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Zum 95. von Paul Kuhn Der Mann am Klavier

Er war einer der berühmtesten mattscheibentauglichen Unterhalter im westlichen Nachkriegsdeutschland. Und er war ein hervorragender Jazzpianist: Paul Kuhn. Am 12. März 2023 wäre er 95 geworden. Eine persönliche Hommage von unserem Jazz-Redakteur Roland Spiegel.

Paul Kuhn | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Es war im März 2008 in einem kleinen Hotel im Münchner Gärtnerplatzviertel. Interview-Termin mit jenem Musiker, der am Abend im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz mit seiner Big-Band "The Best" und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg auf dem Programm stand: der Pianist und Bandleader Paul Kuhn, damals gerade 80 geworden – und zwar am Abend vor dem Konzert.

Ein Interview-Partner ohne PR-Phrasen

Er kommt selbst an die Tür: ein freundlich lächelnder Mann mit Knautsch-Mimik, markanten Augenringen und einladender Geste. Wohnzimmer-Atmosphäre – und darin ein Gespräch in verblüffender Offenheit. Immerhin saß da in einem der Sessel ein Showstar, der Jahrzehnte des deutschsprachigen Unterhaltungs-Gewerbes mitgeprägt hatte, eine Welt des allzu schönen Scheins. Doch hier: Ein Musiker, der Auskunft gibt – ohne gestanzte PR-Phrasen und mit ziemlich viel Selbst-Ironie. Dabei hält er ein dezent nur ganz leicht gefülltes Glas Rotwein in der Hand. Nächster Klischeebruch! War das nicht jener Schlagersänger, der besonders viel von Bier sang? Ja. Aber das Bier war die Humbta-Täterä-Seite eines sehr vielseitigen Musikers.

Deutscher Jazz-Pianist Nr. 1

Hugo Strasser, Max Greger und Paul Kuhn | Bildquelle: picture-alliance/dpa Hugo Strasser, Max Greger und Paul Kuhn | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ich hatte den am 12. März 1928 in Wiesbaden geborenen Pianisten und Sänger, der später von West-Berlin aus Karriere machte, in unzähligen Fernsehsendungen der 1970er Jahre gesehen, hatte ihn in den Achtzigern als Tournee-Begleiter des Wiener Schmäh-Meisters und Musik-Entertainers Peter Alexander bewundert. Ich kannte ihn als Partner der Münchner Musiker Hugo Strasser (Klarinette) und Max Greger (Saxophon), mit denen er seit 2000 unter dem Motto "Swing-Legenden" auf Tournee ging. Und ich kannte ihn als Jazzpianisten, der in den 1950er Jahren zu den herausragenden modernen Jazzmusikern im westlichen Deutschland gehörte – 1953 wurde er beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt am Main als deutscher "Jazzpianist Nr. 1" gefeiert. Diese Liebe hatte Paul Kuhn lange Zeit hintangestellt. In einem Interview mit dem Magazin "Der Spiegel" sagte er 2011: "Genau genommen habe ich mir den Traum vom Jazz erst in den letzten Jahren erfüllt!"

Radio-Tipp

BR-KLASSIK erinnert an den Musiker Paul Kuhn: am Samstag 11. März 2023, um 18:05 Uhr in der Sendung "Jazz und mehr".

ÜBER MÜNCHEN NACH BERLIN

Im BR-Interview 2008 erzählte er selbst über seine Anfänge im deutschen Schlagergeschäft in den 1950er Jahren: "Die Wirtschaft hat sich langsam erholt. Da ging es wieder los nach dem Krieg. Dann machten die ersten Night-Clubs wieder auf. Und ich war dann in Berlin – und vorher hier in München, hab hier mit dem Freddie Brocksieper gespielt. Das war ein Schlagzeuger, der ziemlich bekannt war. Der hatte gute Verbindungen zu den deutschen Night-Clubs und den Revue-Theatern mit angeschlossenen Bars. Und der hatte ein Engagement in Berlin. Da bin ich zum ersten Mal geflogen übrigens, fällt mir gerade ein."

