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Kritik – "Siegfried" in Bayreuth Verschenkte Chance

Richard Wagners "Siegfried" im "Ring des Nibelungen" ist schon durch seine Entstehung von Brüchen geprägt. Zwischen zweitem und drittem Akt liegt eine Kompositionspause von zwölf Jahren, die Titelpartie fordert vom Tenor, komisch, lyrisch und heldisch zugleich zu sein, und die Schauplätze sind meist in freier Natur und eine Herausforderung an das Bühnenbild - vorausgesetzt, man spielt den Ring, wo Wagners Text ihn verortet. Das hat mittlerweile Seltenheitswert, auch in Bayreuth.

Szene aus "Siegfried", Bayreuther Festspiele 2023 | Bildquelle: Enrico Nawrath

Bildquelle: Enrico Nawrath

Nur eine Waffe taugt diesem Siegfried schonmal nicht. Vom sogleich zerstörten kindlichen Lichtschwert über den todbringenden Revolver bis hin zur Krücke mit versteckter Klinge darf jung Siegfried alles ausprobieren. In der umgebauten Hütte von Hundig hat Mime zwar Puppen fürs Puppentheater und Luftballons für Siegfrieds Geburtstag vorbereitet, doch der Teenager kommt besoffen nach Hause und randaliert, dass die Funken fliegen. Arnold Bezuyen und Andreas Schager gestalten den ersten Akt in diesem vollgestopften, verwinkelten Hexenhäuschen nach bester Spieltenor-Manier, und Pietari Inkinen gibt mit dem Bayreuther Festspielorchester den beiden ordentlich Zucker.

"Siegfried" anhören

BR-KLASSIK hat die Wiederaufnahme des "Siegfried" am 29. Juli aus dem Bayreuther Festspielhaus übertragen. Hier können Sie den kompletten Mitschnitt anhören.

Dass Tomasz Konieczny als Wanderer stimmlich da gut mithalten kann, steht außer Frage, warum die Unterredung zwischen Mime und Wotan aber so forciert sein muss, fragt man sich dann doch. Durch die außergewöhnlich gute Akustik des Festspielhauses hört man in den leiseren Passagen leider auch den surrenden Ventilator im eigentlich ungenutzten Bühnen-Oberstübchen und manchmal auch den beherzt unterstützenden Souffleur.

Die Inszenierung in Bildern

Hoffnungsschimmer im 2. Akt

Im zweiten Akt des "Siegfried" hat Bühnenbildner Andrea Cozzi dann endlich einen perfekten Raum für die Drachenszene geschaffen: Ein geräumiges, elegantes Loft mit loderndem Feuer, Pflegebett für den alten Fafner und nicht zu viel Brimborium, das den Klang beeinträchtigt. Wohl auch deshalb gelingt hier der beste Teil dieser Siegfried Premiere. Tobias Kehrer ist in seiner kurzen Sterbeszene als Fafner fantastisch, Schager und Bezuyen gestalten unforciert und farbig, und auch Olafur Sigaurdarsons Alberich kann sich wieder schön mit Widersacher Wotan reiben. Alexandra Steiner als Altenpflegerin Waldvogel strahlt mit jedem Einsatz mehr, und wenn sich diese szenisch-musikalische Spannungskurve nach oben im dritten Akt fortsetzen würde, wäre der Ring-Abend gerettet.

Optisch und akustisch zerfasert

Doch leider bietet sich im dritten Akt optisch wie akustisch wieder ein zerfasertes Bild. Das eigentlich immer so mitreißende Vorspiel zum dritten Akt klingt unter Inkinen wieder akademisch akkurat, aber blutarm. Die gedrehte Perspektive des Bühnenbilds zeigt noch immer Fafners und Mimes Leichen, aus einer Glaspyramide erscheint Daniela Köhler als auferstandene neue Brünnhilde mit Kopfverband im antiken Wallegewand. Dazwischen müssen sich Siegfried und Wotan auf der gläsernen Balustrade kabbeln. Schon der Bühnenraum ermöglicht keine sinnvollen Wege, darum stehen auch alle die meiste Zeit herum und singen. Daniela Köhler liefert zwar einen beachtlichen Pianissimo-Versuch von "Ewig war ich", doch seine Wirkung verliert sich im Raum. Das finale Duett des frisch entbrannten Liebespaares zündet trotz Emphase ebenfalls nicht, denn Inkinens Dirigat treibt nicht voran, sondern badet zu häufig in Details. Die musikalische Distanziertheit vom Bühnengeschehen ist verständlich, aber doch eine verschenkte Chance für diese von Wagner eben dramatisch gedachte Musik.

Sendung: "Allegro" am 31. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

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Freitag, 04.August, 02:46 Uhr

Sabine

Perfekt

Selten so eine konzise und kluge Kritik gelesen! Offenbar hört sie Rezensentin sehr genau hin, das mit dem Ventilator fand ich erstaunlich.

Montag, 31.Juli, 08:57 Uhr

Borggreve@t-online.de

Siegfried Kritik

…tja…
Tausend Dank f die Karten!!!

Montag, 31.Juli, 07:38 Uhr

Trappe

@ Thomas Renger

Der Vorkommentator hat seine Meinung kundgetan und befunden, dass Inkinen mit Wagner nicht viel anfangen könne. Was ist daran bitte respektlos. Und woher wollen Sie bitte wissen, wie das „Gros“ der Kritiker beurteilt? Haben Sie etwa alle Kritiken gelesen? - Und selbst wenn, was soll dies für ein Argument darstellen? - Das Motto: Die Kritiker können dies besser beurteilen?
Meine Erfahrungen seit dem Ableben Joachim Kaisers sind andere.
Auch ich war nicht gerade von Inkinen überzeugt. Interpretationsvergleiche beruhen nun einmal darauf, eben auch die Dirigenten miteinander zu vergleichen. Insoweit auch dies ein absurdes Argument.

Sonntag, 30.Juli, 21:04 Uhr

Eva Stengel

Thomasz Konieczny

Ich hörte die Aufführung im Radio. Thomas Konieczny wird hier sehr gelobt. Leider war ich von dieser Stimme enttäuscht, da ich schon ganz andere Wotane gehört habe. Wenn ich nur an John Tomlinson denke oder noch früher Thomas Stewart. Gilt übrigens für viele derzeitige Stimmen. Wunderbar gefiel mir Andreas Schager! Auch als Parzival. Wie schön am Radio, wenn man die Ausuferungen der Regisseure nicht ertragen muss!

Sonntag, 30.Juli, 17:55 Uhr

Thomas Renger

Thielemann vs. Inkinen?

Pietari Inkinen dirigierte in der ersten Siegfried-Vorstellung durchgehend hervorragend, sodass es müßig und überflüssig ist, ihn gegen Herrn Thielemann auszuspielen. Das Gros der Rezensenten und die Zuhören kommen ebenfalls zu einem positiven Ergebnis. Respektlos also, zu behaupten, "mit Wagners Musik [könne] er nicht viel anfangen".

Sonntag, 30.Juli, 09:50 Uhr

Wagnersucht

Siegfried

Es gab schon einige nicht geglückte Inszenierungen. Sie wurden dann aber meist durch eine musikalische Glanzleistung gerettet. Für diesen Ring bedeutet das, Frau Wagner müsste über ihren Schatten springen und Herrn Thielemann bitten, das Dirigat zu übernehmen. Herr Inkinen mag ein guter Dirigent sein; aber mit Wagners Musik kann er nicht viel anfangen. Schade.

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