Wo ist die Musik afrikanischer Komponistinnen und Komponisten? Wer kennt Klavierlieder aus China? Warum fällt uns niemand ein, wenn wir nach Werken aus der Black Community gefragt werden? Das Ensemble Recherche aus Freiburg hat sich intensiv mit dem Thema Postkolonialismus und mangelnder Diversität in der Musik befasst und Komponist*innen aus anderen Kulturkreisen mit Werken beauftragt.
Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Leila Navidi
Es gibt Musik, die fast nie im Radio oder im Konzertsaal erklingt. Wieso? Weil sie aus jenem Teil der Welt stammt, der in Europa ignoriert wird. Wie zum Beispiel die von Bongani Ndodana-Breen aus Südafrika: "Es ist wichtig, dass wir endlich realisieren, dass die zeitgenössische, klassische Musik in hohem Grade eurozentristisch ist", erklärt der Komponist. Er ist auch Professor für Musikwissenschaft an den Universitäten von Yale und Harvard und beschäftigt sich mit den Folgen des Kolonialismus in der Musik. Dafür hat er das Projekt "A postcolonial recherche" des Goethe-Instituts Boston gemeinsam mit dem renommierten Ensemble Recherche aus Freiburg kuratiert. Mit Symposien, Online-Diskussionen und mit Aufträgen an 16 Komponist*innen aus Schwellen- und Transformationsländern. In den Konzerten mit den beauftragten Werken wird auch eines seiner Stücke aufgeführt.
Beim Schlagwerk wird sich gerne bei den Instrumenten anderer Kulturen bedient. | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR "Spotted Subsahara" heißt der Abend. Auf der Bühne steht dann auch Christian Dierstein, der seit mehr als 30 Jahren beim Ensemble Recherche Schlagwerk spielt. Er findet, dass das Thema Kolonialismus schon beim Instrumentarium losgeht: "Für Schlagzeuger ist das ein sehr altes Thema, weil das Einverleiben von fremden Instrumenten natürlich gerade im Schlagzeug extrem ist", erklärt er. Dierstein meint Instrumente wie die Große Trommel, Becken oder Triangel. Alle kommen uns selbstverständlich aus dem Symphonieorchester vertraut vor. Aber es sind keine zentraleuropäischen Instrumente. "Die Komponisten gingen wie in einen Supermarkt und haben einfach da und dort ein Instrument abgegriffen und nicht wirklich respektiert, dass diese Instrumente eine bestimmte Herkunft haben, und häufig auch einen bestimmten rituellen religiösen Hintergrund", führt er aus.
Kolonialismus bedeutet also einerseits, dass die Musik aus den sogenannten Schwellen- und Transformationsländern nicht gespielt wird. Dazu kommt andererseits, dass Musik dort unter vollkommen anderen Voraussetzungen entsteht und weitergegeben wird. In vielen afrikanischen Ländern gibt es obendrein keine Aufführungsmöglichkeiten. Und in Europa? Da bleibt man unter sich, Stichwort Eurozentrismus. Verlage interessieren sich kaum für außereuropäische Musik. Und so kommt es, dass sich die Musikszene im Kreis dreht und das tausendfach Gespielte, Gehörte und Gedruckte weiterhin spielt, druckt, hört.
Die Musikwissenschaftlerin Natasha Loges. | Bildquelle: Hochschule für Musik Freiburg Aber es tut sich was – auch an den europäischen Unis. Die Musikhochschule Freiburg hat Natasha Loges als Professorin für Musikwissenschaft berufen. Sie hat eine dreifache kulturelle Identität – als Kind indischer Eltern ist sie erst in Kuwait, dann im indischen Bergland aufgewachsen und hat schließlich in London studiert. Sie war Professorin an der Royal Academy of Music, bevor sie 2022 nach Freiburg ging. Ihre Forschungsschwerpunkte: Johannes Brahms und "Das globale Lied": Und da kann man nur staunen. Denn Klavier mit Gesang – das gibt es bei den Uiguren in China und in Indonesien, in Südamerika und Afrika. Aber es grenzt an archäologische Arbeit, diese Stücke aufzustöbern.
