"Nach den Ohren zu spielen", das wünscht sich die Bratschistin Tabea Zimmermann für die Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Als Artist in Residence wird sie vier Programme mit dem BRSO aufführen - das erste diesen Freitag.
Bildquelle: Marco Borggreve
Vier Programme wird Tabea Zimmermann in der Saison 2022/23 mit dem BRSO spielen: das Bratschenkonzert von William Walton und eine Uraufführung von Nikolas Brass im Rahmen der Musica Viva. Hinzu kommen ein Kammerkonzert im Werksviertel und ein – wie sie es ausdrückt – düsterer Abend mit Werken von Schostakowitsch, Britten und Karl Amadeus Hartmann. Dieses letzte Konzert wird Tabea Zimmermann dann auch leiten: allerdings nicht im klassischen Sinne als Dirigentin, wie sie im Interview mit Anne Schoenholtz, Geigerin im BRSO, klarstellt.
Anne Schoenholtz: Tabea, Du bist Artist in Residence beim BRSO in dieser Saison. Und bei diesem Begriff Residence denkt man wirklich an: Ankommen, an zu Hause. Ist das so, dass man in so einer Kooperation mit dem Orchester oder dem Ensemble sehr dicht zusammenwächst und auch an dem Ort wirklich ein bisschen mehr ankommt?
Tabea Zimmermann: Ich denke schon, dass das der Sinn und auch die Aufgabe für mich ist. Mich auch ein bisschen zu vernetzen. Ich werde auch die Musiker besser kennenlernen. Darauf freue ich mich. Ich habe bei früheren Residenzen auch gemerkt, dass das wirklich eine wunderschöne Sache ist für mich als Bratschistin, weil ich dann verschiedene Facetten meiner Arbeit auch zeigen kann. Weil ich ja eben nicht nur Solistin bin, sondern eben auch Kammermusikerin.
Zu Beginn ihrer Residenz stellt sie sich beim BRSO mit dem hierzulande kaum bekannten Violakonzert des 27-jährigen Briten William Walton vor. BR-KLASSIK überträgt das Konzert am Freitag, 16. Dezember ab 20:00 Uhr live im Stream und im Radio.
Anne Schoenholtz: Und wenn ich mich nicht irre, kommst Du auch als Dirigentin, oder?
Tabea Zimmermann: Nein. Dirigieren tue ich nicht. Das habe ich mir geschworen. Und da dürfen mich auch enge Freunde gerne daran erinnern, sollte ich mal auf eine andere Idee kommen. Ich leite von der Bratsche aus. Das ist für mich ein ganz, ganz großer Unterschied. Und ich tue das auch deshalb, weil ich mich unbedingt als Musikerin als Teil des Ensembles einbringen möchte. Und eben gerade nicht aus der Distanz und auch nicht aus einer dirigierenden Rolle. Ich habe einen zugegebenermaßen etwas komplexes Verhältnis zu dem Dirigier-Beruf.
Dieses Aus-der-Mitte heraus, das ist wirklich so ein Lebens-Thema von mir durch die Bratsche.
Anne Schoenholtz: Leitung kann ja Mehreres heißen. Und es gibt viele Solistinnen und Solisten, die dann auch wirklich sagen: Ich dirigiere. Hätte das nicht auch sein können?
Tabea Zimmermann: Hätte sein können. Aber ich habe damit einige Erfahrungen gesammelt in den letzten Jahren. Und ich finde dieses Aus-der-Mitte heraus, das ist wirklich so ein Lebens-Thema von mir durch die Bratsche: Durch die Bratschenstimme von innen heraus die Fäden ein wenig ziehen können - aber eben vor allem durch eine intensive Probenarbeit. Es geht mir eigentlich hauptsächlich darum, beim Proben mich zunächst mehr und dann zum Konzert hin immer weniger einzubringen. So, dass nachher eigentlich das Ziel ist, dass wir als Ensemble wirklich ganz kammermusikalisch, quasi nur nach den Ohren spielen. Das ist der Wunsch, das ist mein Ziel.
Hören Sie hier die ganze Folge des Orchester-Podcasts SCHOENHOLTZ mit Bratschistin Tabea Zimmermann.
Bildquelle: Marco Borggreve Und ich habe damit wahnsinnig gute Erfahrungen gemacht: Dieses gemeinsam Sich-auf-den-Puls-Einschwingen. Da geht es aber wirklich darum, den Puls aufzunehmen und nicht nachzuspielen. Und deshalb ist es mir ganz wichtig, dass es nicht eine optische Leitung in dem Sinne gibt, sondern dass das Ohr unser gemeinsamer roter Faden ist, an dem wir uns dann an der Partitur entlang hangeln.
Die führenden Stimmen hängen von der Musik ab. Manchmal spielt gerade die erste Geige, manchmal geht die führende Stimme in ein anderes Instrument über. Und wir werden mit den Ohren durch die Stimmen durchgehen. Das ist mein Ideal in der Musik, egal, wie groß die Partitur ist. Aber natürlich gibt es bestimmte Werke und vor allem auch Realitätszwänge, wenn man etwa nur wenig Probenzeit hat, und auch schon aus diesem Grund unbedingt eine dirigierte Probe und ein praxisorientiertes, ergebnisorientiertes Arbeiten braucht. Aber mir fehlt manchmal mehr Zeit und mehr Kammermusik. Und da denke ich, ihr seid so tolle Musiker. Da freue ich mich einfach darauf, dass wir das zusammen machen.
