Wie einst bei Anna Netrebko brachten die Salzburger Festspiele auch für Asmik Grigorian den Durchbruch. Netrebko tritt in Salzburg nicht mehr auf – nun lasten die enormen Erwartungen eines Stars "born in Salzburg" auf Grigorian. In Verdis "Macbeth", der zweiten Neuinszenierung der Festspiele, sang sie die Lady. Auch der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski merkt man den Erfolgsdruck an: Sie setzt auf Wirkung durch effektvolle und teure Ausstattung.
Bildquelle: © SF/Bernd Uhlig
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Opernregie scheint mehr und mehr wie eine Art Markenprodukt zu funktionieren. Natürlich hatte schon immer jeder Regisseur und jede Regisseurin eine eigene Handschrift. Aber in den letzten Jahren verfestigt sich der Eindruck, dass einige vielbeschäftigte Regiestars sich in ihrer Bühnensprache permanent wiederholen. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski ist ein gutes Beispiel dafür. Die Zutaten zu einer typischen Warlikowski-Inszenierung sind relativ strikt festgelegt. Meist zeigt er Kostüme und Design aus den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts. Filmzitate sind sein wichtigstes Mittel. Um alle Anspielungen zu verstehen, sollte man sattelfest in der Kinogeschichte sein. Außerdem gehören unbedingt fies-unheimliche Masken dazu, gern von Kindern getragen. Wo Warlikowski draufsteht, ist auch Warlikowski drin. Diesmal, bei seiner Salzburger "Macbeth"-Inszenierung, darf er sich so richtig austoben. Die Bühne im Cinemascope-Breitwandformat zeigt einen türkisen, kühlen Raum, der an eine überdimensionierte Wartehalle erinnert. Von den Seiten werden gigantische Raumelemente reingerollt. Eine riesenhafte Sonne des Bösen senkt sich herab. Permanent verdoppeln oder kontrapunktieren Filmprojektionen das Geschehen.
Surreale Albtraumbilder zeigen eine Welt voller Gewalt, in der das Böse triumphiert: die schwarze Welt von Shakespeares "Macbeth". Warlikowskis zentrales Thema ist die Kindheit – und die Gewalt, die Kindern angetan wird. Zu Beginn sieht man Filmsequenzen, in denen ein Baby ausgesetzt wird. Filmzitate erinnern an elternlose Helden wie Ödipus oder Harry Potter. Auch der Kindermord zu Bethlehem in der Verfilmung des Matthäus-Evangeliums von Pier Paolo Pasolini wird eingespielt. Lady Macbeth geht zum Gynäkologen.
Wenn sich ihr Mann von den Hexen die Zukunft weissagen lässt, wuselt eine große Kinderschar mit verzerrten Masken über die Bühne. Und beim Bankett, mit dem Macbeth seine mörderische Machtergreifung feiert, wird eine Babypuppe mit Brokkoli serviert.
Szene aus "Macbeth" in Salzburg. | Bildquelle: Bernd Uhlig Warlikowski hat ja durchaus einen Punkt: Das Thema Kindheit ist ein zentrales Motiv in Shakespeares schwärzestem Drama. Lady Macbeth kann selbst keine Kinder kriegen. Dass der Sohn des ermordeten Königs Banco entkommt, lässt Macbeth wahnsinnig werden vor Angst. Und die Weissagung, dass kein von einer Frau geborener Mensch ihn töten werde, führt ihn in die Irre: Macduff, der ihn schließlich erschlägt, wurde aus dem Leib seiner Mutter herausgeschnitten. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Warlikowski in einem ästhetizistischen Reich der Zeichen stecken bleibt. Statt den ganz handfesten Fragen des Stücks nach Macht und Verbrechen auf den Grund zu gehen, macht er lieber sein sich in Schleifen drehendes Psycho-Ding.
