Dieser umnachteten Prinzessin helfen weder ein Stuhlkreis, noch eine ausgelassene Party: Strauss' Elektra lebt in der Regie von Claus Guth in ihrer eigenen Welt und erweist sich als therapieresistent – wie ihre ganze Familie. Eine Mischung aus Symbolismus und Humor, die durchweg fesselt.
Bildquelle: Monika Rittershaus
Das muss man auch erst mal hinbekommen: Drei Notausgänge, und kein Ausweg. Soll ja durchaus vorkommen im Leben. Die Türen stünden durchaus offen, aber die Probleme passen halt nicht durch. Und deshalb kann diese Elektra laufen, wohin sie will: Sie bleibt gefesselt an ihre traumatischen Erinnerungen, wird niemals verdrängen können, dass ihr Vater ermordet und ihr Bruder in die Verbannung geschickt wurde, und zwar von der eigenen Mutter. Eine Familienhölle, aus der es kein Entrinnen gibt. Obwohl: Wenn alles zu viel wird, bleibt immer noch der Wahnsinn, und genau dort richtet sich Elektra häuslich ein.
Regisseur Claus Guth zeigt das in seiner packenden Inszenierung am Opernhaus des Jahres in Frankfurt von der ersten bis zur letzten Minute absolut plausibel, bildstark und dank der fulminanten estländischen Sopranistin Aile Asszonyi in der Titelrolle menschlich zutiefst anrührend. Um ehrlich zu sein, ist das ein bisschen Retro, denn in den letzten Jahrzehnten haben sich die Regisseure sehr darum bemüht, Elektra als die einzig Normale in einer Welt des Irrsinns darzustellen. Davor war es üblich gewesen, die antike Heldin als furchteinflößende Borderlinerin im Stil der wild bewegten Ausdruckstänzerinnen auftreten zu lassen, so eine Art zähnefletschende Raubkatze im Palastkäfig. Claus Guth will das eine, wie das andere Extrem vermeiden und ist offenbar der Ansicht, dass wir letztlich alle nur nach den Tabletten gegen unsere Vergangenheit suchen – auch auf die Gefahr hin, dass das für Außenstehende unfreiwillig komisch aussehen könnte.
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So hofft diese Elektra im Stuhlkreis einer Selbsthilfegruppe auf Hilfe und Trost, mit überschaubarem Erfolg. Auch ihre schuldbeladene Mutter Klytämnestra schafft es trotz allerlei Schlachtopfer und bunten Steinen nicht, ihre Gewissensbisse wegtherapieren zu lassen, und die lebenslustige Schwester Chrysothemis flüchtet sich mangels Glückserfahrungen kurzerhand in den Alkohol. Beklemmend, dieser Palast von Mykene, der im wirren Kopf von Elektra aus lauter Vorhängen besteht, hinter denen gleichermaßen Tote wie Lebende spuken. Bühnenbildnerin Katrin Lea Tag hatte sich dabei wohl von Kino- oder Theaterfoyers inspirieren lassen: Mal lassen sich die königlichen Festgäste vom Großbildschirm bespaßen, mal lauschen sie andächtig einem Hauskonzert, mal greifen sie kräftig zu bei Häppchen und Schaumwein, am Ende rasten sie im Konfettiregen aus.
Kein Wunder, dass Elektra das alles zu viel wird: Sie ist angesichts des Grauens weder zur Polonaise aufgelegt, noch zum Schabernack mit Partyhütchen. Die entscheidende Frage, ob die Schreckenstaten reine Einbildung sind oder tatsächlich stattfanden, lässt Claus Guth offen: Ein leerer Sessel steht sinnbildlich für einen Abwesenden, aber darauf muss sich jeder Zuschauer selbst seinen Reim machen. Vielleicht ist es ja so, dass derjenige, der alles wieder in Ordnung bringt, selten aufkreuzt, weder im Alltag, noch in der Paranoia.
Die Oper Frankfurt, die in den letzten Jahren zu Recht vielfach ausgezeichnet wurde, machte mit der Besetzung ihrem Ruf alle Ehre: Jennifer Hollway als Chrysothemis wurde ebenso gefeiert wie Susan Bullock als überraschend unaufgeregte Klytämnestra. Vor allem aber ist diese Oper natürlich ein orchestrales Abenteuer: Dirigent Sebastian Weigle ließ sich nicht dazu hinreißen, von einem Tobsuchtsanfall in den nächsten zu taumeln, was bei dieser Riesenpartitur ein Leichtes wäre. Stattdessen blieb er erstaunlich sängerfreundlich und bei den emotionalen Ausbrüchen immer noch vergleichsweise kontrolliert und transparent. Insofern herrschte im Orchestergraben deutlich mehr Ordnung und Überblick als beim Frauen-Trio auf der Bühne, was einen interessanten Kontrast ergab. Insgesamt ein mitreißender, inspirierender Richard-Strauss-Trip mit einer Prise Humor und einem Tröpfchen bewusstseinserweiterndem Symbolismus. Soll ja völlig legal sein.
Sendung: "Allegro" am 20. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Montag, 20.März, 21:28 Uhr
Medi Gasteiner
ELEKTRA
Es war (wieder!) ein grandioser Abend der Oper Frankfurt, die estnische Elektra war stimmlich und darstellerisch herausragend, die Regie von Claus Guth klug und bezwingend, Orest wird nur imaginiert - ob die Morde wirklich geschehen bleibt offen, Elektra tanzt am Schluss und bricht tot zusammen. Hörens- und sehenswert!
Montag, 20.März, 15:07 Uhr
SchorschMeyer
Elektra Frankfurt
Habe ein Ticket für diese Aufführung am Freitag....und es schwant mir nichts Gutes: denn es gilt nach meiner Erfahrung fast ausschließlich "gelobt vom Feuilleton = taugt nix und dient mehr der Selbstdarstellung des Regisseurs als einer angemessenen Aufführung der Oper".
Montag, 20.März, 10:55 Uhr
Orest
Elektra Kritik
Das muss man erst einmal fertig bekommen, eine Elektra-Kritik ohne Orest zu nennen. Wieder erfährt man nichts, absolut nicht zur musikalischen Seite der Sänger. Hey, es ist eine Oper und kein Schauspiel, was hier besprochen wird.
Unternehmt endlich etwas gegen das desaströse Niveau Eurer MusikritikerInnen.