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Leonidas Kavakos beim BRSO "Proben sind magische Momente"

"Endlosen Flow" verspürt der Geiger Leonidas Kavakos, wenn er Mendelssohns Violinkonzert spielt. Am 12. und 13. Januar ist er mit diesem Werk zu Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Im Interview erklärt er, warum für ihn die Orchesterproben noch aufregender sind als die Konzerte.

Leonidas Kavakos | Bildquelle: Marco Borggreve

Bildquelle: Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Sie spielen das Violinkonzert e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy, ein wunderbares Stück für die Musizierenden wie für das Publikum gleichermaßen. Was zeichnet das Werk Ihrer Meinung nach aus?

Leonidas Kavakos: Aus dem ganzen Violinrepertoire gehört dieses Konzert zu denjenigen, die am häufigsten aufgeführt werden. Und das ist kein Zufall. Mendelssohn hat ganz besonders in dieses Konzert eine unglaubliche Frische hineingelegt, verbunden mit einem endlosen Flow. Seine Ideen fließen. Die Schönheit dieses Werks wächst aus den wunderbarsten Melodien, aber auch aus der Art, wie Mendelssohn es konstruiert und aus dem musikalischen Material geformt hat. Auch der schnelle Wechsel von Stimmungen hält das Publikum in Bann. Es geht in einem hohen Tempo von Glückseligkeit zu Melancholie und Traurigkeit, von Hoffnung zu Nostalgie und dann wieder zu einem unfassbaren Humor. Diese einzigartige Spritzigkeit und Energie wirken auf mich so natürlich wie fließendes Wasser. Es passiert so viel und dennoch fließt die Musik perfekt dahin. Und dieser Flow vermittelt dem Publikum ein Gefühl der Meditation, – übrigens auch für uns auf der Bühne – bis auf den letzten Satz. Der ist ja voller Leben und Humor und voller Virtuosität.

Mendelssohns Violinkonzert - wie fließendes Wasser

BR-KLASSIK: Das Konzert wurde bereits in seiner Uraufführung 1845 ein großer Erfolg, dabei war es in seiner Form außergewöhnlich: Mendelssohn hat es quasi durchkomponiert, die Sätze gehen attacca ineinander über.

Leonidas Kavakos: Diese Momente sind sehr einzigartig. Am Ende des 1. Satzes erwartet man beim Zuhören ein bombastisches Ende. Doch plötzlich, nach dem letzten großen Akkord, verstummt das Orchester – und nur das Fagott führt mit einem einzigen Ton das Orchester und den Solisten in den 2. Satz. Man kann sich vorstellen, welche Wirkung das damals auf das Publikum in den ersten Aufführungen hatte. Mendelssohn war da unglaublich erfinderisch. Er hatte so ein starkes Gespür für den Fluss von Musik, dass es sogar nach solch einem großen Akkord irgendwie weitergehen musste. Und zwischen dem 2. und 3. Satz komponierte er einen Übergang, der uns von der verträumten Welt in eine maximale Spritzigkeit begleitet, in eine sprudelnde, humorvolle Welt. Für mich zählen gerade diese beiden Passagen zu den magischsten Momenten in der Musik. 

Leonidas Kavakos zu Gast beim BRSO

Am 12. und 13. Januar 2023 tritt der Geiger Leonidas Kavakos als Solist mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Münchner Herkulessaal auf. Kavakos spielt das Violinkonzert in e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy, dirigiert von Herbert Blomstedt. BR-KLASSIK überträgt das Konzert am 13. Januar ab 20:05 Uhr live im Hörfunk.

BR-KLASSIK: Mit dem Dirigenten Herbert Blomstedt sind Sie seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden, gemeinsam haben Sie oft das Violinkonzert von Mendelssohn aufgeführt. Welche Impulse haben Sie diesmal in den Proben von ihm mitgenommen?

