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Hans Zender im Interview "Musik und Sprache sind nicht zu trennen"

Am 7. Oktober startete bei der musica viva die Saison 2016/17 mit einem Orchesterkonzert zu Ehren Hans Zenders. Chor und Symphonieorchester des BR spielten unter Leitung von Emilio Pomàrico. Der bedeutende Komponist, Dirigent und Musikphilosoph feierte am 22. November seinen 80. Geburtstag.Im Interview beschäftigt sich Zender mit der Frage, wie das Verstehen von Musik überhaupt funktioniert.

Bildquelle: © Astrid Ackermann

BR-KLASSIK: Hans Zender, in Ihren Werken vertonen Sie viel Text. Wie ist Ihr Text-Musik Verhältnis beim Komponieren?

Hans Zender: Das ist eigentlich der Punkt, der mich beim Komponieren am meisten interessiert. Und je älter ich werde, umso mehr rückt dieser Aspekt in der Vordergrund. Für mich sind Musik und Sprache letzten Endes nicht zu trennen, weil ich die Sprache auffasse als ein klingendes Etwas. Als eine gesprochene und klingende Sprache, und nicht zu sehr als eine begriffliche Sprache.

Ich sehe die Sprache als poetische Ebene, die nicht nur begrifflich zu fassen ist.
Hans Zender


Unsere Auffassung von Sprache ist in unserer modernen Kultur sehr stark begrifflich geworden. Schon Rousseau hat davon gesprochen, dass die Sprache mathematisiert worden ist, in ihrer Entwicklung durch die Jahrhunderte. Und was er damals gesagt hat, gilt noch viel mehr für das 20. und 21. Jahrhundert. Ich sehe deswegen die Sprache ganz bewusst als Musiker, als eine primär sinnliche, klingende, für die Ohren bestimmte Mitteilungsebene. Und eine poetische Ebene, die nicht nur begrifflich zu fassen ist. Und da näher ich mich als Musiker dem Wort und sage: Die Musik ist selber der Beginn des Wortes.

Genese des Wortes aus dem Klang

Am Ende meiner "Logos-Fragmente", die heute Abend zum Teil erklingen, lautet ja der Ausruf des Chores "Sie fingen an zu reden." Nachdem die Logos-Fragmente sich einen ganzen Abend lang gebildet haben, aus dem Klang immer wieder Worte aufgetaucht sind und die klingenden Konstruktionen von Gedanken zu immer mehr Wortkonstruktionen geworden sind, explodiert im letzten Takt des Stückes dieser genetische Prozess des Wortes zu einem Punkt an dem man sagen kann: Jetzt habe ich ein Wort. Also eine Genese des Wortes aus dem Klang, aus dem Ton.
Das ist meine Grundidee, die mich eigentlich sowohl für mein Opernschaffen, wie auch für mein Konzertschaffen immer wieder inspiriert hat.

Es interessiert mich, den Unterschied von Wort und Ton besser zu verstehen.
Hans Zender

Wie funktioniert das Verstehen?

BR-KLASSIK: Sie sind auch ein scharfsinniger Musikschriftsteller, der Dinge mit Worten beschreibt. Und zudem waren Sie ein Dirigent, der sich mit Klängen umgibt. Inwiefern beeinflussen diese beiden Tätigkeiten das Komponieren?

Komponist Hans Zender | Bildquelle: © imago / Kai Bienert Hans Zender | Bildquelle: © imago / Kai Bienert Hans Zender: Überhaupt nicht. Im Laufe meines Lebens habe ich als reiner Praktiker angefangen. Ich habe nur Klavier gespielt und dirigiert, und ich hatte überhaupt keine Freude an theoretischen oder philosophischen Erörterungen über die Musik, als ich zwanzig, dreißig, vierzig Jahre alt war. Erst dann mit fünfzig habe ich allmählich angefangen zu schriftstellern, weil mich philosophisch das Problem interessierte, den Unterschied von Wort und Ton besser zu verstehen. Also wie kommt es, dass Musik als sinnvoll empfunden wird? Wenn wir eine Mozartsymphonie hören, empfinden wir diese im höchsten Grade als sinnvoll. Wenn ich aber versuche, das in Worten zu beschreiben, ist das unmöglich. Trotzdem gibt es offenbar eine Fähigkeit von uns Menschen, Sinn zu erfassen außerhalb des Begriffes. Das ist etwas, was mich als Musikschriftsteller immer wieder interessiert und mich in die komplizierteste Philosophie geführt hat.
Ich möchte beschreiben können, warum ich bestimmte Dinge in der Musik als sinnvoll verstehen kann. Und was das für eine Art von Verstehen ist. Nämlich ein unbegriffliches Verstehen der reinen Wahrnehmung. Schon der Vorgang der sinnlichen Wahrnehmung von Auge und Ohr scheint also bei uns Menschen etwas Rationales zu sein. Beziehungsweise etwas, was nicht nur auf das unklare Wort "Gefühl" zu reduzieren ist.

Gefühl und Verstand im Gleichklang

BR-KLASSIK: Ist eine solche Wahrnehmung in unserer schnelllebigen, oberflächlichen Zeit noch möglich?

Hans Zender: Natürlich. Das praktizieren wir jeden Tag. Das Baby, wenn es sprechen lernt, hat zunächst affektive Erlebnisse gehabt. Und dann lernt es langsam, mit bestimmten Dingen Sprachzeichen zu verbinden. Das Baby wird ja nicht mit Begriffen geboren, wohl aber mit Wahrnehmungen. Es nimmt sehr schnell seine Umgebung wahr, aber nicht begrifflich sondern affektiv. Und nichts anderes ist zunächst das Verstehen von Kunst. Und dann wird es allmählich durch einen weiteren Entwicklungsprozess rational und wir glauben es verstehen zu können, durch die Gesetzmäßigkeiten, die wir dann in der Abfolge unserer Wahrnehmung entdecken. Aber auch das ist dann nicht ganz richtig, sondern man muss das immer als einen zusammengesetzten Prozess verstehen lernen, der Gefühl und Verstand genau in gleichen Rechten ausstattet und immer wieder in Beziehung zueinander bringt.

Die Fragen stellte Michaela Fridrich für BR-KLASSIK.

Infos zum Konzert

musica viva - Hans Zender zu Ehren
Freitag, 7. Oktober 2016, 20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz

Hans Zender:
"Kalligraphie IV"
"Issei no kyō" für Sopran und Orchester
aus "Logos-Fragmente" für 32 Sänger und drei Orchestergruppen

Donatienne Michel-Dansac (Sopran)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Dirigent: Emilio Pomàrico

Übertragung auf BR-KLASSIK am 22. November, ab 20.03 Uhr

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