Dann hab‘ ich‘s mit etwas Widerwillen gesungen – und das war grad‘ der Witz
Paul Kuhn

DIE FEMINA-BAR, DER MANN AM KLAVIER UND DER WIDERWILLEN

In Berlin ging es für Paul Kuhn zunächst in die Femina-Bar". Das war eine Bar im "Femina-Palast" im Berliner Ortsteil Schöneberg, die sich in den 1950er Jahren zum damals bekanntesten Jazzclub Berlins entwickelte – nachdem sie zunächst das Kabarett "Die Badewanne" beherbergt hatte. Paul Kuhn spielte dort Klavier in der Band von Freddie Brocksieper – und sang offenbar auch. Kuhn erinnerte sich: "Und da kam in die Bar ein deutscher Schallplatten-Producer. Der hat gesagt: ‚Ach, Sie singen so schön. Wollen Sie nicht ein paar Platten machen in deutscher Sprache?‘ Und einer der ersten Titel, die er mir vorgelegt hat, war dann ‚Der Mann am Klavier‘, Bier und so, dann sag‘ ich: ‚Muss denn das unbedingt sein?‘ Ich hab‘ so schöne Sachen gesungen, ‚Night and Day‘ und ‚Embraceable You‘. Ich hab‘ dann natürlich überlegt, das Geld hat ja auch gelockt. Dann hab‘ ich’s gemacht. Und dann hab‘ ich‘s mit etwas Widerwillen gesungen – und das war grad‘ der Witz. Irgendwie kam das an, und die Leute haben diese Platte gekauft. 1954/55 hat sich die Platte 250.000 mal verkauft, und man hat mir gesagt, es wären noch 100.000 mehr gewesen, wenn genügend Abspielgeräte dagewesen wären."

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Paul Kuhn - Der Mann am Klavier 1987 | Bildquelle: fritz5120 (via YouTube)

Paul Kuhn - Der Mann am Klavier 1987

HAWAII UND DAS WIEDERKEHRENDE BIER

Das 1954 aufgenommene Lied entwickelte sich zum Paul-Kuhn-Dauerbrenner in etlichen Fernseh-Shows über Jahrzehnte hinweg: "Geb’n Se dem Mann am Klavier / noch ‚n Bier, noch ‚n Bier (…)" Zeilen, die Generationen mindestens im Westen Deutschlands mit dem freundlichen Mann mit der Knautschmimik verbanden. Das in Schlagertexten angepriesene Bier blieb ihm treu: 1963 sang er den Hit "Es gibt kein Bier auf Hawaii" mit einem Text, den Kuhns langjähriger Freund Wolfgang Neukirchner, hauptberuflich ein Richter, unter Pseudonym schrieb. Die B-Seite der Single "Es gibt kein Bier auf Hawaii" hieß übrigens "Bier, Bier, Bier ist die Seele vom Klavier".

Jazzmusiker will ich auch werden, wenn’s irgendwie geht
Paul Kuhn

DAS AKKORDEON-TALENT SCHWÄRMTE VON GLENN MILLER

Die Seele von Paul Kuhns Klavier waren eigentlich die Blue Notes – jene Ur-Bestandteile jazziger Farbgebung. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Kuhn heimlich BBC gehört und sich für die erstmals in der Geschichte mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnete Musik von Glenn Miller begeistert. Da wuchs dann die Überzeugung: "Jazzmusikere will ich auch werden, wenn’s irgendwie geht". Davor war er ein Akkordeon-Talent. 1936 spielte der Achtjährige bei der Funkausstellung in Berlin Akkordeon. Er siegte an der Ziehharmonika beim Landeswettbewerb Hessen-Nassau, spielte in einem Wiesbadener Weinlokal namens "Eimer" für die Gäste. Er besuchte das Musische Gymnasium in Frankfurt am Main und mit 17 das Konservatorium Wiesbaden.

DER AMERIKANISCHE SOLDAT SAGTE: "SPIEL DOCH MAL IM CLUB"

Wie es zu einer engeren Liaison zwischen ihm und dem Jazz kam, erzählte Paul Kuhn 2008 im BR-Interview wie folgt. Die Begegnung mit einem in Wiesbaden stationierten amerikanischen Soldaten spielt da eine Rolle: "Ich hab‘ Akkordeon zuhause gespielt, ein bisschen, wir wohnten damals parterre, ich war ja noch bei meinen Eltern. Und da ging ein GI vorbei. Und sagte: ‚Yeah, you play a nice accordeon!‘ Also: ‚Du spielst ja ganz schön Akkordeon.‘ Ich: ‚Ja ja, ja ja‘. Und er: ‚Ja, warum spielst Du nicht im Club?" Und so spielte Kuhn dann, als noch nicht Zwanzigjähriger, wenig später in Clubs für amerikanische Soldaten. Kuhn: "Ich sag immer: Mein zweiter Bildungsweg ist die Club-Arbeit, denn ich lernte das ganze Repertoire kennen." Bald fand er auch eine Festanstellung beim amerikanischen Soldaten-Sender AFN. Und so kam dann eine musikalische Laufbahn zustande, die 1953 bei der ersten Ausgabe des Deutschen Jazzfestivals in Frankfurt einen frühen Höhepunkt hatte: Paul Kuhn spielte im Auftritt der "German All Stars" mit, zu denen in jenem Jahr auch der Saxophonist Max Greger und der Bassist Hans Last (später bekannt als James Last) gehörten.

