Vor zwei Jahren hatte das Publikum in Bern schon einmal gejubelt: bei der Premiere von Wagners "Rheingold". Nun setzt die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak ihre Arbeit mit der "Walküre" fort – wieder mit uneingeschränktem Jubel, aber nicht ohne intellektuellen Anspruch.
Bildquelle: Rob Lewis
Immer wieder gerät man an diesem Abend ins intellektuelle Stottern. Was einem da gerade interpretationsmäßig so durch die Rübe rauscht, macht das Sinn? Hat man die Idee, dieses Bild gerade eben verstanden? Oder führt einen Ewelina Marciniak (un?)bewusst immer mal wieder auf falsche Fährten? Zur Kritikerehre gehört es, weder die Regisseurin, noch den sehr klugen und auskunftsfreudigen Dramaturgen Miron Hakenbeck zu befragen und auch nicht im Programmheft zu blättern.
Bunte Kostüme prägen das Bühnenbild, das sonst vor allem aus einer riesigen Felsenlandschaft besteht. | Bildquelle: Rob Lewis Auf der Bühne zu sehen ist eine riesige Felsenlandschaft, die mit tollen Lichtstimmungen (Bernhard Bieri) im Laufe der drei Aufzüge ziemlich abwechslungsreich erscheint. Es gibt eine Art Messer-Skulptur in Hundings Hütte, sehr grelle, bunte Kostüme (Julia Kornacka), einen durchaus gemütlichen Kamin – und jede Menge Tänzerinnen und Tänzer, die mal die Protagonisten verdoppeln – etwa das geschwisterliche Liebespaar Siegmund und Sieglinde –, mal für Störung und Durcheinander sorgen. Wenn Obergott Wotan (wunderbar: Seth Carico) mit seiner Gattin Fricka (präzise und voluminös: Claude Eichenberger) streitet, kommt ein ganzes Rudel Fricka-Widergängerinnen dazu – alle schwanger, alle Wotan spürbar auf die Nerven gehend.
Das Tanzensemble hat die Regisseurin mitgebracht und sich mit Dominika Knapik eine wirklich exzellente Choreographin hinzu geholt, die irre Situationen und manchmal ins Akrobatische gehende Nummern schafft. Vielleicht passt der Begriff Nummernrevue ganz gut zum gesamten Abend, wobei vieles auf den ersten Blick schroff und nicht gerade konzise wirkt und doch entsteht auf merkwürdige Weise ein Bogen, eine Struktur. Im Heterogenen liegt hier reichlich sinnliche Kraft, da darf der Sinn gerne bisweilen auf der Strecke bleiben!
Wenn Siegmund stirbt und kurz darauf auch Hunding, so stehen sie mit dem Rücken zum Publikum im Abseits wie in asiatischen Theaterformen. Gegen Ende senkt sich hinter dem Felsengebirge eine irre Lichtskulptur vom Bühnenhimmel herab, Brünnhilde sieht man da nicht, sie wird aber im finalen Bild eindrucksvoll, weil kopfüber, über dem Feuerfelsen baumeln! Öfters setzt Marciniak kleine ironische Brechungen ein, man blättert etwa in Kim de l'Horizons "Blutbuch" (de l'Horizon schreibt regelmäßig fürs Berner Theater) und wirft es kopfschüttelnd zur Seite. Nein, zur "Walküre" passen solche radikalen Transformationen dann wohl doch nicht so ganz... Die ironischen Kippmomente sind immer ganz kurz, sorgen für einen Verfremdungseffekt, der bald wieder durch Ernsthaftigkeit, oft verbunden mit szenischer Überfülle, aufgelöst wird.
Die Besetzung ist durchwegs adäquat, spannend das Rollenportrait der quirlig virilen Yanhua Liu als Brünnhilde, stark Julie Adams als Sieglinde, vokal etwas verhalten Marco Jentzsch als Siegmund. Bei Brünnhildes Walküren-Schwestern gefällt vor allem Amelie Baier als Siegrune. Nicholas Carter bietet mit dem Berner Symphonieorchester satten Wagnerklang, im zweiten Aufzug gibt es ein paar Durchhänger, einige Trägheitsmomente. Wie beim "Rheingold" wurde diese "Walküre" uneingeschränkt bejubelt, trotz (oder gerade wegen?) ihrer bildmächtigen Komplexität. Man darf also nicht nur dem ganzen Team, sondern auch dem Publikum gratulieren!
Sendung: "Leporello" am 16. Januar 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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