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Kritik "La légende de Tristan" am Theater Ulm Gefühlskriege unterm Weihnachtsbaum

Den Opernstoff "Tristan" gibt es nicht nur in der Version von Richard Wagner. Der Franzose Charles Tournemire komponierte in den 1920er Jahren "La Légende de Tristan". Die kommt jetzt am Theater Ulm zur Uraufführung und hält einige Überraschungen für Opern-Fans bereit.

Markus Francke, Joshua Spink, Dae-Hee Shin, An De Ridder, Opern- und Extrachor des Theaters Ulm, Statisterie des Theaters Ulm. | Bildquelle: Theater Ulm/Jochen Klenk

Bildquelle: Theater Ulm/Jochen Klenk

Irre! Mehr fällt einem erstmal zu dieser Geschichte nicht ein. Da schreibt in den 1920er Jahren ein damals renommierter Komponist und Organist eine Tristan-Oper, und niemand will sie haben. Woran es genau lag, ist nicht so recht klar. Charles Tournemire hat bei César Franck studiert, als dessen berühmtester Schüler Olivier Messiaen gilt. Dass Tournemire offenbar ein eher griesgrämiger Zeitgenosse war, mag auch seinen Teil dazu beigetragen haben. Zwei weitere Opern Tournemires wurden recht erfolgreich uraufgeführt, seine letzte – ein Stück über Franz von Assisi – liegt ebenfalls noch in den Archiven.

Der französische Tristan von Charles Tournemire

Um mit der Tür ins Haus zu fallen: nein, nach Wagner klingt das Stück nicht. Obwohl es Ähnlichkeiten gibt, was die Ausgestaltung von inneren, verinnerlichten Klangräumen betrifft. Komponist Tournemire zeichnet mit meditativem Leuchten Seelenzustände nach, lässt die Protagonisten oft eloquent verziert monologisieren ('echte' Arien gibt keine), manchmal fallen sie sogar kurz ins Sprechen. Wirklich expressiv, wild, ja wütend wird es erst in Richtung Finale, als Tristan stirbt, und bevor er mittels luftig-quecksilbrigen Chorälen verklärt wird. In den zahlreichen Zwischenspielen drückt sich der Komponist wirklich eigenständig aus, (er)findet zauberische Modulationen, beglückt durch mal blühende, mal glühende Inventionen.

Felix Bender dirigiert das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm

An De Ridder, Markus Francke, I Chiao Shi, Opern- und Extrachor des Theaters Ulm, Statisterie des Theaters Ulm | Bildquelle: Theater Ulm/Jochen Klenk An De Ridder, Markus Francke, I Chiao Shi, Opern- und Extrachor des Theaters Ulm, Statisterie des Theaters Ulm | Bildquelle: Theater Ulm/Jochen Klenk Jetzt also ein französischer Tristan in Ulm! Weil Intendant Kay Metzger und  der frühere Generalmusikdirektor Timo Handschuh (2020 bekam Handschuh von BR-KLASSIK den Operettenfrosch für "Die Csárdásfürstin) Feuer fingen. Corona verhinderte die Premiere 2020, mittlerweile heisst der Ulmer Musikchef Felix Bender, und auch er zeigt sich begeistert. Felix Bender dirigiert das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm glänzend (die Chöre klingen auch toll), mit An De Ridder und Markus Francke ist ein vokal fein timbriertes (Anti-)Paar besetzt, König Marke – hier Le Roi Marc – wird von Dae-Hee Shin wuchtig interpretiert, auch I chiao Shih als Brangien/Brangäne (wir verwenden ab jetzt die einschlägigen Namen...) sowie Joshua Spink als Frocin überzeugen. Frocin ist ein Zwerg, eine krude Figur, die etwa den König aufhetzt und das Geschehen bisweilen vorantreibt.

Tristan mal anders

Wer Wagners Handlung in drei Aufzügen kennt und schätzt, erlebt in dieser französischen Tristan-Variante (drei Akte, acht Bilder) einige Überraschungen. Die Titelfigur steht sehr im Fokus, seine Geschichte, sein Lieben und Leiden sind zentral. Dass er Isoldes Onkel Morold getötet und einen Drachen besiegt hat, hier wird's besungen. Im Libretto von Albert Pauphilet ist der berühmte Liebestrank eigentlich zur Anheizung der Beziehung von Isolde und Marke gedacht, durch Zufall bekommen ihn die Falschen in die Kehlen. Ihre Seelen spielen darauf naturgemäß verrückt!

Regisseur Kay Metzger inszeniert – Begeisterung beim Publikum

Joshua Spink und Dae-Hee Shin mustern die klare Flüssigkeit in einer Karaffe.  | Bildquelle: Theater Ulm/Jochen Klenk Joshua Spink, Dae-Hee Shin | Bildquelle: Theater Ulm/Jochen Klenk Kay Metzger inszeniert die Geschichte präzise und mit Lust am Detail in einem Ambiente, das ans 19. oder frühe 20. Jahrhundert erinnert. Großbürgerlich das Milieu, hinten schlagen Videowellen oder -wolken bis ans Haus, gelegentlich flammen Kriegsbilder auf. Irgendwann jedoch steht da ein großer Christbaum, livriertes Personal sorgt für Ordnung, doch festliche Stimmung will angesichts der diversen Probleme diverser Figuren nicht recht aufkommen. Recht filmisch wirkt alles und wird vielleicht ein oder zwei Ticks zu gediegen erzählt, aber summa summarum passt es.Und man ist wieder einmal froh über das deutsche Stadttheatersystem, welches solche Mammutprojekte erst möglich macht. Radioausstrahlungen und eine CD-Produktion sind in Planung, das Ulmer Premierenpublikum ließ sich in größeren Teilen zu stehenden Ovationen hinreißen.

Sendung: "Leporello" am 16. Dezember 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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