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Lisa Batiashvili zum Krieg in der Ukraine Der Westen hätte Putin stoppen müssen

Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili ist eine scharfe Kritikerin der Ukraine-Politik Putins. Bereits 2015 trat sie bei einem Solidaritäts-Konzert auf dem Majdan-Platz in Kiew auf. Sie findet: Der Westen hat Putin viel zu lange gewähren lassen.

Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Frau Batiashvili, Sie sind die Georgierin, aber Sie haben 2015 am ukrainischen Unabhängigkeitstag ein Konzert auf dem Majdan gegeben, diesem wichtigen, symbolträchtigen Platz in Kiew. Sie haben Putin jüngst auch auf ihren Social-Media-Kanälen einen Kriegsverbrecher genannt. Warum engagieren Sie sich so sehr für die Ukraine als Georgierin, als Deutsche?

Lisa Batiashvili: Genau aus diesem Grund: weil ich aus Georgien komme. Weil ich, seit ich zwölf Jahre alt bin, das Glück habe, in Deutschland zu leben. Mein ganzes Leben lang hat mich diese Angst vor russischer Aggression mitverfolgt. Das liegt daran, dass mein Land Georgien schon 1991 einmal annektiert wurde. Damals wurde der schönste Teil Georgiens, Abchasien, das am Schwarzen Meer liegt, okkupiert. Und dann kam 2008 der Krieg in Südossetien. Ich kann mich gut erinnern. Ich war hochschwanger, mein Sohn ist drei Tage später auf die Welt gekommen. Ich saß vor dem Internet und habe einfach nur die ganze Nacht geweint und musste zusehen, wie mein kleines Land überrollt wurde von russischen Panzern. Das bleibt natürlich in einem drin.

Der Krieg in Süd-Ossetien: Putins Testlauf für seine Invasion der Ukraine

Lisa Batiashvili: Für die Georgier ist auch die Situation heute wahnsinnig schmerzhaft. Wir können gar nicht anders, als anderen Ländern Solidarität zu zeigen. Weil die Geschichte sich nun in der Ukraine wiederholt. Die Situation macht mich wahnsinnig traurig. Und es frustriert mich, dass die Reaktion des Westens einfach so spät kommt. Denn wenn wir schon 2008 eine adäquate Reaktion darauf gehabt hätten, als Putin damals in Georgien einmarschiert ist, dann hätte er sich vielleicht auch gar nicht getraut, heute so weit zu gehen – weil er damit auch einfach testen konnte, wie der Westen darauf reagiert.

Wenn wir schon 2008 eine adäquate Reaktion darauf gehabt hätten, als Putin in Georgien einmarschiert ist, hätte er sich nicht getraut, heute so weit zu gehen.
Lisa Batiashvili, Geigerin

BR-KLASSIK: Andere Künstler*innen sagen: „Ich bin Künstler, ich rede nur über die Musik. Ich ziehe mich in der Musik auch in einen Schutzraum zurück.“  Warum suchen Sie die Verbindung zwischen Musik und Politik?

Abchasien: Seit 2008 von Russland annektiert | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bilderbuchlandschaft Abchasien: 2008 riss sich Putin diese und weitere Regionen In Georgien gewaltsam unter den Nagel. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Lisa Batiashvili: Ich suche gar keine Verbindung. Aber ich bin ein Mensch, der sich für die Gesellschaft nicht nur interessiert – sondern: Wir sind alle mitverantwortlich für das, was passiert. Ich denke gar nicht, dass wir mit Musik oder mit Kunst überhaupt irgendetwas Großes verändern können. Aber jeder Mensch kann etwas dazu beitragen, das das Böse und das Aggressive keinen Rückhalt und zumindest keine Unterstützung bekommt. Ich habe immer daran geglaubt, dass sowohl Georgien als auch die Ukraine und die baltischen Länder und die Ex-Republik der Sowjetunion es schaffen können, weiterzukommen und sich unabhängig zu machen, die Demokratie in ihr Land zu bringen und die Souveränität und all das. Das, wofür eben die Ukraine in den letzten Jahren so stark gekämpft hat und auf einem sehr guten Weg dahin war. Genau das war ja das Problem von Russland. Dass es einfach nicht zusehen kann, wie die Menschen in den Nachbarländern freier werden und die Abhängigkeit von Russland verlieren. Das genau ist seine [Putins, Anm. d. Red.] Antwort darauf. Und er hat vor nichts Angst, weil er ganz sicher schon all seine Schritte seit Monaten durchdacht hat, alle Optionen durchdacht hat – und jetzt einfach seinen Weg geht. Wie wir auch nun seit 48 Stunden sehen: Das Allerschlimmste ist eigentlich schon passiert.

