In seinem neuesten Werk rechnet der ungarische Komponist Peter Eötvös mit autoritären Politikern und einer verwahrlosten Gesellschaft ab. Die Parallelen zur gegenwärtigen Polarisierung auf deutschen Straßen sind unübersehbar. Die Botschaft ist eher grimmig als ironisch, das Ende düster.
Bildquelle: Marie Liebig
"Das is ja gar keine Oper", klagten ein paar junge Zuschauer nach der Uraufführung von "Valuschka" am Theater Regensburg und ließen offen, wovon sie eigentlich enttäuscht waren. Womöglich vermissten sie die Liebesszenen oder die Leidenschaften, denn der inzwischen 80-jährige ungarische Komponist Peter Eötvös hatte tatsächlich eine Art politisches Lehrstück in der Tradition von Kurt Weill und Paul Dessau geschrieben, mit gut 90 Minuten kurz und knapp, hart und kalt in der Klangsprache, stets auf Deutlichkeit bedacht, ja überdeutlich im Anliegen, als ob ein Bertolt Brecht den Text beigesteuert hätte.
In der Romanvorlage "Die Melancholie des Widerstands" des ungarischen Autors László Krasznahorkai aus dem Jahr 1989 geht es natürlich um die damalige europäische Wende, den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen, aber auch darum, wie solche autoritären Regime eigentlich entstehen. Ein paar Jahre später wurde der Stoff unter dem Titel "Die Werckmeisterschen Harmonien" in einer internationalen Koproduktion verfilmt. Keine Geringere als Hanna Schybulla spielte damals die Hauptrolle der Populistin namens Tünde, die sich in ihrer Stadt zur faschistischen Alleinherrscherin aufschwingt. In der Oper endet Titelheld Jánosch Valuschka, der naive Postbote, Zeitungszusteller und Sternengucker im Irrenhaus, während sich alle anderen Männer der Stadt eine schwarze Uniform besorgen und in eine trittfeste Marschkolonne einreihen.
Roger Krebs, Jonas Atwood, Benedikt Eder und Chor in "Valuschka" von Peter Eötvös | Bildquelle: Marie Liebig Na klar, das ist alles bedrückend aktuell, wie der Regensburger Theaterintendant und Regisseur Sebastian Ritschel dem BR sagt: "Ich glaube, unsere Aufgabe als Theater und speziell auch als Theater Regensburg besteht in diesem Stück darin, die Frage zu stellen, was passiert, wenn sich eine Gesellschaft so radikalisiert und verändert, mit dem Einzelnen. Wie zeigen ein mögliches Beispiel, wie es ausgehen kann. Muss es so sein? Kann es auch anders sein? An welchem Punkt müsste die Gesellschaft oder auch der Einzelne agieren, eingreifen, vielleicht die Wende bringen? Erschreckender Weise sind wir, glaube ich, ganz am Anfang einer ähnlichen gesellschaftlichen Bewegung und wir alle haben es in der Hand, unsere Demokratie zu verteidigen, unser gesellschaftliches Miteinander zu gestalten und Theater wird immer dafür da sein, Fragen zu stellen und Antworten zu suchen."
21 Journalisten saßen nach Angaben des Theaters bei der Uraufführung im Saal, höchst ungewöhnlich für Regensburg, nicht überraschend angesichts der Umfragewerte der AfD, und sie sahen eine opulent ausgestattete und in jeder Hinsicht überzeugend inszenierte Uraufführung im sehr realistischen Bühnenbild von Kristopher Kempf. Sebastian Ritschel zeigt ein Lehrstück, das nah am Agitprop-Theater ist, was bis vor ein paar Jahren altmodisch gewirkt hätte. Inzwischen sind die Verhältnisse auf deutschen Straßen bekanntlich andere, ist die Gesellschaft hoch polarisiert und sollte derartige Parabeln vertragen.
Bildquelle: Marie Liebig Die machthungrige Populistin setzt auf Zirkuseffekte, um das Volk zu beeindrucken, tatsächlich schwebt der angeblich "größte Wal der Welt" über der Bühne. Und was brüllen die aufgehetzten Massen dazu? "Nur kaputte Dinge sind ganz." Das wird von Peter Eötvös sehr lautmalerisch instrumentiert, als ob er einen Stummfilm zu begleiten hatte. Er leistet sich den Insider-Witz, Richard Wagners "Parsifal" zu zitieren, wo es ja auch um eine heruntergekommene, autoritäre Gesellschaft geht, die ein scheinbar naiver, tumber Tor zum Einsturz bringt. Dort gibt es allerdings ein Happy End oder jedenfalls so ähnlich, hier nur noch die totale Zerstörung und Hoffnungslosigkeit – symbolisiert durch den Schnee, der sich lautlos über das Grab der Demokratie legt.
Dirigent Stefan Veselka lässt dieses musikalische Glaubensbekenntnis angemessen grell gleißen und donnern, aber was Peter Eötvös vermissen lässt, ist eine Spur Selbstironie, ist satirische Verfremdung. Ein Vorgänger wie Kurt Weill bediente sich bekanntlich gern beim Unterhaltungstheater, beim Jazz, beim Swing. Eötvös hört sich dagegen fast grimmig, verbissen an, was angesichts der politische Lage in Ungarn kein Wunder ist. Männerchor und Solisten meisterten diese sehr ernste Herausforderung durchweg beeindruckend, allen voran Benedikt Eder in der Titelrolle, Theodora Varga als dessen Mutter und Kirsten Labonte als herrschsüchtige Diktatorin. Roger Krebs als deren frustrierter Ehemann wirkte in seinem souveränen Rollenporträt wie Richard Wagners müde gewordener Gralsritter Gurnemanz, der eigentlich nur noch seine Ruhe haben will vor den Zumutungen der Welt. Insgesamt ein beklemmender Abend mit sehr nachdenklichem Polit-Theater, das zwar nicht euphorisch, aber doch engagiert beklatscht wurde.
Sendung: "Allegro" am 5. Februar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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