Zwiespältig auch die musikalische Seite: Vladislav Sulimsky in der Hauptrolle schlägt sich achtbar, wenn auch etwas monochrom. Wirklich angsteinflößende Bosheit oder gar Dämonie hat er nicht zu bieten. Stärker sind die wichtigsten Nebenrollen besetzt: Tareq Nazmi als Banco hat enormes Bassvolumen und Jonathan Tetelman als Macduff gestaltet seine Arie als eindrucksvollen Verzweiflungsausbruch. Asmik Grigorian singt mit großer Intensität, muss aber ihre Stimme ein wenig verengen, um gegen die massiven Energieschübe des Orchesters durchzudringen. Immer wieder gelingen ihr Einblicke in eine abgrundtief verstörte und bösartige Psyche, aber um wirklich bis ins Herz der Finsternis vorzustoßen, fehlen ihr dann doch die Reserven. Leider wackelt es des öfteren zwischen Chor und Orchester. Ansonsten macht der eingesprungene Dirigent Philippe Jordan einen sehr guten Job. Verdis Musik erzählt von Gewalt – und die Wiener Philharmoniker entfesseln Stürme des Bösen. Ein Abend, der mit Effekten beeindruckt, aber nicht wirklich überzeugt.
Lesen Sie alle Neuigkeiten rund um die Salzburger Festspiele in unserem Dossier.
Sendung: "Allegro" am 31. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (14)
Mittwoch, 09.August, 16:07 Uhr
Hans Krueppel
Macbeth
Ich war begeistert. immer diese " freche "
HERABLASSENDE BEWERTUNG!!
Montag, 07.August, 13:52 Uhr
Rinaldo
Macbeth in Salzburg
Die Beurteilung von Herrn Neuhoff ist mir weitgehend unverständlich. Das Dirigat von Philipp Jordan war auf höchstem Niveau, die Wiener Philharmoniker spielten Verdi mit hinreißender Italianita wie sie so selten zu hören ist. Das Gleiche gilt für Asmik Grigorian: ihre Darstellung der Lady Macbeth war in jeder Hinsicht überwältigend, glaubwürdiger habe ich diese Rolle noch nie erlebt.
Eine so nörglerische Kritik für eine so großartige Aufführung bleibt mir rätselhaft.
Dienstag, 01.August, 23:07 Uhr
BrunoR
Kommen Sie, Herr Neuhoff! Sie haben doch Substanzielleres über den Dirigenten zu sagen als: "machte einen sehr guten Job."
Montag, 31.Juli, 15:08 Uhr
Eva-Maria
Scala mit Netrebko und Salsi
Wir hatten das große Glück im Juni in der Scala die Oper Macbeth mit Netrebko und Salsi erleben zu dürfen. Einfach wunderbar und wenn dann auch noch die Inszenierung stimmig ist und gefällt wie in Mailand, dann ist alles perfekt!
Da kann Salzburg nicht mithalten.
Montag, 31.Juli, 14:46 Uhr
Prof. Mag. Herber Michael Burggasser
MISSGLÜCKTE PREMIERE VON
Nach großem Hype in den Medien große Enttäuschung! Musikalisch höchstens Mittelmaß! Gregorian meist laut, scharf und undifferenziert, von Italianita keine Spur, kalt und wenig erotisch im Spiel, Sulimsky als Macbeth bieder, brav und undifferenziert, habe viel bessere im Ohr, die anderen Protagonisten ordentlich. Dirigat laut und wenig Belcanto. Chaotische Produktion in hässlichen Bildern mit unzähligen Menschen auf der Bühne, vielen Aktionen, die meist keinen Sinn ergeben und gegen den Text gerichtet sind, großes Durcheinander ohne erkennbares Konzept. Schade ums Geld, ich bin maßlos enttäuscht, Gejubelt wird leider trotzdem!
