In Salzburg debütierte er heuer in der Rolle des ägyptischen Feldherren Radamès in Verdis "Aida". Es gab stürmisches Lob von allen Seiten. Und wie war es für Piotr Beczala selbst? Darüber, über seine Leidenschaft für den Sound alter Autos und seinen Kindheitswunsch, Kapitän zu werden, spricht der Star-Tenor im BR-KLASSIK-Interview.
Bildquelle: Johannes Ifkovits
BR-KLASSIK: Piotr Beczala, Sie haben in Ihrem Buch "In die Welt hinaus" geschrieben, ein Jaguar sei das ideale Auto für einen Tenor. Bitte erklären Sie das.
Piotr Beczala: Man kann es auch klanglich beschreiben. Mein alter Jaguar, Baujahr 1958 klingt auch wie ein sehr gut eingesungener Tenor. Und kein lyrischer, da geht es schon um nette Brumm-Klänge. Ich finde das Auto auch sehr gut, weil es kein Cabrio ist. Man kann auch im Sommer herumfahren und wird nicht vom Wind erfasst.
BR-KLASSIK: Tannengrün ist er, dieser "Kerl", acht Jahre älter als Sie. Aber offensichtlich ist es doch der Sound, der Ihnen ganz besonders ans Herz geht?
Piotr Beczala: Ich mag, wie diese alten Autos klingen. Heutzutage gibt es schon akustisch Probleme, weil alles halbelektrisch ist. Und wenn man wirklich Benzin im Blut hat, in Anführungszeichen, da klingen diese alten Autos – meines ist ein V6 – einfach herrlich.
BR-KLASSIK: Und wer ist anfälliger? Der Tenor oder der Jaguar?
Piotr Beczala: Eher der Jaguar. Da muss man schon ein bisschen aufpassen.
Ich versuche immer weiterzuarbeiten, die Rolle zu entwickeln, die Rolle an mich anzupassen.
BR-KLASSIK: Hier in Salzburg hatten sie vor gut einer Woche das wirklich lang erwartete Rollendebüt als Radamès in "Aida" von Giuseppe Verdi. Die Kritiken haben sich überschlagen. Aber wie war es denn für Sie?
Piotr Beczala (Radamès) und Elena Stikhina (Aida) bei den Salzburger Festspielen 2022 | Bildquelle: SF / Ruth Walz Piotr Beczala: Spannend. Das Debüt wurde ja verschoben wegen Covid, über zwei Jahre. Und Gott sei Dank hat es jetzt hier in Salzburg stattgefunden – in einer sehr gewohnten Umgebung für mich. Ich habe gerade festgestellt: Ich habe mein 25-jähriges Jubiläum, was die Salzburger Festspiele betrifft. Und klar, das ist eine Rolle, die einfach sehr wichtig ist für einen Tenor. Wenn man sich entscheidet, den Radamès zu singen, ist das wirklich ein ziemlich großer Schritt in eine gewisse Richtung.
BR-KLASSIK: Die Dunkelkammer des Tenor-Repertoires. Was macht diese Rolle aus?
Piotr Beczala: Die Entwicklung. Und dieser Zwiespalt zwischen den zwei Ebenen des Radamès. Zuerst ist da dieser Feldherr, dieser militärische Stempel. Und dann die menschliche Komponente. Das ist für mich sehr spannend, diesen Spagat zu zeigen, auch stimmlich. Und es ist eine interessante Aufgabe. Ich sage immer: Die Rolle sitzt nach fünf Vorstellungen. Wir haben sechs hier in Salzburg. Ich genieße eigentlich jeden Moment. Und ich versuche immer weiterzuarbeiten, die Rolle zu entwickeln, die Rolle an mich anzupassen.
BR-KLASSIK: Nun ist das eine sehr reduzierte Inszenierung der Video- und Fotokünstlerin Shirin Neshat. Schon 2017 wurde sie hier in Salzburg gezeigt, jetzt aber deutlich weiterentwickelt und verändert. Wie empfinden Sie diese szenische Umsetzung, kommt Sie Ihnen entgegen?
