"María de Buenos Aires" von Ástor Piazzolla ist weder Oper, noch Oratorium oder Ballett. Es ist eine Tango Operíta – Musiktheater zu Tangomusik. Mit einer surrealen Handung und komplexer Poesie. Am Samstagabend hatte das Stück am Theater Regensburg Premiere.
Bildquelle: Marie Liebig
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"Maria de Buenos Aires" am Theater Regensburg
Als 1968 der argentinische Komponist und Bandoneonist Ástor Piazzolla und der Dichter Horacio Ferrer ihre gemeinsame Tango Operíta "María de Buenos Aires" herausbrachten, war das Publikum überfordert: eine surreale Handlung, komplexe Poesie als Libretto, ein Musiktheater zu Tangomusik, das weder Oper noch Oratorium oder Ballett ist, sondern sich völlig neu definiert. Mittlerweile hat sich Piazzollas "María" international als spannendes Werk durchgesetzt, und am Theater Regensburg ist es jetzt erstmals zu erleben.
War zum ersten Mal in Regensburg zu sehen: Die Tango Operíta "María de Buenos Aires" von Ástor Piazzolla | Bildquelle: Marie Liebig Durch die sechzehn Bilder des 90-minütigen hochintensiven Abends führt als Erzähler El Duende – ein Geist, der in Sommer Ulricksons Inszenierung als heruntergekommener, drogensüchtiger Clochard aus der Proszeniumsloge steigt. In der sitzt den ganzen Abend auch ein Skelett – ja, der Tod ist stark präsent in Ulricksons Lesart dieses soghaften, vielschichtigen Theaterkunstwerks. Thomas Mehlhorn ist ein deutscher El Duende, und die Übersetzung von Christian Lehnert ermöglicht dem Regensburger Publikum in die enorme Wortgewalt des Librettos von Ferrer einzutauchen, fordert aber auch, sich dem Bilderrausch dieser Sprache hinzugeben und sich mitreißen zu lassen.
Es sind jedoch die singenden Erzählfiguren, die an diesem Abend noch tiefer berühren können. Die Szenen der Tenöre Carlos Moreno Pelizari und Alejandro Nicolás Firlei Fernández verströmen eine große Innigkeit, die durch Piazzollas Musik zum Ausdruck kommt. Tangoromantik fürs Auge wird in Regensburg nämlich nicht geboten. Im faszinierenden schwarzweiß bemalten Drehbühnenbild von Mireia Vila Soriano und Alexander Polzin agiert die Regensburger Tanzcompagnie in weiße, zerfetzte Fechtanzüge gekleidet als lemurenhafter Geisterchor. Jedes Mitglied der Truppe erzählt in starker Pantomime und Körpersprache seine eigene Leidensgeschichte und Frankenstein lässt bisweilen grüßen. Zusammen mit María Bayarri Pérez hat Sommer Ulrickson eine moderne Choreografie entwickelt, die das Gewalttätige, das Schmerzhafte in Ferrers Texten in den Vordergrund rückt.
Szene aus der Tango Operíta "María de Buenos Aires" in der Inszenierung von Sommer Ulricksons | Bildquelle: Marie Liebig María ist Projektionsfläche von Sehnsüchten und Schmerzensmutter, religiöse Figur und Bild für alle gescheiterten Existenzen der Auswandererstadt Buenos Aires. Die Mezzosopranistin Fabiana Locke verkörpert sie überzeugend und verschmilzt regelrecht mit dem Tanzensemble. In ihren großen Soloszenen gibt Piazzollas Musik ihrer dunklen und doch zarten Stimme Raum und eröffnet erneut den Zugang in eine versöhnlichere Seelenwelt, die dem Auge an diesem Abend verborgen bleibt. Dirigent Andreas Kowalewitz und die Tangomusiker im Regensburger Orchestergraben widmen sich mit Gespür und Verve der großen Bandbreite dieser expressiven Musik zwischen zartester lyrischer Kantilene und wild-skurrilem Totentanz. Ein packender Abend, der nachwirkt!
Sendung: "Allegro" am 27. Februar 2023 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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