Wer komponiert für "Tatort" und Co? In den allermeisten Fällen keine Frau. In der Filmmusikbranche steht es schlecht um die Geschlechtergerechtigkeit. Deshalb ist die Komponistin Octavia Gloggengiesser für die AG "Gender, Equality and Diversity" aktiv geworden. Im Interview erklärt sie die Missstände in der deutschen Branche.
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BR-KLASSIK: Frau Gloggengiesser ich würde gern mit einer Zahl anfangen: In nur vier Prozent der Kinofilme wird die Musik von Frauen komponiert, also in sechs Filme von 142, die untersucht worden sind. Spiegelt das auch das Verhältnis auch in Deutschland wieder?
Octavia Gloggengiesser: Für Deutschland gibt es keine Zahlen. Und deswegen sind wir als Verband oder als AG "Gender, Equality and diversity" aktiv geworden und haben angefangen, selber Sendereihen auszuzählen. Diese Studie, die sie gerade zitiert haben, ist vom European Audiovisual Observatory im Dezember 2021 erschienen und zeigt, dass Frauen in der Komposition mit nur fünf Prozent vertreten sind. Diese fünf Prozent spiegeln sich allerdings auch in unserer internen Auszählung wieder, die wir im Verband erhoben haben.
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BR-KLASSIK: Das heißt, es wird in Deutschland so ähnlich sein wie europaweit?
Octavia Gloggengiesser. | Bildquelle: Octavia Gloggengiesser Octavia Gloggengiesser: Es wird ähnlich sein. Man sieht das zum Beispiel am "Tatort". Wir haben zehn Jahre "Tatort" ausgezählt, von den Jahren 2009 bis 2019. In den 394 Produktionen, die es gegeben hat, sind 4,8 Prozent Komponistinnen gezählt worden. Und noch erschreckender ist, dass diese 4,8 Prozent nur acht Frauen betrafen. Also im Schnitt durften die acht Frauen dann zweimal komponieren. Es gibt allerdings auch zwei Jahre, wo gar keine Frau am Start war. Also, so erschreckend sind diese Zahlen.
Das Missverhältnis fängt beim Zugang an: Wie kommt man in den Filmmusikbetrieb und in die Filmbranche rein, wenn man nicht schon drin ist?
BR-KLASSIK: Wo fängt das Missverhältnis an?
Octavia Gloggengiesser: Das Missverhältnis fängt beim Zugang an: Wie kommt man in den Filmmusikbetrieb und in die Filmbranche rein, wenn man nicht schon drin ist? Die Studiengänge sind ja noch sehr jung. Die gibt es gerade mal zehn Jahre oder 14 Jahre, und Filmkomposition ist kein geschützter Beruf. Viele Männer arbeiten, ohne dass sie einen Studienhintergrund haben. Die haben vielleicht ein Musikstudium, aber Filmmusik ist kein verpflichtendes Studienfach, um den Beruf auszuüben. Es fehlen hier Förderstrukturen wie Mentoring-Programme oder Netzwerke.
BR-KLASSIK: Wie unterschiedlich Frauen und Männer in ihrem Berufsfeld behandelt werden, lässt sich leicht an seiner Bezahlung ablesen. Gestern war Equal Pay Day. An diesem Tag wird untersucht, ob es die geschlechtsspezifische Lohnlücke noch gibt. Und ja, natürlich, es gibt sie nach wie vor. Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Das hat das Statistische Bundesamt für das Jahr 2022 berechnet. Wissen Sie, wie das in Ihrer Branche aussieht?
Octavia Gloggengiesser: In der Komposition ist der Gender Pay Gap in der Untersuchung des Deutschen Kulturrats die Jahre 2013 bis 2019 von 38 Prozent auf 45 Prozent angestiegen. Komponisten verdienten 2019 im Durchschnitt 22.356 Euro und Komponistinnen im gleichen Jahr 12.335 Euro. Das ist die Realität.
BR-KLASSIK: Und die wird auch nicht besser, oder?
Octavia Gloggengiesser: Die wird nicht besser. Und es gibt auch noch einen ganz eklatanten Gender Pay Gap bei den jüngeren Jahrgängen, also bei den unter 30-Jährigen. Da ist der Gender Pay Gap eklatant angestiegen. Also da ist bisher leider gar kein Rücklauf zu erkennen.
Die öffentlich geförderten Produktionen müssen auch zu gleichen Teilen an alle Geschlechter verteilt werden.
BR-KLASSIK: Auf ihrer Website steht "im gemeinsamen Denken und Handeln liegt die Kraft". Das heißt, es kann nicht die alleinige Aufgabe der Frauen seien, eine Änderung herbeizuführen. Tut sich da was in puncto gemeinsam? Wo stehen wir da?
Octavia Gloggengiesser: Wir müssen das auf jeden Fall gemeinsam angehen und gemeinsam ein Monitoring auf den Weg bringen, damit wir regelmäßig Zahlen gewinnen können. Nur so kann man diese Missstände ganz deutlich vor Augen haben. Denn die öffentlich geförderten Produktionen müssen auch zu gleichen Teilen an alle Geschlechter verteilt werden.
Sendung: "Allegro" am 8. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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