Wenige Frauen waren im Nachkriegsdeutschland der 1960er so eigenständig, modern und unabhängig wie die junge Berlinerin Anja Silja. Eigener Beruf, eigenes Geld, eigenes Auto. Petticoats und Lebenslust. Bereits als junge Frau wurde sie für die Bayreuther Festspiele verpflichtet. Dort lernte sie Wieland Wagner kennen und lieben – was für einen Skandal sorgte. Bis ins hohe Alter verkörperte Silja starke Frauenrollen. Am 17. April 2025 wird sie 85.
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Nichts in ihrer Laufbahn als Sängerin verlief für Anja Silja irgendwie normal. Die Berliner Sopranistin war von Anfang an eine Ausnahmeerscheinung, eine Individualistin, eine starke Persönlichkeit. Eine, die alles anders machte, nicht aus Protest oder Prinzip, sondern weil es für sie genau so richtig und schlüssig war. Aufgewachsen ist Anja Silja im Nachkriegs-Berlin beim Großvater. Wagner und das Singen waren wichtiger als die Schule. Das Talent des Mädchens war umwerfend: Mit nur 16 Jahren debütierte sie auf der Opernbühne. Vier Jahre später klopfte Bayreuth an.
Anja Silja war 20, als 1960 in Bayreuth die Sopranistin Leonie Rysanek ausfiel und Festspielleiter Wieland Wagner händeringend eine Senta für den "Fliegenden Holländer" suchte. Dirigent Wolfgang Sawallisch setzte sich für die junge Silja ein – und sich bei Regisseur Wieland Wagner durch. Der war fasziniert von Siljas Stimme und Ausstrahlung und sprach von der "Kindertrompete".
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Anja Silja: Wagner - Der fliegende Holländer, 'Senta's Ballade'
Für Anja Silja war ihr Engagement einfach nur logisch: "Wagner war von Anfang an in meinem Repertoire, und als ich dann in Bayreuth zum ersten Mal sang, kam mir das ganz selbstverständlich vor, dass das in Bayreuth sein muss", erinnert sich Silja. "Wo soll man denn sonst anfangen, habe ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn gedacht."
Wieland Wagner und Anja Silja wurden ein Liebespaar – ein Skandal für die restliche Familie Wagner. | Bildquelle: dpa - Report
Allerdings war der "Fliegende Holländer" die einzige Oper, die sie nicht mochte. Die Senta wurde ihre Schicksalsrolle, wie sie sagt, ihr Debüt am Grünen Hügel. Der verheiratete Wieland Wagner und Anja Silja wurden ein Künstler- und Liebespaar – und Silja damit zur Erzfeindin der restlichen Familie Wagner und gleichzeitig zur Wagner-Ikone als Elsa, Elisabeth und Isolde. Nach Wielands Tod 1966 erschienen ihr der Grüne Hügel und das Repertoire sinnlos. Mit 26 Jahren beendete Anja Silja ihre Wagner-Karriere – in einem Alter, in dem die meisten davon erst zu träumen beginnen.
Der belgische Dirigent André Cluytens wurde ein Jahr später der nächste prägende Mann an ihrer Seite. Wieder nur für kurze Zeit, wieder eine Beziehung, die sie künstlerisch und menschlich enorm reifen ließ und die gesellschaftlich alle Konventionen sprengte.
1968 heiratete Silja schließlich den Dirigenten Christoph von Dohnányi – und gründete mit ihm eine Familie. Später trennten sich die beiden Musiker. Ein Rückzug ins Privatleben folgte für Silja aus der Ehe nicht: Paris, Brüssel, Frankfurt, Chicago, New York, und zehn Jahre lang Hamburg wurden wichtige Stationen. Sie sang Charakterrollen, starke Frauen wie Alban Bergs Lulu und Marie, Janáčeks Emilia Marty oder Salome und Elektra von Richard Strauss.
Sie kostete so manchen Intendanten und Kollegen viele Nerven mit ihrer imponierenden Angstfreiheit und Unabhängigkeit. So erzählt sie über sich selbst im Rückblick: "Innerhalb Deutschlands bin ich meistens mit dem Wagen am selben Tag zur Vorstellung gefahren und war dann so zwei Stunden vorher da." Das ließ ihre Kollegen bangen: Würde die Sängerin mit dem Auto auch rechtzeitig ankommen? Doch mit der Zeit änderte sich das: "Ich habe es inzwischen sogar zum Mittagsschlaf gebracht. Sonst ging ich immer nachmittags noch ins Kino."
Auch als 80-Jährige stand Anja Silja mit großer Präsenz auf der Bühne. Am 17. April 2025 wird sie 85. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Markus Scholz
Noch im hohen Sängerinnen-Alter wurde Anja Silja auf der Bühne gefeiert, etwa als Gräfin in der "Pique Dame" und als Küsterin in der "Jenufa". Auch diese Figuren verkörperte sie stimmlich wie szenisch mit Eindringlichkeit und Wucht. 2018 kehrte sie nach mehr als 50 Jahren nach Bayreuth zurück. Anlässlich der Wiedereröffnung des Marktgräflichen Opernhauses reüssierte sie noch einmal in einer Sprechrolle. Den Grünen Hügel mied sie. 2020 stand sie als Frau in Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" 2020 in Hamburg auf der Bühne.
Obwohl sie selbst ihr Leben und ihre Karriere durch die Männer beschreibt, die sie prägten, ist Sopranistin Anja Silja wie wenige eine moderne Frau. Und eine bewundernswert eigenständige Künstlerin.
Sendung: "Allegro" am 17. April 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 17.April, 15:12 Uhr
Axel Peppermüller
Anja Silja
Bin voller Bewunderung für diese Ausnahmekünstlerin.
Hörte Sie an der Deutschen Oper Berlin als Elsa und Salome beides in der Regie von
Wieland Wagner.Ihre Salome war damals ein Skandal.Den Tanz absolvierte Sie in
einem knappen Bikini, was die Berliner Opernfans mit einem Buuh Orkan bedachten.
Ihre Senta in Bayreuth unvergesslich toll!
Eine unglaubliche Persönlichkeit und alle erdenklich guten Wünsche zu Ihrem Geburtstag.