Das weiß Natasha Loges aus eigener Erfahrung: "Man findet die Partituren nicht. Sie sind ja noch nicht veröffentlicht. Man findet keine Aufnahmen, weil wenige Leute diese Musik aufgenommen haben. Wenn ich meine Brahms-Vorlesungen mache, das liegt alles hinter mir auf meinem Bücherregal. Das ist mühelos." Die Schlussfolgerung daraus: Die Musikwelt ist nicht divers, weil wir die Anstrengung scheuen. Und: "Es ist eine Art Angst vor dem Unbekannten. Angst vor Veränderung. Die klassische Musik ist wie eine Art Religion. Leute fühlen sich angegriffen, wenn man sagt: Wir wollen eine andere Musik haben", sagt Natasha Loges. Dabei könnte es so bereichernd sein. Hören – ohne Vorurteile, mit kindlicher Neugierde.
Bongani Ndodana-Breen. | Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Leila Navidi Die Frage, ob wir unser Musikleben verändern sollten, ist keine Frage mehr. Es ist ein Auftrag an die zivilisierte Gesellschaft im 21. Jahrhundert, findet Komponist Bongani Ndodana-Breen aus Südafrika: "Inklusion und Diversifizierung sollten nicht nur geschehen, sie müssen passieren." Er glaubt, dass die Menschen das auch wollen. Denn Diversität wird in Filmen oder im Theater ja schon mehr und mehr sichtbar. "Die zeitgenössische Musik kann nicht so tun, als sei sie immun dagegen", sagt Ndodana-Breen. "Es ist eine unvermeidbare Entwicklung, dass wir durch eine globale Kultur zusammenwachsen – in dieser Form kreativen Ausdrucks."
Stücke von fünf afrikanischen Komponistinnen und Komponisten gibt es bei "Spotted Subsahara" mit dem Ensemble Recherche am Dienstag, 8. März, 20 Uhr, im Jazzhaus Freiburg.
Sendung: "Allegro" am 7. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Sonntag, 12.März, 12:54 Uhr
Beatriz
Divers
Wenn "Diversität" aufgezwungen wird, entsteht "Überfremdung"!
Und das geht meistens nicht gut ... wie allerorts festzustellen ist.
Warum also die Kulturen nicht in ihren Kulturkreisen blühen lassen?!!
Die "globale Welt" muss/sollte zu ihrer Rettung auf CO2-Reisen und übermäßigen Digitalkonsum (CO2-produzierende Monster-Server) in Zukunft sowieso verzichten!!!
Das Musikleben der "zivilisierten Gesellschaft" verändert sich sowieso schon extrem zur "leichten Sprache/Musik" in den globalen Rückschritt der Menschheit!!!
Freitag, 10.März, 14:32 Uhr
Barnim von Danzig
Untam
Kommt diese Ideologie nun auch hier an. Unwissenschaft soll schlechtes Gewissen bewegen....
Freitag, 10.März, 07:26 Uhr
Martin Brunnemann
Artikel
Nichts als Geschwurbel, der von unseren Beiträgen finanziert wird
Mittwoch, 08.März, 09:49 Uhr
St. Petersburg
Wo ist der afrikanische Bach?
Wenn es genügend nicht europäische klassische Musik gibt, die die Konzertsäle dieser Welt füllt und auch ein Erfolgt ist, dann bitte gerne.
In Luzern wurde versucht, nicht europäische Musik in Konzerte einzubringen. Krachend gescheitert. Warum wohl? Es interessiert das klassisch ausgebildete Publik nicht. Und basta.
Dienstag, 07.März, 18:21 Uhr
Wanda
Gegen Eurozentrismus in der Musik
Wenn's da nix Adäquates gibt, gibt's da nix... Deren Musik dominiert eben in einem ganz anderen Genre der Musik und zwar auf hohem Niveau, wo die Europäer kaum mithalten können. Gut so !