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75 Jahre Befreiung des KZ Dachau – Gedenkkonzert Jewish Chamber Orchestra Munich spielt im Stream

Als die US-Soldaten am 29. April 1945 das KZ Dachau betreten, werden sie von den Häftlingen euphorisch begrüßt. Hunderttausende Menschen wurden hier während der NS-Zeit schikaniert, misshandelt, gefoltert. Viele von ihnen überlebten die Haft nicht. Nun jährt sich der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers zum 75. Mal. Zur Erinnerung daran hatte das Jewish Chamber Orchestra Munich ein Konzert geplant. Das gibt es nun wegen der Corona-Pandemie in kleinerer Form und als Videostream. Über das Gedenken in einer besonderen Zeit.

Befreiung des Konzentrationslagers Dachau 1945 | Bildquelle: picture alliance / akg-images

Bildquelle: picture alliance / akg-images

Zur Gedenkfeier 75 Jahre Befreiung Konzentrationslager Dachau am 29. April wurden eigentlich zweitausend Besucher erwartet, darunter neunzig Überlebende. Wegen der Corona-Pandemie muss diese Begegnung ausfallen. Auch das geplante Gedenkkonzert mit dem Jewish Chamber Orchestra Munich unter Daniel Grossmann stand erst auf der Kippe. Doch die Stadt Dachau und das Orchester haben zusammen einen Weg gefunden, das Konzert stattfinden zu lassen – unter besonderen Bedingungen: ohne Publikum, als Videostream und in enger Abstimmung mit Gesundheits- und Aufsichtsbehörden.

Es ist so eine Universalkatastrophe der Menschheit gewesen, dass ich mir wünsche, jeder würde sich darüber Gedanken machen.
Daniel Grossmann

Dirigent Daniel Grossmann | Bildquelle: © Thomas Dashuber Daniel Grossmann, künstlerischer Leiter und Dirigent des Jewish Chamber Orchestra Munich | Bildquelle: © Thomas Dashuber

"Für mich ganz persönlich hat dieser Tag zwar keine besondere Bedeutung", sagt Daniel Grossmann, der Leiter des Jewish Chamber Orchestra Munich zu BR-KLASSIK. Für den jüdischen Dirigenten hängt das Gedenken an den Holocaust und die Gräueltaten der NS-Zeit nicht an einem einzigen Jahrestag. "Doch für die Überlebenden, insbesondere die des KZ Dachau, ist diese Geste, dass man etwas Großes für sie veranstaltet, sehr wichtig. Und um diese Menschen geht es." Als die Entscheidung anstand, ob das Orchester unter strengen Auflagen musizieren würde, hätten "ausnahmslos alle Musiker und Musikerinnen sofort zugestimmt“, sagt Daniel Grossmann. Die Orchestermitglieder haben sich sehr gefreut, doch noch musikalisch Teil der Feierlichkeiten sein zu können – und auch endlich wieder zusammen musizieren zu dürfen.

Befreiung der Konzentrationslager in Bayern

Da die alliierten Truppen sich am Ende des Zweiten Weltkriegs von West nach Ost voranarbeiteten, gehörten die bayerischen Konzentrationslager zu den am spätesten befreiten NS-Terrorstätten. Ende April 1945 erreichten die Amerikaner Dachau und Flossenbürg. Endlich waren die überlebenden Häftlinge befreit. Doch für viele kamen die Retter zu spät: Kurz vor dem Eintreffen der US-Armee hatte die SS viele der Gefangenen auf den KZ-Appellplätzen zusammengetrommelt und hinaus in die so genannten "Todesmärsche" getrieben.

Web-Tipp:
Zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau zeichnet der BR in einem virtuellen Rundgang die entscheidenden Stunden aus Sicht von Augenzeugen nach.

Musikalisches Gedenken an die Befreiung in Dachau

Das ursprünglich geplante Programm für das Gedenkkonzert musste das Jewisch Chamber Orchestra komplett ändern. Die Orchesterbesetzung für die rund 25 Stücke, die in unterschiedlichen Konzentrationslagern entstanden sind, wäre für die Hygienevorschriften viel zu groß gewesen. Stattdessen entschieden sich die Musiker für Viktor Ullmanns "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke", mit Stefan Merki als Sprecher. Das Stück ist die letzte Komposition, die Viktor Ullmann vor seiner Deportation nach Auschwitz fertigstellen konnte, wo er am 18. Oktober 1944 ermordet wurde. "Für mich ist Viktor Ullmann ein Prototyp des verfolgten jüdischen Komponisten", sagt der Dirigent Daniel Grossmann. Deshalb passe Ullmanns Musik besonders gut zu diesem Anlass. "Er steht für eine ganze Gruppe Menschen, die nur aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln auf eine besonders brutale Art und Weise zurückgedrängt wurde."

Musizieren auf Abstand

Die Proben für Ullmanns "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" mussten wegen der Ansteckungsgefahr unter strengen Auflagen stattfinden, die Musiker sollten den Mindestabstand von 1,50 Metern einhalten können. Also wurden die Stühle mit dem Zollstock ausgerichtet. Die 13 Musiker, die mitspielen, nehmen mit den vorgeschrieben Abständen gleich den Raum eines Symphonieorchesters ein. "Einen homogenen, ausbalancierten Klang hinzubekommen ist unter diesen Umständen nicht einfach", sagt Grossmann.

Gedenken mitten in einer Pandemie

Den Konzertstream, der über die Webseiten der Stadt Dachau und der Münchner Kammerspiele läuft, sieht Daniel Grossmann als eine Chance. Eine Gedenkfeier ohne direkten, persönlichen Kontakt? Der Dirigent kann dem durchaus etwas abgewinnen, schließlich sei Gedenken ohnehin etwas sehr intimes. Und gerade in Zeiten einer weltweiten Epidemie sind die Leute vielleicht noch "mehr dafür empfänglich, sich das Unvorstellbare vorzustellen", sagt er. "Vielleicht können die Menschen es gerade besser nachvollziehen, wie es ist, wenn man in eine Situation kommt, von der man sich nie im Leben hätte vorstellen können, hineinzugeraten."

Konzert zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau im Stream

Mittwoch, 29. April 2020 ab 20:00 Uhr

Programm: Viktor Ullmann "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke"

Jewish Chamber Orchestra Munich
Leitung: Daniel Grossmann
Sprecher: Stefan Merki (Münchner Kammerspiele)

Der Stream ist über die Webseiten der Stadt Dachau und der Münchner Kammerspiele abrufbar.

Sendung: "Leporello" am 29. April 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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