Montag, 31.Juli, 14:33 Uhr
Prof. Mag. Herber Michael Burggasser
MISSGLÜCKTE PREMIERE VON
Ich war ich von dieser seit Wochen in den Medien gehypten Produktion maßlos enttäuscht! Grigorian ist gewiss eine tolle Sängerin, aber von der Lady sollte sie künftig besser die Finger lassen: Stimme im Einheitsforte oft scharf und angestrengt, die ziselierten Koloraturen und lyrischen Phrasen liegen ihr überhaupt nicht, keine Spur von Italianita. Im Spiel eiskalt, wenig erotisch. Sulimsky ist nicht mehr als ein verlässlicher Macbeth, es gab und gibt viel bessere. Er wirkt weder dämonisch noch gefährlich, als König eher bieder und schwächlich. Die Übrigen sangen ordentlich, nicht mehr. Dramatisches Dirigat von Peter Jordan, doch gibt es noch Luft nach oben! Die Inszenierung ist ein einziges optisches Durcheinander von unzähligen Menschen in einer hässlichen Bahnhofshalle mit meist sinnlosen, gegen den Text gerichteten Aktionen (Lady stirbt trotz Selbstmord nicht, Macbeth ist schon vor der Schlacht schwer verwundet, etc.),völlig vertrottelt! Schade ums Geld! Gejubelt wird trotzdem!
Montag, 31.Juli, 13:48 Uhr
Angelika
Macbeth
Jede Kritik an einer Oper, ob Verdi , Donizetti, Wagner etc.. hat sich bis vor einiger Zeit zuerst einmal mit den Stimmen, Darstellern, dem Dirigenten , dem Chor befasst und das ausgiebig. Eben mit der MUSIK. Ich habe keine Karten mehr für den Macbeth bekommen und musste ihn auf ARTE sehen. Was für ein Glück!
Es ist mir unerklärlich, warum man lang und breit erst einmal darlegen muss, was sich der Regisseur mit seiner Inszenierung gedacht hat. Das Kinderthema ist weit hergeholt. Die historische Lady Macbeth hat sehr wohl mindestens ein Kind bekommen. Da recherchieren wir in der Kinobranche etwas genauer. Aber wenn Kinder ein Lieblingsthema sind, dann wird die Geschichte eben geändert. Dann zeige ich in einem eh schon blutrünstigen Drama auch noch kleine Mädchen in weißer Unterwäsche erst im Kinosessel, danach werden sie tot auf der Riesenbühne abgelegt. Das lenkt von der Musik ab. Sollte das so sein? Genauso wie das Lampenkabel in der Schlafwandelszene der Lady M.
Montag, 31.Juli, 11:40 Uhr
Waltraud Dengel
Macbeth
Woher kommt eigentlich die fixe Idee, dass Lady Macbeth schuld an der Kinderlosigkeit der Ehe sei? Ich finde dafür keinen Anhaltspunkt in dem Drama.
Sonntag, 30.Juli, 18:32 Uhr
Sheryl Cupps
Macbeth
Hiermit verweise ich auf die Stammtafel der Könige von Schottland auf wikipedia, wo man sieht, daß Lady Macbeth eigentlich Gruoch hieß, Tochter des Bodhe und Mutter von Lulach war, dessen Vater Gelle Coemgain war, und der jedoch Macbeth auf den Thron folgte. Die These von Kinderwünsche, die zu Serienmorde führen ist also etwas weithergeholt. Ich habe die Vorstellung im Fernsehen gesehen, was erlaubte, Personenführung und Mimik bis ins Detail zu beobachten, verhinderte aber nicht die vielen Wackler zwischen Orchester und Bühne mitzuerleben. Ich konnte sehen, wie sehr Frau Grigorian sich um die Gesangslinie kämpfen mußte, während Herr Sulimsky sich viel leichter tat. Allerdings habe ich ganz andere Leistungen im Ohr: Mara Zampieri als Lady unter dem echten Pultgenie Giuseppe Sinopoli, die in Salzburg nicht erreicht wurden. Am schlimmsten fand ich, wie Joudan die Aktfinales durchpeitschte, ohne Rücksicht auf die von Verdi komponierte Dramatik. Fazit: Nicht wirklich festspielwürdig!
