zum Tausend-und-eine-Nacht-Walzer. Im Schloss Schönbrunn lässt Staatsballett-Direktor Schläpfer seine Tänzer aber durchaus zeitgenössisch auf all die Klassik blicken. Ein schöner, direkter und ein bisschen antitraditioneller Zugriff. Der tut ebenso gut tut wie eine erzählerisch weitschweifende und detailreich illustrierte "Fledermaus“-Ouvertüre".
Und so trifft beim Wiener Neujahrskonzert natürlich auch Erwartbares auf Erwartetes. Ein österreichischer Werbefilm, der um die Welt geschickt wird. Und dennoch: Die kleinen künstlerischen Ausreißer, die brennende Spiellust des Orchesters und die zarte Nachdenklichkeit zur Weltlage überzeugen. Das zeigt sich auch im Schlussstück: Der Sphärenklänge-Walzer kommt mit Walzerseligkeit daher. Aber auch mit einer sehr speziellen Durchsichtigkeit und Vorsicht.
Sendung: "Allegro" am 3. Januar 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Freitag, 07.Januar, 20:59 Uhr
Gartenrose
Konzert
Lässt sich mit einem Lappen im Gesicht diese wunderbare Musik überhaupt genießen? Was würden die Herren Komponisten über diese maskierten Untertanen wohl denken?
Dienstag, 04.Januar, 12:26 Uhr
Nicole
Schloss Belvedere
Die Ballett Einspielung war das Schloss Belvedere und nicht das Schloss Schönbrunn.
Dienstag, 04.Januar, 11:56 Uhr
Leonard Tomaszewski
Neujahrskonzert
Das Herr Barenboim mit Partitur dirigiert fand ich sehr befremdlich!
Er wirkte teilweise abwesend und hatte nicht DIE Bindung zum Orchester wie einige seiner Vorgänger
Montag, 03.Januar, 15:42 Uhr
Gufo
Barenboim
Barenboim ist als Pianist und Dirigent ein Perfektionist.Was normalerweise durchaus ein "Adelsprädikat" ist, ist beim Neujahrskonzert eher hinderlich. Hier ist ein Schuss "Schlampigkeit" gewürzt mit Wiener Schmäh doch wohl eher die richtige Melange, die man am 1. Jänner vermisste.
Sonntag, 02.Januar, 11:48 Uhr
Christian
Ballett
Dieses Jahr fand ich die Choreografie und die Kostüme der TänzerInnen grottenschlecht. Nicht ehrwürdig für die schöne Kulisse und der Musik. Warum müssen die Tänzerinnen barfuß herumlaufen? Ohne Glanz und Ästhetik