Piotr Beczala: Eigentlich schon. Wir bemerken zwar nicht, was da hinter uns auf die Bühne projiziert wird. Aber dass das eine Unterstützung ist, das glaube ich. Und dass das funktioniert auch. Denn ich habe meine Ohren und Augen im Publikum. Meine Frau sitzt da immer, und sie war ganz begeistert von dieser – sagen wir – Interpretation. Aber das ist wirklich eine Neu-Aufarbeitung.
BR-KLASSIK: Und Ihre Frau, das ist Ihr Maßstab? Wenn sie etwas sagt, dann hat das Gewicht?
Piotr Beczala: Dann sitzt es. Und alle sollen sich warm anziehen. Aber wie gesagt, die reduzierte Interpretation von Shirin Neshat zeigt auch für mich diese zwei Welten von Radamès.
BR-KLASSIK: Mozart ist für Sie inzwischen passé. Dafür sind neue Rollen dazugekommen. Endlich der Cavaradossi in der "Tosca" letztes Jahr. Oder Don Jose, oder Maurizio in "Adriana Lecouvreur". Sie nennen das: "das leichte schwere Fach". Was meinen Sie damit?
Piotr Beczala: Es ist kein Heldenfach. Die Leute versuchen immer, das zu konkretisieren. Also entweder ist man lyrisch oder heldisch. Das ist Quatsch. Dazwischen gibt es noch sehr viel. Und ich behaupte nicht, dass ich irgendwann einen Tristan singen werde, also ein richtiges Heldenfach – oder einen Otello. Aber das, was Sie erwähnt haben – Don Jose, Andrea Chenier und Cavaradossi – das sind alles Rollen, die man sowohl lyrisch als auch dramatisch singen kann. Die haben beide Komponenten. Und eigentlich ist Radamès auch so eine Rolle. Man darf sich nicht so "schubladisieren" lassen, sagt man das so auf Deutsch? Dass man plötzlich von einem lyrischen Tenor von Mozart oder Rossini ins schwere Fach rüberrutscht. Das wäre fatal. Klar, für die Helden-Puristen bin ich immer noch der Lyrische, oder viel zu lyrisch. Ich suche auch beim Radamès Klänge, Farben und nicht nur den metallischen Kern. Aber beides gehört zur Rolle. Und man muss beides rüber zum Publikum bringen.
BR-KLASSIK: Sie selbst sind ja eigentlich eine Art Spätzünder, Sie sind mit 18 sehr spät zum Singen gekommen. Eigentlich wollten sie Kapitän werden.
Piotr Beczala: Das war mein Kindheitswunsch. Der hat sich irgendwann erledigt, vor allem musste man dafür nach Nordpolen fahren. Ich komme aus Südpolen. Das war mir zu weit weg und dann war ich in Mathe nicht gerade der Beste. Und da muss man schon etwas leisten.
BR-KLASSIK: Die Wende in den Ostländern kam für Sie genau zur rechten Zeit: Sie sind 1966 geboren, das heißt, Sie waren Anfang 20. Aber als Pole konnten Sie auch schon vor der Wende in den Westen reisen und haben das auch getan. Sie haben einige Kurse gemacht, zum Beispiel bei der serbischen Mezzosopranistin Sena Jurinac. Sie hat Ihnen die Höhe beigebracht.
Die serbische Mezzosopranistin Sena Jurinac war eine wichtige Lehrerin für Piotr Beczala. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Piotr Beczala: Sie hat mir die Welt eröffnet. Ich wusste, ich habe die hohen Noten, aber irgendwie habe ich mir das eingeredet, dass man dramatisches Repertoire singen soll, auch als Student. Ich habe mit 20 schon Cavaradossi versucht, weil das so spannend war. Und sie hat mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und hat gesagt, Junge, vergiss den Cavaradossi, her mit Mozart. Und dann haben wir uns in Lenk in der Schweiz in einer Masterclass zwei Wochen mit Tamino und Don Ottavio geplagt. Naja, das Ergebnis war eigentlich sehr gut. Und ich habe auch damals in der Katowicer Musikakademie, wo ich studiert habe, gesagt: Okay, Schluss mit dem großen Sachen, ich versuche mich jetzt am lyrischen Repertoire zu orientieren. Weil Sena Jurinac mir das empfohlen hat. Sie war für mich ein großes Vorbild.