DAS KOMMA IM KONTO UND EIN MÜNCHNER KONZERT

Vom Jazz wurde man schon damals nicht reich. In späten Jahren erinnerte sich Kuhn, dass der Organisator des Frankfurter Jazzfestivals mit einem Buick nach Hause gefahren sei, während er selbst – als bei der Veranstaltung gefeierter Musiker – die Straßenbahn nehmen musste. "Das sollte sich ändern, ich wollte auch so einen Wagen". Die Schlager- und vor allem auch die Fernsehkarriere machten solche Träume möglich. Eine Liedzeile wie "Auf meinem Konto steht das Komma zu weit links" (1956) konnte Kuhn bald mit ironischem Augenzwinkern singen. 1968 wurde er für zwölf Jahre Leiter der Big-Band des "SFB" (Sender Freies Berlin). In vielen Fernseh-Shows hörte man ihn swingen und von fehlenden Bieren singen.

Von links: die Moderatoren Thomas Gottschalk und Carolin Reiber und Dirigent Paul Kuhn. | Bildquelle: BR/Foto Sessner Die Moderatoren Thomas Gottschalk und Carolin Reiber zusammen mit Dirigent Paul Kuhn 1980 beim Deutschen Vorentscheid "Ein Lied für Den Haag". | Bildquelle: BR/Foto Sessner Eine Krise kam 1980, als die Big-Band des SFB aufgelöst wurde. Doch bald fasste Kuhn mit seiner eigenen Big-Band Fuß. In den 1990er Jahren begann er, in einer klassischen Jazztrio-Besetzung auf Tourneen zu gehen und Alben aufzunehmen – mit dem Schlagzeuger Willy Ketzer und dem Bassisten Martin Gjakonovski. In Konzerten mit ihm spielten auch Jazz-Weltstars wie der Trompeter Benny Bailey mit. 2008 im Münchner Gärtnerplatztheater (und wenige Tage vorher bereits bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen) waren unter anderem Ack van Rooyen (Flügelhorn) und der Münchner Claus Reichstaller (Trompete) mit in der Band, außerdem Posaunist Jiggs Whigham, die Saxophonisten Gustl Mayer und Peter Weniger und Schlagzeuger sowie Langzeit-Freund Kuhns Willy Ketzer. Hugo Strasser saß damals im Gärtnerplatztheater im Publikum in der ersten Reihe.

JAZZ? "DAS, WAS ICH DAFÜR HIELT!"

Ein paar Jahre später, 2011, erfüllte sich Kuhn einen langgehegten Wunsch: Er machte Platten-Aufnahmen in den berühmten Capitol-Studios in Los Angeles. Zusammen mit den hervorragenden amerikanischen Kollegen John Clayton (Kontrabass) und Jeff Hamilton (Schlagzeug) entstand das Album "The L. A. Session", auf dem Kuhn Klassiker wie "Speak Low" und "As Time Goes By" interpretierte. Gelassen swingend, mit einer Gesangsstimme ohne Allüren aber mit Gefühl für die Töne. "Jazzmusiker, wenn’s irgendwie geht": Das war er geworden, mindestens in seiner Spätphase, jener Mann, der 2008 im BR-Interview auf die Frage, ob er denn schon gleich in den frühen 50er-Jahren Jazz gespielt habe, amüsiert antwortete: "Ja, das, was ich dafür hielt". Respekt vor dem "Mann am Klavier", der sich mit seiner Musik weit mehr als ein schnödes Bier verdient hatte.

Kommentare (2)

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Sonntag, 12.März, 14:49 Uhr

Willy ketzer

Paul kuhn

Paul ist und war einer der größten musiker, die wir in deutschland hatten-es war mir eine ehre, 33 jahre mit ihm zu spielen und noch mehr, sein freund zu sein????????

Sonntag, 12.März, 07:27 Uhr

paul-ludwig voelzing

paul kuhn

an paul kuhn erinnere ich mich noch gut! wir wollten damals stones, animals, pretty things im rundfunk hören und wurden mit paul kuhn und willy berking traktiert. FURCHTBAR!

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