"Così fan tutte" ist das Finale in Barrie Koskys Mozart-Da-Ponte-Zyklus an der Wiener Staatsoper, mit Philippe Jordan am Dirigentenpult. Die Inszenierung zeigt ein junges Ensemble, viel choreografische Akrobatik und Humor. Doch in der dritten Stunde wird die Sache etwas langatmig.
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
"Lasciate tali smorfie del secolo passato", sagt Don Alfonso einmal im zweiten Akt, wenn die vier jungen Leute in ihrer neuen, ungewohnten Liebespaarung noch miteinander verlegen fremdeln, zu Deutsch ungefähr: "Lasst doch diesen altmodischen Firlefanz!"
Das muss man heutigen Regieteams im Falle von "Così fan tutte" nicht zweimal sagen. Gut so: Zu solchen Verrenkungen von vorgestern würde mittlerweile so gut wie jede Inszenierung gezählt werden, die sich mit der quasi auf dem Papier vorhandenen Handlung begnügte. Der zufolge hätten also die Schwestern Fiordiligi und Dorabella tatsächlich bis zum Schluss keine Ahnung, dass sie beide aufgrund einer perfiden Wette vom Verlobten der jeweils anderen herumgekriegt worden sind und damit der amouröse Wankelmut ihres ganzen Geschlechts hinlänglich bewiesen wäre: Così fan tutte, so machen es alle Frauen.
Nur die Frauen? Längst und gottlob haben sich die Erwartungen gewandelt, mit einer so einseitigen Charakterisierung und Abkanzelung der Weiblichkeit wollen wir uns nicht mehr zufrieden geben – und irgendwie hat ja auch Mozart von allem Anfang an mehr und Tieferes komponiert als bloß das. Wir finden das Stück sogar spannender, wenn die Frauen irgendwann Lunte riechen oder gar von Anfang an Bescheid wissen, zum Schein mitspielen und dann trotzdem schwach werden; wir wollen miterleben, wie es den angeblich treuen Männern genauso geht, die vielleicht bewusst aus ihren Rollen fallen und jedenfalls auch ihr Fett abkriegen für die Hinterlistigkeit, zu der sie sich von Don Alfonso haben überreden lassen; uns fasziniert, wenn die Macht der Liebe sich eben nicht einhegen lässt durch Treueschwüre mit oder ohne Papierkram, seien sie nun in einem Salon geschworen worden, in einer Bürgerstube oder einer simplen Hütte.
Regisseur Barrie Kosky hat an der Wiener Staatsoper drei Opern des Duos Mozart /Da Ponte auf die Bühne gebracht. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vor lauter psychologischer Cleverness und charakterlicher Doppelbödigkeit ist aber der Originalitätsdruck erheblich gestiegen: Wie können Regisseurinnen und Regisseure noch eine individuelle, unabhängige Deutung finden, die nicht schon längst so ähnlich erzählt worden ist? Barrie Kosky gehört zu jener Sparte seiner Zunft, die ihre Arbeiten aus Text und Musik heraus entwickeln und den Werken keine radikalen Konzepte überstülpen. Zum Finale seiner Trilogie der Opern des Duos Lorenzo Da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart an der Wiener Staatsoper behilft er sich mit einem doppelten Kunstgriff: der grundlegende heißt "Theater auf dem Theater", der zweite: Alle wissen Bescheid und spielen nur Charaktere, die nichts wissen. Dabei gehen sie sehenden Auges in ein zunächst nur inszeniertes Liebesexperiment, das aber dann weitaus realer wird als erwünscht.
Das Spiel im Spiel ist natürlich beileibe nicht neu, es wird hier aber mit hintersinnigem, aus dem Metier gespeistem Humor auserzählt und im Falle von Ferrando und Guglielmo vor allem mit geradezu akrobatischer Verve kombiniert. Gianluca Falaschi hat dafür eine schmale, hohe Barockbühne gebaut, die im zweiten Akt in Drehung gerät und auf und vor der sich den ganzen Abend über Privatleben und szenische Proben vermischen. Stuck und Holzverzierungen haben ganz offensichtlich bessere Tage gesehen, und das gilt auch für Don Alfonso, der an diesem Haus die Strippen zieht, sprich: als Regisseur arbeitet. Christopher Maltman ist ein stimmlich kerniger Spötter, ein Theatermacher, der zum Zyniker geworden ist und mit einem Lächeln über Leichen geht. Meistens hält sich Maltman zurück, wenn er voll aufdreht, singt er die jungen Leute rund um sich tendenziell an die Wand: Das passt immerhin zur Figur.
Kate Lindsey (Despina) und Emily D’Angelo (Dorabella). | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Ein Zentrum der Bühnenkomik ist Despina, die als Regieassistentin, Inspizientin, Requisiteurin, sprich: Mädchen für alles an diesem kleinen Haus omnipräsent ist und ständig allem und jedem hinterherräumen muss. Kate Lindsey stapft als supercoole kaugummikauende Lesbe im schwarzen Tanktop über die Bühne und nimmt ihre Kopfhörer nur ab, wenn es nötig ist. Wer sich einen gleichmäßig volltönenden Mezzosopran wünscht, wird aber enttäuscht: Auch abseits der Verkleidungsszenen (als "Doktor" stellt sie einen ADAC-Techniker dar, der den Herren Starterkabel unter der Gürtellinie ansetzt) treibt Lindsey eine Art vokalen Mummenschanz, bei dem Stimmsitz und Klang ständig wechseln und der besser zu frühbarockem Ausdrucksgesang passt als zu Mozart.