BR-KLASSIK: Sie haben Ihre Karriere mit einer Art Open-Air-Konzerten gestartet, nämlich auf der Kärntnerstraße in Wien. Und haben damit schon Geld eingespielt. Wie ging das?
Piotr Beczala: Das stimmt – und es war purer Zufall. Ich war in Wien, um meine Studentenkasse ein bisschen aufzufüllen. Aber nicht mit Gesang, sondern mit Handarbeit und Baustellenarbeit. Und dann habe ich gesehen, dass in Wien am Samstag Leute auf der Straße stehen und musizieren, Gitarre spielen und dafür bezahlt werden. Und da habe ich mich hingestellt, habe ein paar Lieder gesungen und dafür ein paar Schillinge bekommen. Ich habe – wie sagt man so schön – die Branche gewechselt. Vom Baugeschäft zum Musikgeschäft. Dann habe ich jeden Tag zwei Wochen auf der Straße gesungen. Und bin jeden Tag in die Staatsoper gegangen, Stehplatz … Das war wirklich eine supertolle Zeit für mich, einen Studenten aus Polen. Diese ganzen großen Stars zu sehen und zu hören war ein unglaubliches Erlebnis.
BR-KLASSIK: Sie scheinen gut die Genres wechseln zu können: zwischen ernst und heiter, zwischen unterhaltsamer Kunst und Schlager. Luciano Pavarotti hat das seinerzeit auch gemacht, und das haben ihm manche in der Branche sehr übel genommen. Welche Erfahrungen machen Sie denn einige Jahre später damit, wenn Sie auch mal leichtere Muse singen?
Piotr Beczala: Der Schlüssel dazu ist, dass man das sehr ernst nehmen muss. Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen Liedern von Ernesto De Curtis und Franz Schubert. Man muss sie mit gleicher Ernsthaftigkeit betrachten. Und dann entsteht Großartiges. Wenn man tolle Musik schlecht interpretiert, wird auch nichts Gutes daraus. Das ist meine Einstellung zu dieser Musik. Und vor allem muss man auch Spaß haben. Das ist auch wichtig. Und ein bisschen Popularität schadet nicht. Das gehört zum Tenor-Sein dazu.
BR-KLASSIK: Wo wir gerade beim Tenor-Wesen sind: Muss man als Tenor denn wirklich Spaß haben an diesen schmetternden, hohen Tönen? Oder ist das für Sie nicht so wichtig?
Piotr Beczala: Spaß muss man auch bei den tiefen Tönen haben. Ohne Spaß beim Singen geht nichts. Man muss den Spaß haben, den Klang zu entfalten, den Klang zu präsentieren und zu projizieren. Das gehört einfach dazu.
BR-KLASSIK: Aber alle warten auf das hohe C ...
Piotr Beczala: Ja selbstverständlich. Wenn es in der Partitur steht, soll man das auch machen. Ich bin auch ein großer Befürworter von richtigen Tonalitäten. Dass man nicht transponiert, denn der Komponist hat sich etwas dabei gedacht. Tonalität bedeutet auch Farbe. Wenn man das um einen ganzen Ton tiefer singt, verändert sich die Farbe des Stückes. Das Orchester klingt anders.
Piotr Beczala in der Rolle des Lohengrin in Bayreuth. | Bildquelle: Festspiele Bayreuth BR-KLASSIK: 2018 war für Sie ein extrem aufregendes Jahr, denn da sind Sie relativ kurzfristig eingesprungen in Bayreuth als Lohengrin. Christian Thielemann – ich habe extra nochmal die Interviews von damals nachgehört –, meinte damals, Sie hätten Angst vor dieser Rolle gehabt?