BR-KLASSIK: Sie haben das Stück "Requiem for Ukraine" von einem georgischen Komponisten einmal auch in Anwesenheit von Valery Gergiev gespielt. Valery Gergiev ist ja ein Künstler, der Putin sehr unterstützt. Er ist in München auch Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Es gibt einen großen Streit: Darf er überhaupt weiter die Münchner Philharmoniker dirigieren, ohne dass er sich von Putin distanziert? Wie hat Gergiev damals reagiert? Könnten Sie sich heute überhaupt noch vorstellen, mit ihm aufzutreten?

Lisa Batiashvili: Nein, ich habe schon damals nach diesem Konzert entschieden, nicht mehr mit ihm aufzutreten. Für mich liegt diese Geschichte schon so weit zurück – man hätte eigentlich längst reagieren müssen. Jetzt eskaliert das Ganze natürlich. Jetzt überdenken die Menschen noch mal ihre Beziehung zu jemandem, der einem solchen Monster sehr nahe steht. Aber für mich war das damals, 2014, das einzige Mal, dass ich mit ihm auf der Bühne stand – meine Antwort auf alles: durch die Musik. Das war auch ein ganz besonderer Moment für mich: dass diese Musik doch ihre Kraft hat.

Man ist enge Verbindungen mit großen russischen Konzernen eingegangen, hat sich sponsern lassen – und hat keine Haltung gezeigt.
Lisa Batiashvili, Geigerin

Lisa Batiashvili: Trotzdem fühle ich mich in der Musikwelt ziemlich alleine. Denn viele meiner Kollegen, die ich sehr liebe und schätze, sind zwar auch damit einverstanden – wir wissen alle, was richtig und falsch ist. Aber wir sind nicht konsequent genug. Seit diese Aggressionen Putins angefangen haben, 2008, 2014, haben die Menschen generell viel zu wenig Reaktion gezeigt. Man hat einfach weitergemacht wie bisher. Man ist auch enge Verbindungen mit großen russischen Konzernen eingegangen, hat sich sponsern lassen – und hat keine Haltung gezeigt.

BR-KLASSIK: Sie wünschen sich klare Aussagen von anderen Musikerinnen und Musikern?

Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili | Bildquelle: picture-alliance/dpa Sie liebt die russische Kultur – und verachtet die Politik Putins: Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili | Bildquelle: picture-alliance/dpa Lisa Batiashvili: Jeder muss selber wissen, wofür er steht. Heute sind wir uns natürlich alle ziemlich einig, wo wir stehen. Aber das Problem ist: Diese Sache kam schon vor einigen Jahren auf den Weg. Ich hab natürlich ziemlich oft darüber gesprochen. Ich habe schon damals, nach 2008, entschieden, nicht mehr in Russland Konzerte zu geben. Nicht, weil ich nicht vor dem russischen Publikum spielen möchte. Ich finde auch, dass deren Kultur eine ganz starke Sprache ist. Das sollte nicht leiden aus politischen Gründen. Aber leider ist es nun mal so, dass in Russland die meisten Konzertsäle, Konzertveranstaltungen, Festivals gesponsert werden von den Vertrauten von Wladimir Putin oder Menschen, die mit ihm ganz eng zusammenarbeiten. Und ich möchte nicht diejenige sein, die von diesen Leuten bezahlt wird. Und ich möchte nicht beide Auge zudrücken – eben weil ich meine ganz persönliche Erfahrung habe, durch mein Land, durch meine Geschichte. Ich kann mich sehr gut erinnern: Ich war zehn Jahre alt, ich war noch in Georgien. Damals hat die ganze Unabhängigkeits-Bewegung angefangen in den Ländern der Sowjetunion. Und wie die jungen Georgier damals gekämpft haben: Das war kein Kampf gegen Russland, sondern es war ein Kampf für die Demokratie, für die Freiheit, für die Offenheit der Welt gegenüber, gegen den Kommunismus. Und diesen Kampf haben wir irgendwie geschafft. Aber es ist natürlich immer noch sehr schwierig für diese Länder …

BR-KLASSIK: … und es besteht ja die konkrete Gefahr, dass Putin weitere Länder angreift …

Lisa Batiashvili: Auf jeden Fall besteht diese Gefahr. Er hat immer wieder Zeichen dafür gesetzt. In Georgien sind immer noch 25 Prozent des Landes okkupiert!

BR-KLASSIK: Wie fühlen sich die Menschen dort?