Das Spektrum typenhafter Weiblichkeit führen die burschikose Dorabella und die mit rosa Schleifen im langen Haar auftretende Fiordiligi weiter. Emily D'Angelos Mezzosopran ist dabei für ihre impulsive Dorabella genau an der Schnittstelle zwischen Samt und Metall angesiedelt. Einige schnell mit Jubel übertönte Buhs musste Federica Lombardi für ihre Felsenarie einstecken, aber zuletzt wurde sie einhellig gefeiert: Ihr gelingt eine höchst respektable, weil bei den großen Sprüngen und in den extremen Lagen treffsichere, sonore, im Lyrischen fundierte Fiordiligi, mit kleinen Schwächen freilich in der präzisen Ausführung von Koloraturen.
Wer bei Kosky Guglielmo und Ferrando darstellt, erspart sich das Fitnessstudio: Die betont jugendlich-unreifen Liebhaber schlagen Rad und vollführen Chest Bumps, balgen sich, laufen Treppen rauf und runter, zittern streng choreographiert unermüdlich unter der Einwirkung von "Gift", müssen nicht zuletzt eine ganze Reihe deftiger Ohrfeigen von den Frauen einstecken und turnen generell mit schier unerschöpflicher Energie herum. Wobei es sogar zwei Tenöre gab, und das "ohne Aufpreis", wie Staatsoperndirektor Bogdan Roščić zu Beginn des Abends scherzte: Filipe Manu spielte mit enormer Körperspannung und sang auch die Rezitative des Ferrando, aber wegen seiner noch nicht vollständig auskurierten Luftröhrenentzündung steuerte Bogdan Volkov die Arien und Ensembles aus dem Graben bei. Volkov hat die Partie etwa in der Corona-"Così" der Salzburger Festspiele gesungen, ein Tenor vom "keuschen" Timbretyp eines Nicolai Gedda. Manu hingegen lässt mehr südländischen Schmelz hören: Man bleibt neugierig auf den Hausdebütanten. Nach dem Figaro in Koskys Regie gab nun Peter Kellner auch den Guglielmo, saftiger als zuletzt und überhaupt dort besser, wo er mehr geben kann als bloß lyrisch auf Linie zu bleiben.
Emily D’Angelo (Dorabella), Peter Kellner (Guglielmo), Federica Lombardi (Fiordiligi) und Filipe Manu (Ferrando) | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Das ergibt in Summe eine achtbare Besetzung mit gutem Zusammenspiel und dem Bonus der Jugend. Aber eigentlich ist man bei keiner Stimme davon überzeugt, dass sie sozusagen den Eintrag ins ewige Lexikon des Mozartgesangs schaffen wird. Zudem ergeben sich im zweiten Akt Längen, wenn die Proben zum Teil schon in historischen Kostümen laufen und teilweise auch die Herren als Doubles der Damen in Reifröcken stecken. Und natürlich hofft man vergeblich, dass der große Enthüllungs-Coup der "originalen" Handlung in Koskys Lesart eine ähnlich bedeutsame Wende bringen könnte: der Hauptschwachpunkt eines Konzepts, das zuerst mit physisch-choreografischer Virtuosität punktet, aber in der letzten von gut dreieinhalb Stunden etwas langatmig wird. Überflüssig zu erwähnen, dass es kein glückliches Ende geben kann: Schlussendlich verweigern alle dem Regisseur Alfonso den Gehorsam, werfen ihm wütend die Klavierauszüge hin und lassen ihn sitzen. Haben Dorabella und Ferrando eine Zukunft? Guglielmo und Fiordiligi gewiss nicht.
So wirklich glücklich wird man freilich auch bei Philippe Jordan und dem Staatsopernorchester nicht. Kein Wunder, dass die Koordination mit der Bühne manchmal wackelt, wenn dort so viel Akrobatik vor sich geht, aber: Man spürt vor allem Willen, Studium und heißes Bemühn, etwa in manch ungewöhnlichen Temporelationen und der strengen Schärfung dynamischer Kontraste, doch wenig an gemeinsamem Atmen, natürlich wirkendem Fluss und einer den Abend tragenden Selbstverständlichkeit der Interpretation. Mozart bleibt also vorerst schwierig an der Wiener Staatsoper.
Sendung: "Allegro" am 17. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Mittwoch, 19.Juni, 05:14 Uhr
Der nicht so große Kosky-Bewunderer
Die Lektüre dieser Kritik...
... ist wahrscheinlich ein viel größerer Genuss als die Rezeption der Inszenierung.
Walter Weidringer ist sprachlich einer der besten Journalisten. Top!
Dienstag, 18.Juni, 23:37 Uhr
So machen es nicht alle
Qualität von BR Opernkritiken
Das ist das Niveau, dass ich von einer Opernkritik erwarte.
Dienstag, 18.Juni, 11:05 Uhr
Karl Ettrich
Cosi fan tutte
Schade. Daß nicht deutsch gesungen wird!
Montag, 17.Juni, 14:55 Uhr
Gabriele Bauer
Danke für diese ausführliche Rezension, auf den Punkt gebracht!
Montag, 17.Juni, 14:54 Uhr
Gabriele Bauer
Cosi fan tutte
Danke für die tolle Rezension, auf den Punkt gebracht!