Im "Orjazztra" spielen 17 junge Musikerinnen und Musiker aus Österreich Kompositionen von Christian Muthspiel. Auf dem neuen Album inspiriert von Filmen von Federico Fellini. Für BR-KLASSIK das Jazzalbum des Monats September.
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Wie schön sie klagen, diese Posaunen. Wie sie seufzen! Wie sie in fallenden Motiven schwelgen. Und wie sie auch zum Schwelgen bringen. Andere Instrumente kommen hinzu. Eine Verdichtung. Ein immer vielschichtiger werdendes Erklingen und Ineinander-Greifen von Tönen. Aus einem kleinen Kern erwächst ein großes Ganzes. Intime Töne werden zum Breitwand-Klang: Auf diese Art hebt die Ouvertüre zu diesem anderthalbstündigen Jazzorchester-Stück an.
Bildquelle: picture alliance / Sandro Becchetti/Leemage Viel Sogkraft und viel emotionale Kraft hat die Musik des Orjazztra Vienna, jenes jungen Groß-Ensembles, für das der bedeutende österreichische Jazz-Kreativgeist Christian Muthspiel die Stücke schreibt. Die aktuellen sind inspiriert von den Filmen Federico Fellinis. Man muss aber Werke dieses großen italienischen Autorenfilmers – wie "La Strada", "Stadt der Frauen", "Schiff der Träume" oder "Ginger und Fred" – nicht im Kopf haben, um diese Musik zu genießen. Sie bezieht sich manchmal auf konkrete Filme und Figuren, aber sie spricht auch für sich allein, erzählt Geschichten, zu denen man sich eigene Bilder machen kann. Geschichten zum Beispiel von Tönen, die sich so packend zusammenballen und steigern wie etwa das dritte Teilstück des Werks, die "Tarantella balcanica".
Was für prägnante Rhythmen! Und was für ein Geflecht der Blas-Instrumente darüber! Eine Tarantella ist ein Tanz, dessen Name sich von der Tarantel ableitet, einer Spinne, die schmerzhaft beißt. Und hier springt einem ein Sound entgegen, der sich bewusst so gebärdet, als sei die ganze Band von einer Tarantel gestochen. Dann wieder, gleich im selben Stück, ein Kontrast: Immer wieder hat dieser faszinierend orchestrale Jazz kleine Klang-Inseln. Die sind wie intime Kammermusik, die in feine Dialoge mit der Wucht des kompletten Orchesters tritt.
Bildquelle: Joseph Schimmer Ein anderes Teilstück heißt "Liebestanz" ("Danza dell’amore"). Darin spielt der Saxophonist Robert Unterköfler ein inniges, klanglich äußerst elegantes Solo. Ungemein gelungen setzt Christian Muthspiel in dem langen Gesamtstück die jungen Solistinnen und Solisten ein. Etwa – um hier nur noch zwei Beispiele herauszugreifen - Lisa Hofmaninger, hoch expressiv und mit vielen Nuancen, an der Bassklarinette, und Lorenz Raab mit weichen und ungemein geschmeidigen Linien am Flügelhorn. Alle 17 Musiker:innen haben in dem Stück ihr Solo – und alle sind schlichtweg ganz hohe Klasse.
Viele Momente zum Schwelgen, zum Genießen und auch zum Staunen über eine so fein geordnete Klangpracht voller bewegender Schönheiten gibt es in diesem Album. Bis hin zu einer fesselnden Battle zwischen zwei Posaunen gegen Ende des langen Werks. Aus den Original-Musiken, die einst der Komponist Nino Rota für die Fellini-Filme schrieb, hat Christian Muthspiel in "La Melodia della Strada" nichts zitiert. Alle Melodien sind eigene. Im ausführlichen Booklet findet man alle wichtigen Hintergrund-Informationen. Ansonsten: Augen zu und den eigenen Film zu diesem grandiosen Jazzorchester-Hörkino ablaufen lassen. Ein Hörkino, das durchweg mitreißt.
Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna
"La Melodia della Strada"
Col legno
WWE 2CD 20459
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