Sonntag, 30.Juli, 15:56 Uhr
Johann Maurer
Macbeth
Hatte das große Glück am 7. Februar 1982 in der Wiener Staatsoper die Premiere von Macbeth mit Sinopoli, Zampieri, Bruson, Ghiaurov und P.Dvorsky (Regie: Peter Wood) zu erleben. Es war ein Abend, den man sein ganzes Leben nicht vergisst.
Wenn man dann vergleicht, was man nun in Slzbg vorgesetzt bekommt, kommen einem nur noch die Tränen!!!
Sonntag, 30.Juli, 14:47 Uhr
Martin Williams
Macbeth Salzburg 2023
Die Leistungen der Sänger waren gut, jedoch schienen sie aufgrund fragwürdiger Regieanweisungen nicht wirklich die Möglichkeit zu haben, sich voll auf ihren Gesang zu konzentrieren. Das Orchester und der Dirigent interpretierten die Musik sehr aufregend und leidenschaftlich.
Leider muss ich betonen, dass das Bühnenbild und die Kostüme überhaupt nicht zur Oper passten. Der Regisseur ignorierte offenbar die Bedeutung des Textes und der Musik, und seine Inszenierung wirkte sinnlos.
Angesichts dieser enttäuschenden Aspekte habe ich das Fernsehgerät nach dem ersten Akt ausgeschaltet. Es wäre meiner Meinung nach ratsam, wenn Salzburg und andere Opernhäuser in Zukunft auch konzertante Opern aufführen könnten. Somit könnten Geld gespart und die Gesangsqualität erhöht werden, ohne die Bedeutung der Opern zu beeinträchtigen. Dies könnte eine willkommene Möglichkeit sein, die Wertschätzung der Opernfans zu bewahren und gleichzeitig einen Fokus auf die musikalische Darbietung zu legen.
Sonntag, 30.Juli, 14:32 Uhr
Renee
Macbeth salzburg
Vorhersehbar bei österreichischen Inszenierungen: der unvermeidliche Griff zum Glimmstengel. Aus "künstlerischen Gründen" wird wieder mal auf der Bühne geraucht. Die Tabak-Lobby lässt grüßen. Ein Schelm,wer Böses dabei denkt...
Sonntag, 30.Juli, 13:08 Uhr
Martina Siegenthaler
Macbeth
Kompliment für diese Kritik. Sie beinhaltet, was auch ich empfunden habe. Ich liebe Asmik Grigorian mit ihrem ganzen Können, technisch sauber, absolut rein, aber leider fand ich schon sehr bald, das ist nicht ihre Rolle. Für mein Empfinden erwarte ich hier eine markigere Stimme mit mehr Reserven.
Vladislav Sulimsky war mir bis anhin nicht bekannt. Stimmlich gibt es nichts auszusetzen, jedoch ist die ganze Bosheit, wie in der Kritik erwähnt, auch bei mir nicht so ganz angekommen.
Brilliert hatte für mich Jonathan Tetelman in seinen Auftritten.
Absolut gestört hat mich jedoch "das Wackeln" zwischen Chor und Orchester. Als ich dies das erste Mal feststellte, fragte ich mich ernsthaft, ob das an mir liegt.
Über die Inszenierung möchte ich mich im Detail nicht äussern. Weniger wäre mehr, aber es gibt ja noch etwas dazwischen.
Sonntag, 30.Juli, 10:41 Uhr
fristra
Macbeth-Premiere
D accord.
Um Warlikowski-Inszenierungen auf Anhieb und ohne die unerlässlichen Hintergrund-Informationen für Profi-Kritiker zu verstehen, ist so etwas wie eine Gebrauchsanleitung und sicher auch ein abgeschlossenes Psychologie-Studium von Nutzen.
Mein Fall ist es nicht, ständig über tiefenpsychologische Anspielungen rätseln zu sollen.
Letztlich lenkt es von der Musik ab.
Und da hat man Netrebko-Lucic im Hinterkopf.
Auch muss man die Frage sündteurer und letztlich zu nichts führender Regie-Opulenz stellen dürfen…
Ein neuer Inszenierungs - Deus ex machina täte Salzburg mal wieder gut. Nicht nur Salzburg.