Zwei legendäre Sängerinnen, zwei große Dirigenten und zwei hochpolitische Komponisten – das sind nur einige der vielen Künstler*innen, von denen wir uns 2021 verabschieden mussten. BR-KLASSIK erinnert an die großen Musikpersönlichkeiten, die in diesem Jahr gestorben sind.
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Feuchte Taschentücher beim Abschied – das war ihre Sache nicht. Abgehen wollte sie wie die lebenskluge Marschallin im "Rosenkavalier": "Leicht muss man sein. Mit leichtem Herzen und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen." Doch als Christa Ludwig im Oktober 1993, mit 65 Jahren, im überfüllten Herkulessaal ihren allerletzten Münchner Liederabend gab, war die Wehmut im Publikum mit Händen zu greifen. Man hatte zusätzliche Stehplätze verkauft und viel zu wenig Programmhefte gedruckt. Und die Zuhörer*innen saßen sogar noch in mehreren Reihen auf dem Podium. Nur für sie sang die große Mezzosopranistin die letzte Strophe ihrer allerletzten Zugabe: aus dem "Wiegenlied" von Johannes Brahms. Ihr Credo: "Singen muss ein Verströmen von Liebe sein, sonst ist es nach fünf Minuten langweilig." Langweilig war Christa Ludwig keine einzige Sekunde. Am 24. April ist sie gestorben, mit 93 Jahren.
Dirigent Bernard Haitink (1929 - 2021) | Bildquelle: Todd Rosenberg
Im Herbst 2019, mit 90 Jahren, hatte Bernard Haitink seine grandiose Dirigentenlaufbahn beendet – mit einem begeistert gefeierten Konzert in Luzern. Keinen Augenblick seines langen Lebens hat der Niederländer sich selbst wichtiger genommen als die Musik: "Die Gefahr in diesem Beruf ist, bei all dem organisatorischen Getue und dem ganzen öffentlichen Druck, dass man musikalisch austrocknet und nur noch ein Taktschläger, ein Luftsortierer wird. Und das will ich um jeden Preis vermeiden."
Am 21. Oktober ist Bernard Haitink, der wohl bescheidenste unter den großen Orchesterleitern, 92-jährig in London gestorben.
Dirigent James Levine (1943 - 2021) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Eine erfüllte Alterskarriere war James Levine nicht vergönnt: Nach einem langen, steilen Aufstieg stürzte der amerikanische Pultstar am Ende tief. Mehrere Männer hatten ihn wegen sexueller Übergriffe angeklagt. Die New Yorker Metropolitan Opera, Levines künstlerisches Zuhause über vier Jahrzehnte, kündigte ihm – nachdem dort sein Verhalten lange Zeit wohl stillschweigend hingenommen oder gar vertuscht wurde. Am 9. März starb der auch gesundheitlich schwer angeschlagene Dirigent im Alter von 77 Jahren. Und seitdem fragt sich die Musikwelt, ob sein überreiches musikalisches Erbe sich abkoppeln lässt von seinem menschlichen Fehlverhalten.
Komponist Frederic Rzewski (1938 - 2021) | Bildquelle: © Cantaloupe Music, LLC
"Es ist die Aufgabe des Künstlers, die Gegenwart zu spiegeln, in der wir leben." Diese Worte der Sängerin Nina Simone zitiert Pianist Igor Levit in seinem Nachruf auf Frederic Rzewski. Dessen bekanntestes Werk ist ein furioser, fast unspielbarer, über einstündiger Klavierzyklus über ein chilenisches Revolutionslied: "The People United Will Never Be Defeated". Ein so zärtlicher wie wütender Variations-Hymnus auf die Kraft der Gemeinschaft.
Am 26. Juni ist der Komponist Frederic Rzewski gestorben. Er wurde 83 Jahre alt.
Komponist Mikis Theodorakis (1925 - 2021) | Bildquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited Ein immens politischer Musiker war auch er: Mikis Theodorakis. Selbst wenn ihn manche zu seinem Leidwesen als reinen Unterhaltungskünstler abstempelten. Schuld daran war ein spezieller Tanz, mit dem sich 1964 der Schauspieler Anthony Quinn ins kollektive Kino-Gedächtnis einbrannte: im Film "Alexis Sorbas" – mit der Musik von Theodorakis. Der war im Zweiten Weltkrieg als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten aktiv, wurde inhaftiert und gefoltert. Unvergessen seine Funktion als Warner und Tröster während der griechischen Militärdiktatur von 1967 bis 1974. Weit über tausend Werke hat er geschrieben und nach Jahren im Exil sogar mit der griechischen Politik seinen Frieden gemacht – als Minister in einer Mitte-Rechts-Regierung, in der er sich unermüdlich für kulturelle Bildung, Frieden und Völkerverständigung einsetzte. Am 2. September ist Mikis Theodorakis mit 96 Jahren gestorben. Als sein Sarg von Athen nach Kreta überführt wurde, erwiesen ihm auf dem Weg zum Friedhof Tausende die letzte Ehre – mit Ölzweigen in der Hand und mit seinen Liedern auf den Lippen.