Lisa Batiashvili: Sehr zerrissen. Ich würde sagen: Heutzutage haben wir zwar in der Bevölkerung 100 Prozent Unterstützung für die Ukraine. Doch mit der Regierung ist es sehr schwierig. Seit 2012 haben wir teilweise wieder eine pro-russische Regierung. Wir hatten 2008 das Glück, dass der damalige Präsident Saakaschwili verhindert hat, dass Russland das ganze Land okkupiert, indem er es nach drei Tagen geschafft hat, die Staatsoberhäupter der Ukraine, von Polen, Frankreich und Amerika nach Georgien zu bringen. Die standen alle auf der Hauptstraße und appellierten an Russland, mit dem Krieg aufzuhören. Das war ein sehr starkes Zeichen damals. Aber heute sind wir in einer anderen Welt. Und auch damals hat der Westen diese Geschichte in Georgien gar nicht richtig wahrgenommen.

BR-KLASSIK: Sie sind der russischen Kultur natürlich eng verbunden. Sie haben wunderbar Schostakowitsch eingespielt, auch Tschaikowsky und andere russische Komponisten. Wird sich daran je etwas ändern für sie?

Lisa Batiashvili: Nein. Ich glaube ganz fest daran, dass uns in solchen Situationen nur die menschliche Kraft retten kann. Diese Kraft, dieses Zusammenhalten heißt nicht, dass wir im Westen alle gegen Russland sind. Sondern wir müssen die Menschen in Russland zusammenbringen, um gegen diese Tyrannei gemeinsam zu kämpfen. Am Ende wird es natürlich ein gemeinsamer Kampf sein, so wie es auch im letzten Jahrhundert war – dass wir einfach alle ganz fest daran glauben und dafür kämpfen, dass diese Art von Politik ein Ende hat.

Sendung: "Leporello" am 25. Februar 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Mittwoch, 02.März, 15:48 Uhr

Beate Schwärzler

Meine Hochachtung, Lisa Batiashvili !

Seit Tagen grüble ich: Was sagen zu diesem Interview, das gleichzeitig Nachhilfeunterricht gibt in der jüngeren Geschichte der Länder der ehemaligen Sowjetunion.
............
Jetzt hab' ichs:
"Schaut Euch das wunderschöne Gesicht von Frau Batiashvili an : So wach, so klar, so offen,
- und ganz ohne Arg."

Und dann ... schaut Putin ins Gesicht. Falls er gerade herschaut.

Montag, 28.Februar, 00:05 Uhr

Mette L.

Batiashvilli - Danke!

Danke für Ihre klaren und beeindruckenden Worte! Solche Worte brauchen wir genau von den "Eliten", wo sich ja manche Künstler lieber hinter "ich bin kein politischer Mensch, ich mach ja nur Musik" verstecken und sich dann doch solchen Kriegsverbrechern an den Hals werfen (Netrebko, Gergiev...). Man macht Musik und verspürt einen Zauber, Liebe, tiefste Empfindung. Ich kann doch dann nicht von der Bühne gehen und mit Kriegstreibern, die nur Hass und Gewalt über Völker bringen, Handshakes auf Hochglanzfotos ablichten? Ihre Haltung, Frau Batiashvilli, ihre mutige und vielleicht unbequeme Haltung, zeugt davon, dass Sie die Musik der Liebe in sich tragen und sogar dafür kämpfen! Und: Ja, das russische Volk, die russische Kultur ist in keinster Weise ein Feind! "Alle Menschen werden Brüder, wo Dein sanfter Flügel weilt!" Sanfter Flügel, sanft, Herr Putin! Brüderlichkeit, nicht mal mit Brudervölkern, Herr Putin? Wenn wir solche Werte in der Musik nicht hochhalten, wo denn dann? Danke L.B.!

Samstag, 26.Februar, 15:56 Uhr

Peters, Ulf Hans

Lisa Batiashvili zum Krieg in der Ukraine

Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili vertritt eine Haltung, die von Realitätssinn und dennoch humanistischem Harmoniebestreben trotz aller Dissonanzen geprägt ist. Sie kommt aus einem großartigen Land, welches ich erstmals im Oktober 2019 besuchen konnte.
Bleibt zu hoffen, dass in Westeuropa immer mehr Menschen auf die freiheitsliebenden und klugen Stimmen des Ostens zu hören bereit sein werden.
Putin und seiner demokratiefeindlichen Cluiqe ist es lange genug gelungen, ihre Lügen zu verschleiern und hinterhältig zu agieren. Die Ukraine hätte durch unser entschlossenes Handeln in Richtung Bereitschaft zur "Aufnahme in die EU" nicht in diese Situation geraten müssen. " 's ist leider Krieg .... und ich begehre nicht Schuld daran zu sein" M.Claudius.

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