BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik – "Talestri" von Maria Antonia Walpurgis am Staatstheater Nürnberg Oper als feministisches Manifest

Oper zu komponieren, scheint fast ausschließlich Männerdomäne zu sein. Doch das Nürnberger Staatstheater hat nun das Werk einer Komponistin auf den Spielplan gesetzt, noch dazu von einer aus Bayern stammenden Prinzessin aus dem Hause der Wittelsbacher: Maria Antonia Walpurgis. "Talestri – Königin der Amazonen". Walpurgis hatte nicht nur das Libretto geschrieben und das Werk komponiert, sie sang damals auch die Titelrolle: Eine Oper über ein Königreich der Amazonen, ein Königreich der Frauen.

Szene aus "Taestri" am Staatstheater Nürnberg (November 2022) | Bildquelle: Bettina Stöss

Bildquelle: Bettina Stöss

Für die kriegerische Haltung von Amazonen weiß die Oper Nürnberg sogleich eine Erklärung: Die antiken Kriegerinnen haben sich aus Ängstlichkeit von den Männern abgeschottet, weil sie sich vor deren Brutalität fürchten. Das abstrakte Bühenbild (Emine Güner) in Maria Antonia Walpurgis' Oper "Talestri" bestimmt eine Wand mit roten Schuhen, "Zapatos rojos", Zitat einer erstmals in Mexiko 2009 gezeigte Installation von Elina Chauvet gegen weltweiten Femizid. Wenn immer wieder Blut von der Decke auf eine weiße Kugel spritzt, denkt man an die aktionistischen Verschüttbilder von Hermann Nitsch. Schon ehe die barocke Musik einsetzt, hört man erstickte Schreie und unterdrücktes Stöhnen von Opfern. Die Aufführung einer Barockoper in Nürnberg als modernes politisch feministisches Manifest?

Familiärer Konflikt der Antike und des Alten Testaments

Szene aus "Taestri" am Staatstheater Nürnberg (November 2022) | Bildquelle: Bettina Stöss Szene aus "Talestri" am Staatstheater Nürnberg, inszeniert von Ilaria Lanzino | Bildquelle: Bettina Stöss Mischen sich Männer unter Amazonen, so die antiken Sagen, droht die Todesstrafe. Dennoch verlieben sich die verfeindeten Geschlechter immer wieder ineinander. Als die Amazone Tomiri erkennen muss, dass Oronte, der Mann in Frauenkleidern, ihr eigener Sohn, Kind einer Vergewaltigung, ist, steht sie unter einem Dilemma: Gelten Recht und Ehre der Amazonen – also die Todesstrafe für das Kind – oder siegt die Liebe zu ihm und zur künftigen Schwiegertochter? Denn Oronte ist Geliebter der Amazonenkönigin Talestri. Es ist ein familiärer Konflikt, der für die Mythen der Antike, aber auch die Bibel zentral ist – wie beispielsweise bei Iphigenie, Orest, Medea oder Abraham.

Oper als psychoanalytische Familienaufstellung

Bei der Aufführung in Dresden 1763 dürfte es fast eine Art psychoanalytischer Familienaufstellung im engen adeligen Kreis gewesen sein. Maria Antonia Walpurgis, die unter dem Pseudonym einer Schäferin nicht nur das Libretto verfasste und die Oper komponierte, sang selbst die Titelrolle, zwei weitere Prinzessinnen die beiden anderen Frauenrollen: Talestris Freundin Antiope sowie Mutter Tomiri. Auch den männliche Liebhaber Oronte gab eine Frau, eine Gräfin Hofmarschall.

Eindrucksvolles Kompositionshandwerk einer Prinzessin

In letzter Zeit ist "Talestri – Königin der Amazonen" öfter gezeigt worden, unter anderem in München, Wien und Herne. Die Nürnberger Produktion in modernen expressiven Posen choreographiert, versteht sich dabei als großes modernes Musiktheater. Fraglich ist, ob sich Maria Antonia Walpurgis überhaupt in erster Linie als Komponistin sah oder ob sie nicht viel mehr Wert auf ihre Rolle als Librettistin, Sängerin, Musikerin und Diplomatin legte. Ein Personalstil in ihrer Musik oder gar ein spezifisch weiblicher Kompositionsstil lassen sich nicht abgrenzen, doch es ist eindrucksvolles Kompositionshandwerk.

Überzeugendes Nürnberger Ensemble

Szene aus "Taestri" am Staatstheater Nürnberg (November 2022) | Bildquelle: Bettina Stöss Szene aus "Talestri" am Staatstheater Nürnberg, inszeniert von Ilaria Lanzino | Bildquelle: Bettina Stöss Und vor allem weiß es Dirigent Wolfgang Katschner eindrucksvoll und immer wieder spannungsgeladen umzusetzen: zwar nicht auf historischen Instrumenten, aber "historisch informiert". Dass er Oronte mit einem Countertenor (Ray Chenez) besetzte, gibt dem Klang der galanten Musik Maria Antonia Walpurgis' zusätzlich einen barocken Farbton. Ihm, aber auch den drei Sängerinnen (Julia Grüter, Eleonore Marguerre und Corinna Scheurle) folgt man mit viel Vergnügen bei ihren Koloraturen und Verzierungen, und man kann sich kaum vorstellen, wie Laien dies vor mehr als 250 Jahren bewältigt haben mögen.

Sendung: "Allegro" am 14. November 2022 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player