Intendant und Regisseur Josef E. Köpplinger inszeniert am Münchner Gärtnerplatztheater die Geschichte der drei Matrosen auf Landgang in New York. 1944 begeisterten Leonard Bernstein und Jerome Robbins mit ihrem ersten Musical das Publikum, doch inzwischen hat sich Patina auf das Werk gelegt. So richtig rasant wirkt es heute nicht mehr.
Bildquelle: @Marie-Laure Briane
Ein Dinosaurier bekommt einen Schwächeanfall, ein Richter bekommt Schnupfen, eine Taxifahrerin die Kündigung, eine Bauchtänzerin Gesangsunterricht, drei Matrosen Ausgang und eine U-Bahnfahrerin immerhin eine Krone im Schönheitswettbewerb: Reichlich was los also in diesen 24 Stunden New York, und doch vergleichsweise wenig, denn es ist das New York von 1944, das Leonard Bernstein hier vertont hat. Lange her, und das ist leider nicht zu überhören. "On the Town" war schon bei der Uraufführung nur ein solider, aber kein spektakulärer Erfolg. Die Musik wirkte Kritikern zu anspruchsvoll, das Musical als solches war damals gerade erst erfunden, wusste noch nicht so recht, wo sein Platz zwischen Operette und Ballett war. Es fehlte noch ganz entschieden an Tempo und Timing, auch an Drama und Witz.
Deshalb erscheint vieles unfertig und unausgegoren an diesem frühen Bernstein, umso mehr, als sich Regisseur Josef Köpplinger in dieser Koproduktion des Theaters St. Gallen mit dem Münchner Gärtnerplatztheater für eine recht traditionelle Deutung entschieden hat. Auch Ausstatter Rainer Sinell und Kostümbildner Alfred Mayerhofer blieben optisch in den vierziger Jahren, was die Patina, die auf "On the Town" liegt, noch verstärkte. Mancher Zuschauer beklagte Längen, obwohl das Stück nur gut zweieinhalb Stunden in Anspruch nimmt.
Szene aus "On the Town" am Münchner Gärtnerplatztheater | Bildquelle: @Marie-Laure Briane Dass sich das wie vier Stunden anfühlte, liegt an der Entstehungsgeschichte des Stücks, weniger an der Inszenierung, die durchaus amüsante Treffer zu setzen wusste. Ausgangspunkt war nämlich ein Ballettstück von Jerome Robbins, das auf abendfüllende Länge gestreckt wurde, der Tanz steht also im Vordergrund. So sehr, das er für heutige Zuschauer die Handlung unterbricht, ja stark bremst. Darüberhinaus gefiel sich Leonard Bernstein gegen Ende seiner Partitur immer mehr als sinfonischer Komponist, schrieb ausufernde, lyrische Zwischenspiele, so dass "On the Town" musikalisch fast schon mit einem Auto vergleichbar ist, das wegen Spritmangel immer langsamer wird.
Gleichwohl: Es wurde immer wieder herzlich gelacht im Gärtnerplatztheater, der Beifall war sehr freundlich, die Mitwirkenden hatten sichtlich und hörbar Spaß an dieser gemächlichen New York-Sause. Mit viel Elan stürzen sich die drei Matrosen Gabey, Chip und Ozzie in ihre Abenteuer, und natürlich werden sie alle drei glücklich, wenn auch nur für 24 Stunden. Dass Krieg herrscht, wird nur sehr betulich illustriert - mit ein paar Videoeinspielungen von Schlachtschiffen und Bombern. Gegen Ende sollen Rotlicht und Dampfschwaden wohl Albträume oder Traumatisierungen der Soldaten andeuten - optisch viel zu harmlos, um verstörend oder aufwühlend zu sein.
Szene aus "On the Town" am Münchner Gärtnerplatztheater | Bildquelle: @Marie-Laure Briane So bleibt es insgesamt bei einer recht vorhersehbaren und harmlosen Matrosen-Revue, die Dirigent Michael Brandstätter allerdings mit Schwung und Lust an breiten Bläsersätzen begleitete. Die einzelnen Nummern waren durchaus rasant anzuhören, wenn auch meist ohne eingängige Melodie - das Problem war mehr die Einförmigkeit, selbst bei der hektischen Tour durch die New Yorker Nachtclubs. Verwegen oder lasziv klang da nichts. Unter den Mitwirkenden ragte Sigrid Hauser als liebeshungrige Taxifahrerin heraus, auch ihr Partner Boris Pfeifer als Chip war ein vorbildlicher Matrose mit seiner Mischung aus Unbeholfenheit und gutem Herz. Daniel Prohaska als Gabey und Julia Klotz als Ivy Smith mussten das verträumte, opernhafte Hauptdarsteller-Paar geben, doch die angemessene Poesie wollte sich bei ihnen nicht einstellen, dafür fand die Inszenierung für sie trotz großen äußeren Aufwands nicht ausreichend starke und kontrastreiche Bilder. Ein schwieriger Fall also, dieser frühe Bernstein, den ein mutigerer Choreograph vielleicht hätte aufpeppen können. Doch Adam Cooper kam über die Körpersprache der vierziger Jahre nicht wesentlich hinaus: Er ließ das Ensemble fast schon behutsam tanzen, jedenfalls nicht ausgelassen oder gar frech. Passte zu 1944, war aber auch entsprechend museal. Trotzdem: Für Musical-Fans eine Entdeckung, für Bernstein-Bewunderer eine Empfehlung. Und davon gibt's ja viele.
Leonard Bernstein: "On the Town", Musical (1944)
Staatstheater am Gärtnerplatz
Premiere: 26. April 2019
Inszenierung: Josef E. Köpplinger
Musikalische Leitung: Michael Brandstätter
Infos zu Terminen und Besetzung finden Sie auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters.
Sendung: "Piazza" am 27. April 2019 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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