Anne Schoenholtz: Du bezeichnet die Bratsche als ein philosophisches Instrument. Kannst Du das ein bisschen erklären, was Du damit meinst?
Tabea Zimmermann: Ich glaube, dass diese Rolle in der dunklen, melancholischen Farbe, dass man als Bratschistin eben oft auch nicht im Rampenlicht steht, dass einem das als Musikerin die Chance gibt, viel mehr zu sehen als die Hauptstimme. Und dass die Bratsche eben wirklich die sehr nachdenkliche, eben nicht die virtuose Seite übernimmt. Es gibt auch virtuose Werke, aber das sind dann sozusagen einzelne Insel-Stationen. Ich finde die Klangwelt der Bratsche sehr reich, vielseitig und aber eben allein schon durch die Stimmlage und die gewisse Trägheit, die durch die dickeren Seiten angelegt ist, einfach auf einer nachdenklichen Seite.
Anne Schoenholtz: Aber was ist denn dann bloß die Geige oder die Erste Geige? Wir stehen immer mehr im Vordergrund durch das häufig exponierte, melodische Material - auch durch die Höhe, sie ist immer gut hörbar.
Tabea Zimmermann: Das kann ja wunderschön sein. Ich möchte hier auf gar keinen Fall etwas gegen die wunderschönsten Geigentöne sagen. Die beneide ich natürlich. Und die fehlen uns manchmal. Aber ich habe mich so mit der Rolle der Bratsche durch mein ganzes Leben hindurch identifiziert, dass ich mir das anders nicht mehr vorstellen kann.
Anne Schoenholtz: Ich denke auch tatsächlich, dass einen ein Instrument und dessen Klang prägt. Das ist doch so? Auch charakterlich, was man für Eigenheiten hat? Es gibt viele gestresste erste Geiger - muss man sagen. Es ist ein sehr stressiger Beruf. Und ich glaube tatsächlich, dass das, was Du von der Bratsche beschreibst, eine ganz andere Funktion ist. Und das färbt, denke ich, auch ein bisschen auf den Charakter ab. Oder vielleicht, wie man sich im Alltag verhält?
Tabea Zimmermann: Ich muss dazu sagen, dass ich aufgrund der familiären Situation, in die ich hineingeboren wurde, zur Bratsche gekommen bin. Ich bin die vierte von sechs Kindern, ich war lange die Jüngste. Dann kamen nach einiger Pause noch zwei Nachzügler. Und diese Position des vierten Kindes ist natürlich auch schon eine außergewöhnliche. Man sieht die älteren Geschwister. Man ist in ein Netz eingebunden. Man ist nicht alleine. Und dadurch, dass dann eben Klavier, Geige und Cello schon besetzt waren, gab es die Frage: Was kann das Kind denn spielen? Denn ich wollte unbedingt mitspielen.
Ich glaube schon, dass das zusammengehört: Der Platz in der Familie und der Platz in der Musik.
Ich habe schon vor dem dritten Geburtstag, mit zweieinhalb angefangen, mir in Omas Küche immer zwei Holzlöffel zu suchen, habe ein Notenpult aufgestellt und habe dann auf den zwei Holzlöffeln geübt. Meine Eltern haben sich das ein halbes Jahr angeschaut und sind dann zu dem Geigenlehrer gegangen. Und das Schöne an dieser Musikschule in Laar, wo ich aufgewachsen bin, ist, dass sie Kammermusik zum Zentrum der musikalischen Ausbildung gemacht hat. Und dort war man sehr froh, dass man jetzt eine kleine Bratsche heranziehen konnte. Und dieses: Dass jeder Ton im Kontext steht, dass jeder Ton sich auf einen anderen bezieht, als Beispiel auch dafür, wie wir Menschen uns in Beziehung zu anderen setzen, ich glaube schon, dass das was mit mir gemacht hat. Und dass das zusammengehört: Der Platz in der Familie und der Platz in der Musik.
Anne Schoenholtz: War das ein großer Glücksfall, dass es genau das Richtige für dich war.
Aber deshalb kann ich das auch nicht isoliert denken. Ich hätte wohl nicht Bratsche gelernt, wenn ich ein Einzelkind gewesen wäre.
Sendung: "Allegro" am 15. Dezember 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 15.Dezember, 08:35 Uhr
Wolfgang
Sehr interessantes Interview...
...sowohl bezüglich der Rolle des Dirigenten, welcher durch intensive Proben ersetzt werden könne, alsauch bezüglich der besonderen Sicht auf die Partitur, welche durch das gemeisterte Orchesterinstrument geprägt sei.
Natürlich kaum verizierbare Auffassungen (wie so vieles im Leben, das ja sehr komplex sein kann), aber wenn diese Auffassungen zu beglückenden Konzerten führen, sind sie natürlich gerechtfertigt.
Wäre schön, wenn der BR die Konzerte überträgt und womöglich als CDs und Downloads veröffentlicht.