Musicalkomponist und -texter Stephen Sondheim (1930 - 2021) | Bildquelle: www.music.kngine.com
Seinen Karrierekick hatte er mit 27: 1957 als Texter für Leonard Bernsteins "West Side Story". Schon als Teenager hatte Stephen Sondheim sein erstes Musical komponiert – und geschrieben hat er bis ins hohe Alter: witzige Texte und süffige, sehnsüchtige, mitreißende Melodien. Warum er immer noch arbeite, wurde er kurz vor seinem Tod gefragt. Seine Antwort: "Was sollte ich sonst tun? Ich bin jetzt zu alt, um noch viel zu reisen."
Am 26. November, einen Tag nach Thanksgiving, ist Stephen Sondheim mit 91 Jahren in seinem Landhaus in Connecticut gestorben.
Sängerin Edita Gruberova (1946 - 2021) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Meldung brach am Abend des 18. Oktober wie eine Schockwelle über die Musikwelt herein: Edita Gruberova war gestorben, zwei Monate vor ihrem 75. Geburtstag, zweieinhalb Jahre nach ihrem Abschied von der Bühne. 50 Jahre lang war die slowakische Sopranistin für ihr Publikum dagewesen – um es mit ihrer Kunst in eine andere Sphäre zu tragen. Und sich selbst in eine Welt zu beamen, in der sie ihren Komponisten ganz nahe war. Sie nannte diese Welt den Kreis der öffentlichen Einsamkeit: "Das ist etwas Fabelhaftes, denn das lässt mich vergessen, dass da jemand ist. Die Musik trägt einen, Gott sei Dank ist sie da. Man ist einsam, aber man weiß, da sind viele, aber in diesem Moment ist das nicht relevant, in diesem Moment bin nur ich mit mir selbst und mit der Musik."
Jazz-Pianist Chick Corea (1941 - 2021) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Geschmeidig, zart und äußerst vital wirkte er auf der Bühne. Virtuos, verspielt und kraftvoll-packend waren seine Klavierklänge. Der Jazzer Chick Corea konnte in den unterschiedlichsten Besetzungen überzeugen: ganz alleine am Klavier, im genialen Duo-Dialog mit Vokal-Akrobat Bobby McFerrin, und natürlich in seinen herausragenden Trios. Auch in der Domäne der klassischen Musik war er immer wieder aktiv. Mit dem Saint Paul Chamber Orchestra spielte er 1996 Mozart-Klavierkonzerte ein, mit manchmal abenteuerlichen Solo-Kadenzen. Gerade im letzten Jahrzehnt bestach er mit herausragender musikalischer Form auf seinen Tourneen. Für die Musikwelt und die vielen Fans der Töne Chick Coreas kam die Nachricht von seinem Tod aus heiterem Himmel: Am 9. Februar 2021 starb der geniale Jazz-Pianist im Alter von 79 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit.
Sendung: "Allegro" am 30. Dezember 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (6)
Freitag, 31.Dezember, 00:00 Uhr
Annerose Schröder
Udo Zimmermann und Siegfried Matthus
Genau Udo Zimmermann hätte eine Erwähnung verdient und auch Siegfried Matthus.
Donnerstag, 30.Dezember, 22:46 Uhr
Joachim Lahme
2021 erberichte...
...sind inhaltlich o.k.
Dss * gendern ist lächerlich und stört den lesefluss !!
Donnerstag, 30.Dezember, 19:15 Uhr
Dagmar Mammitzsch
Verstorbene
Schade, dass der blasierten Musikwelt im Westen der eigene Tellerrand immer noch zu hoch ist. Sonst hätte sie vielleicht schon mal etwas vom Komponisten Siegfried Matthus gehört, der leider auch in diesem Jahr verstorben ist. Schmort weiter in Eurem eigenen Saft...
Anm. d. Red.: Liebe Frau Mammitzsch, hier finden unseren Nachruf zu Siegfried Matthus:
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/komponist-siegfried-matthus-gestorben-100.html
Mittwoch, 29.Dezember, 22:15 Uhr
Renate Düerkop
Es fehlt mir noch : Daphne Evangelatos.
Eine zauberhafte Persönlichkeit, ein warmer Mensch, großartige Künstlerin und Pädagogin.
Mittwoch, 29.Dezember, 19:44 Uhr
Andreas Hofmann
Udo Zimmermann ist auch gestorben
Ich denke, dass Udo Zimmermann auch eine Erwähnung wert gewesen wäre.
Mittwoch, 29.Dezember, 16:42 Uhr
Dieter Blochwitz
um sie trauert die klssikwelt
eine sehr schöne Erinnerungsschrift