Leonidas Kavakos: Wenn man zur ersten Probe zusammenkommt, hört man sich erst einmal zu. Und das finde ich auf eine gewisse Art noch magischer als das Musizieren im Konzert. Denn hier kann man erfahren, wie Musik eigentlich entsteht, wie sie funktioniert. Wie kommt es zu dieser oder jener künstlerischen Entscheidung? Wie setzt man gemeinsam mit dem Orchester und dem Dirigenten Ideen um, abseits von dem ewigen Streben nach Perfektion? Das ist auch eine Frage der gemeinsamen Chemie. In den Proben lernen wir voneinander. Plötzlich höre ist etwas im Orchester, das ich vorher so nicht wahrgenommen habe und reagiere darauf. Dieses Interagieren führt am Ende zur gemeinsamen Interpretation, und das sind für mich die spannendsten und wie gesagt magischsten Momente. Wie sich unsere Interpretation in den Proben entwickelt, finde ich als Prozess mit am Faszinierendsten. Ich wünschte, das Publikum würde von all dem mehr mitbekommen, es sollte aktiv in den Proben dabei sein, gerade bei solch bekannten Werken wie dem Violinkonzert von Mendelssohn und der 4. Sinfonie von Bruckner, um zu erleben, wie wir zu unserem künstlerischen Ergebnis kommen. Aus dieser Sicht empfinde ich die Probenphase spannender als das Konzert.

Leonidas Kavakos und das BRSO: Vertrauensvolle Beziehung

BR-KLASSIK: 2019 waren Sie als Artist in Residence oft zu Gast beim BRSO. Sie haben das Orchester auch dirigiert. Konnten Sie dabei eine ganz besonders vertrauensvolle Beziehung aufbauen?

Leonidas Kavakos: Schon lange davor hatten wir eine wunderbare Beziehung. Wir haben oft gemeinsame Tourneen unternommen, insofern war die Einladung als Artist in Residence eine ganz natürliche Folge dessen, was wir über Jahre aufgebaut hatten. Das Vertrauen war bereits da, aber ich hatte in dieser Saison die Gelegenheit, öfter mit dem Orchester zusammenzuspielen. Gerade in der Kammermusik kamen wir uns noch näher, und zu der alten Vertrautheit kam diese neue Nähe hinzu. Es sind natürlich immer Glücksmomente, wenn man die Chance bekommt, so intensiv mit einem Orchester wie diesem zusammenzuarbeiten.

Die Geige verlangt eine unglaubliche Hingabe.
Leonidas Kavakos

BR-KLASSIK: Wenn Sie die Geige aus der Hand legen, was tun Sie dann?

Leonidas Kavakos: Wissen Sie, die Geige ist ein Instrument, das einen sehr vereinnahmt und eine unglaubliche Menge Hingabe verlangt. Allein schon um technisch in Form zu bleiben. Deshalb ist es leider sehr gut möglich, dass man von ihr absorbiert wird, und zwar so, dass man gar nicht mehr kreativ arbeiten kann. Ich habe in meinem Leben immer versucht, die Geige nicht als Zielpunkt wahrzunehmen, sondern als einen Ausgangspunkt, von dem aus ich auf die Welt blicke. Unsere Welt, in all ihren Facetten und Unterschiedlichkeiten. Natürlich auch auf die Musik und auf das Instrument. Zum Beispiel: Wie ist es gebaut? Warum hat es diese Form?

Viele Jahre, bevor das heutige Repertoire komponiert wurde, hat man ja die Geige entwickelt. Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts war der Höhepunkt des Geigenbaus in Cremona, rund 20 Jahre vor Mozarts Geburtstag, und heutzutage möchte jeder eine Stradivari oder eine Guarneri haben, oder möchte sie einfach nur mal hören. Und warum? Weil sie immer noch das gewisse Etwas haben, was ein modernes Instrument nicht erreichen kann. Ohne Verstärkung füllen diese alten Instrumente große Konzertsäle, können mit einem großen Symphonieorchester mithalten. Kein Zweifel: Die Geigenbauer von damals waren ihrer Zeit voraus. Denken wir an Antonio Stradivari. Er war ein Genie. Wie er Instrumente bauen konnte für Werke, die noch nicht in den Köpfen von Komponisten entstanden waren, das ist das Magische daran. Nicht die Musik, die ich spiele, ist ein Kunstwerk, sondern schon das Instrument an sich. Seine Machart ist ein Geheimnis. Ich versuche, mit diesem Blick generell die Welt wahrzunehmen.

Sendung: "Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks" live aus dem Münchner Herkulessaal, am 13. Januar 2023 ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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