Piotr Beczala: Sicher, und warum? Weil es Wagner ist. Wenn man dieses Repertoire nicht sehr oft hört oder sich nicht damit auseinandersetzt, hat man – wie in meinem Fall – weniger Angst als vielmehr Respekt.
BR-KLASSIK: Aber wenn man schon Wagner singt und Christian Thielemann an seiner Seite hat, müsste das doch eigentlich eine "gmade Wiesn" sein.
Piotr Beczala: Klar, selbstverständlich ist es so. Aber dieser Prozess war ziemlich lang. Christian Thielemann versuchte mich schon für – ich glaube – 2012 zu überreden, mich mit diesem Repertoire anzufreunden. Wir haben zweimal hinterher in Dresden das Silvesterkonzert gemacht und auch Operette. Und irgendwann hat er wirklich ein bisschen gedrängt und gesagt: Das ist doch dasselbe, was Franz Lehár geschrieben hat. Vielleicht ein bisschen anders, aber im Grunde ist das dieselbe Musik. Ich war dann 2013 oder 2014 für drei, vier Tage in Bayreuth eingeladen und wir haben das durchgesungen. Und da habe ich ein bisschen Blut geleckt.
BR-KLASSIK: Aber das war doch eher auf einer konspirativen Ebene?
Piotr Beczala: Aber dann kam eben der "Lohengrin" in Dresden 2016. Und ich hatte sehr viel Spaß mit der Musik.
BR-KLASSIK: Und mit Anna Netrebko als Elsa – eine Traumbesetzung.
Piotr Beczala: Wir haben vier Vorstellungen gesungen. Und das war wirklich eine schöne Sache.
BR-KLASSIK: Was braucht es für einen guten Lohengrin?
Piotr Beczala: Auch zwei Seiten. Man muss diese heldische, klare Stimme haben. Und dann, im Brautgemach, braucht man auch die lyrischen, die weichen, die anderen Farben. Lohengrin ist nicht so reich an Farben wie zum Beispiel Radamès. Aber diese zwei Farben braucht man: die eine für "Heil, König Heinrich!" und die andere für "Das süße Lied verhallt". Und beide Farben muss man schön kombinieren können.
BR-KLASSIK: Ganz andere Spannung hat Corona in den vergangenen zwei Jahren verursacht: das Virus, das sehr viele Künstlerinnen und Künstler in Bedrängnis gebracht hat. Wie haben Sie als freischaffender Künstler dieser Zeit überstanden?
Piotr Beczala: Meine Frau hat sich zuerst sehr gefreut, dass ich zwei Monate nichts gemacht habe. Und nach der Abreise aus New York im April 2020 sind wir in unserem Häuschen in Polen gelandet und haben das Leben genossen, Pizza gebacken und so weiter. Aber es kam sehr schnell zu Ideen und Konzerten online, kleinen Festivals, die sich getraut haben, aufzumachen und unter Corona-Bedingungen Musik zum Publikum zu bringen. Es war nicht so, dass ich gar nichts gemacht habe. Ich habe immer wieder zu tun gehabt. Zum Beispiel auch bei der Wiener Staatsoper, die Vorstellungen fürs Streaming gemacht hat. Und das war auch spannend. Ich saß also nicht vollkommen zu Hause und hätte es schwer gehabt, nach acht, sieben oder zehn Monaten wieder zurückzufinden. Aber ich kenne auch Kollegen, die mir gesagt haben: Ich habe ein Jahr nicht gesungen. Das ist erschreckend. Das waren schwere Zeiten. Und jetzt sind wir zurück.
BR-KLASSIK: In New York haben Sie gerade wieder "Eugen Onegin" von Tschaikowsky gemacht, davor den Herzog im "Rigoletto" gesungen. Was wird das Nächste sein, was Sie in New York singen?
Piotr Beczala: Die nächste Produktion ist "Fedora", sie wird dieses Jahr an Silvester Premiere haben. Und dann "Lohengrin" im Frühjahr.
Sendung: "Meine Musik" am 20. August 2022 ab 11:05 Uhr in BR-KLASSIK
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